Zum zweiten Mal in diesem Jahr sind die Barber Angels in Stuttgart zu Gast. An der Olgastraße frisieren und stylen sie ehrenamtlich Obdachlose und Bedürftige.

Stuttgart - In der Tagesstätte für Wohnungslose „Olga 46“ des Caritas-Verbandes an der Olgastraße wächst am Montagnachmittag der Berg abgeschnittener Haare von Minute zu Minute. Kein Wunder, schließlich schwingen die Friseure der Barber Angels Brotherhood hier heute Schere und Rasierer im Akkord. Die Engel in Rockerkleidung sind, seit ihrer Gründung im Jahr 2016, in ganz Deutschland unterwegs, um einmal im Monat ehrenamtlich ihr Handwerk auszuüben.

 

Auch wenn alle sichtlich Spaß an der Aktion haben, ist es für die Friseure und Barbiere doch harte Arbeit: „An solchen Tagen schneiden wir wie die Irren, da weiß man abends schon, was man getan hat“, sagt die Pressesprecherin der Barber Angels Gaby Günther. Die ehrenamtlichen Helfer rechnen am Olgaeck mit zahlreichen Besuchern. Die Sozialarbeiterin der Tagesstätte, Gaby Grosshans, sagt: „Wir haben 55 Termine im Voraus vergeben. Als die Barber Angels im Mai hier waren, waren über 100 Leute da, um sich frisieren zu lassen. Viele von ihnen werden heute sicherlich wieder spontan vorbeischauen.“

Es geht auch um die Wahrnehmung in der Gesellschaft

So wie die 60-jährige Ilse aus Stuttgart. Nach 15 Minuten auf dem Friseurstuhl fährt sie sich lächelnd durch die neue Kurzhaarfrisur. „Ich bin wirklich zufrieden mit meinem neuen Schnitt. Sich zu pflegen ist mir sehr wichtig. Deshalb gefällt mir diese Aktion so gut. Im Alltag fehlt ja leider das Geld für solche Dinge“, so ihr Fazit. Auch der 68-jährige Rentner Bernd ist dieser Meinung. Als Opfer der Altersarmut kommt er nach Jahrzehnten harter Arbeit kaum über die Runden: „Hätte ich das Geld, würde ich bestimmt alle fünf bis sechs Wochen zum Friseur gehen. Dank den Barber Angels bin ich in diesem Jahr immerhin schon zum zweiten Mal beim Haareschneiden. Wenn ich einen neuen Haarschnitt habe, fühle ich mich gleich viel besser. Ich habe auch das Gefühl, dass mich die Menschen mit anderen Augen sehen.“

Dass es bei solchen Aktionen nicht nur um einen neuen Haarschnitt, sondern um die Wahrnehmung in der Gesellschaft geht, findet auch der Barber Angels Gründer Claus Niedermaier: „Wir helfen den Menschen heute, ihr Gesicht zurück zu gewinnen. Ein Haarschnitt bedeutet Selbstvertrauen, Würde, Schönheit und Zufriedenheit.“ Deshalb sei es ihm wichtig, dass auch Menschen, die finanziell schlechter gestellt sind, eine Chance auf ein gepflegtes Äußeres erhalten: „Dankbarkeit ist unsere Währung, wir bekommen so viel zurück. So ein Tag gibt uns unglaublich viel.“

Claus Niedermaier bringt seine Arbeitskraft ein, um zu helfen

Die Dankbarkeit spüren an diesem Tag aber nicht nur die Friseure. Denn neben den Figaros hat es noch andere ehrenamtliche Helfer in die Tagesstätte des Caritas-Verbandes verschlagen. Eine Make-Up Artistin der Firma La Biosthétique sorgt für das passende Tages-Make-Up zur neuen Frisur. Zwei Optikerinnen der Firma Apollo-Optik sind mit 100 Lesebrillen in verschiedenen Stärken und 100 Sonnenbrillen angereist. Ein Angebot, das besonders gut ankommt. „Ganz viele haben mich gefragt, was die Brillen kosten, dass sie umsonst sind, konnten sie kaum glauben“, sagt die Optikerin Diana Kamaric.

Auch Barber Angels Gründer und Präsident Claus Niedermaier freut sich über die Unterstützung anderer Berufsgruppen: „Jeder von uns kann seine eigene Arbeitskraft einbringen, um Gutes zu tun. Ich würde mir wünschen, dass mehr Berufsgruppen diese Chance ergreifen würden.“ Bei ihm selbst fiel die Entscheidung, sich ehrenamtlich zu engagieren, im letzten Jahr: „Ich habe eine Reportage über Obdachlose in München gesehen. Das hat mich bewegt, ich wollte helfen.“ Mit seinen eigenen finanziellen Mitteln sei allerdings keine erwähnenswerte Hilfe möglich gewesen. Also beschloss er, sich selbst und seine Arbeitskraft einzubringen und gründete im November 2016 die Barber Angels.

Obwohl er heute bereits 70 Engel für seine Sache gewinnen konnte, blickt er weiter in die Zukunft: „Mein Ziel ist es, noch mehr Kollegen mit unserem ‚Virus’ anzustecken. Dann können wir irgendwann feste Stationen in Deutschland einrichten und damit dauerhaft helfen.“