Der neue Kommentar zur Landesverfassung räumt Rechtsbedenken gegen ein Listenwahlrecht in Baden-Württemberg aus. Und auch sonst bietet er viel hilfreiche Informationen.

Stuttgart - Nach drei Jahrzehnten liegt ein neuer Kommentar zur Landesverfassung vor. Es handelt sich, was Baden-Württemberg betrifft, überhaupt erst um die vierte Publikation dieses Genres. Ein Autorenteam um Volker Haug, Ministerialrat im Innenministerium und Professor an der Universität Stuttgart, durchmaß den Verfassungstext mit frischem Blick. Anlass dafür gab es, weil sich Verfassungen in einem sich wandelnden gesellschaftlichen Kontext behaupten müssen.

 

Die bisher letzte Kommentierung legte 1987 Paul Feuchte vor, der Verfassungskommentar von Klaus Braun stammt von 1984. Haug und seine Mitstreiter konnten in ihrem neuen Kommentar nicht nur bestehende Regelungen in einem neuen Licht betrachten, sondern durchaus aktualisieren. Die Verfassungsartikel 3a (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen), 3b (Tierschutz) sowie 3c (Kultur- und Sportförderung, Landschafts- und Denkmalschutz) etwa sind jüngeren Datums, und folgen dem gesellschaftlichen Wertewandel .

Vorgehen bei der S-21-Volksabstimmung problematisch

Änderungen erfuhren auch die Verfassungsartikel zur direkten Demokratie. 2015 war unter grün-roter Ägide der Volksantrag in Artikel 59 eingefügt worden, mit dem dann der Weg zum Volksbegehren und zur Volksabstimmung eingeschlagen werden kann. Aber nicht nur von „unten“kann ein Plebiszit auf den Weg gebracht werden, auch die Regierung vermag dies im Zusammenspiel mit dem Landtag. So geschehen mit dem sogenannten S21-Kündigungsgesetz, das 2011 von der grün-roten Landesregierung beschlossen, vom Landtag dann aber abgelehnt worden war. Daraufhin brachte die Regierung das Gesetz zur Volksabstimmung. Der Verfassungskommentar bewertet dieses Vorgehen durchaus kritisch, weil die „materielle Kollisionslage“ zwischen Regierung und Parlament konstruiert gewesen sei. Ziel sei gewesen, einen internen Konflikt zwischen den grün-roten Koalitionspartnern über eine Volksabstimmung zu externalisieren.

Ganz aktuell sind die Ausführungen zum Wahlsystem, das die Verfassung als eine Verbindung von Persönlichkeitswahl und Verhältniswahl konzipiert. Der Wähler hat nur eine Stimme, mit der er einen Kandidaten im Wahlkreis wählt. Auf diese Weise gelangen 70 direkt gewählte Kandidaten kommen in den Landtag, 50 weitere Sitze werden mit den besten Wahlverlierern einer Partei besetzt. Dazu kommen Überhang- und Ausgleichsmandate. Reformüberlegungen in der grün-schwarzen Koalition liefen darauf hinaus, „ein personalisiertes Verhältniswahlrecht mit einer geschlossenen Landesliste“ einzuführen. Auf einer Liste, die von einem Parteitag beschlossen wird, ließen sich Spitzen der Partei, aber auch mehr Frauen ins Parlament bringen. Dieses Ansinnen spielte in der öffentlichen Debatte die wichtigste Rolle.

Das Vorhaben scheiterte am Widerstand der CDU-Landtagsfraktion. Aus deren Reihen wurde auf den Verfassungskommentar von Braun verwiesen, der zu Artikel 28 vermerkt: „Unzulässig wäre die Schaffung einer gebundenen Landesliste, es sei denn, es handle sich nur um eine geringe Zahl von Abgeordnetensitzen, die auf diesem Weg besetzt werden.“ Dagegen wendet sich der neue Kommentar: Von den 120 regelhaften Mandaten im Landtag entfielen 70 allein auf die Direktmandate. Damit sei dem verfassungsrechtlichen Gebot einer Persönlichkeitswahl hinreichend Rechnung getragen, auch wenn weitere 50 Mandate über Listen vergeben würden.