Lieder über Mansplaining, Online-Dating und die Periode: Der Auftritt der Chemnitzer Gruppe Blond im Wizemann hat gezeigt, wie sehr der Musikwelt eine Band wie sie gefehlt hat.

Stuttgart - Gegen 15 Uhr rollt ein Nightliner auf den Busparkplatz oberhalb des Wizemann. Heraus in den Schneeregen purzelt eine Entourage, die man in dieser Größenordnung eher bei einer gestandenen Band erwarten würde. Ganze 16 Nasen umfasst die Crew der Gruppe Blond, die in einigen Stunden ihre erste Headlinershow in Stuttgart geben wird. Nicht in der Halle, die hat Alice Merton an diesem Abend für sich beansprucht. Dafür im Club, doch selbst das ist beachtlich: „Martini Sprite“, ihr erstes Album, erschien erst vor wenigen Wochen. Und doch werden am Abend rund 250 Menschen kommen und viele Lieder mitsingen. Wort für Wort.

 

Einige Konzerte ihrer Tournee sind bereits ausverkauft, sogar beim ZDF-„Morgenmagazin“ waren sie schon. Da könnte man jetzt sagen, dass die Schwestern Nina und Lotta Kummer und Jugendfreund Johann Bonitz so etwas sind wie die Band der Stunde, eine quietschfidele, unangepasste, quirlige Indie-Formation, die kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um Themen geht, die in unserer Gesellschaft tabuisiert werden. In „Es könnte grad nicht schöner sein“ geht es zum Beispiel um die Periode. Und darum, wie sie einer Frau in bestimmten Situationen richtig die Tour versauen kann. „Meanwhile in my uterus – bloody storm in my uterus“, heißt es da in der Bridge. Verpönt oder gar ekelhaft? Schluss mit dieser Neandertalerdenke, am Abend wird keine Zeile lauter mitgesungen als diese. Auch von Trägern des Y-Chromosoms.

Das hat so gefehlt!

Blond deswegen gleich als feministische Band zu bezeichnen, wäre aber nur wieder eine allzu maskuline Herangehensweise. Die Kummer-Schwestern singen über Dinge, die sie betreffen, bewegen, beurteilen können. Und es sind nun mal junge Frauen aus Chemnitz, aus dieser Stadt, deren Straßen so breit sind, dass man unmöglich eine Sitzblockade errichten kann. „Die Sachen, über die wir singen, sind uns oder unserem Umfeld passiert“, sagt Nina Kummer. „Etwas anderes würde für uns aber auch gar keinen Sinn ergeben. Und weil wir eh Menschen sind, die sagen, was sie denken, ergibt sich der Rest von allein.“

Man merkt auch beim Konzert am Abend, wie sehr eine Band wie Blond gefehlt hat. Keine glattgebügelten Popsternchen, die über heiße Typen und gebrochene Herzen singen, keine allzu vergeistigten Philosophie-Popper. Sondern zwei Frauen und ein Mann, die den Alltag zwischen Sanifair-Bons, Online-Dating und Mansplaining in pointierte Texte und knackigen Sound packen. Vielleicht also ein bisschen wie Mia früher. Aber als die vor 18 Jahren ihr erstes Album veröffentlichten, waren viele der Anwesenden noch im Kindergarten. Es braucht also dringend mehr Frauen wie sie in der Indie-Szene.

„Thorsten“ als Zugabe

Ihrer Rolle sind sich die Kummer-Girls bewusst. Von Vorreitern oder Vorbildern wollen sie aber nichts hören. Sie sind wie jede andere, stehen dabei aber eben auf der Bühne. Und nutzen diese Position clever für gezielte Tritte gegen Chauvinismus und Mansplaining, manifestiert in der rauschenden Zugabe „Thorsten“. „Ich kenne keine Frau aus der Musik, die noch nie Diskriminierung erfahren hat“, sagt Lotta Kummer dazu – eine Frau, wie es in dem Stück heißt, die sogar ihr Drumkit alleine aufbauen kann.

Wenn man die drei im Gespräch oder auf der Bühne erlebt, vergisst man fast, dass sie ziemlich berühmte Brüder haben. Felix und Till Kummer spielen bei Kraftklub, dem erfolgreichsten Chemnitzer Musikexport. Ausgeschlachtet wird das nicht, keiner der Kummer-Boys ist auf „Martini Sprite“ zu hören. Liegt vielleicht auch daran, dass die gesamte Familie eh durch und durch musikalisch ist. „Wir sind in einer Blase aufgewachsen, in der geschlechterspezifische Vorurteile gar keine Rolle gespielt haben“, erzählt Lotta. „Deswegen habe ich auch wie selbstverständlich gelernt, Schlagzeug zu spielen. Wer weiß, was passiert wäre, wenn man mir damals gesagt hätte, das sei kein Instrument für Mädchen und mir eine Blockflöte in die Hand gedrückt hätte.“

Ihre Brüder spielen bei Kraftklub

Die drei sind vielseitig talentiert, wechseln sich ab beim Singen, nehmen weder sich noch die Konventionen der Gesellschaft allzu ernst. „Martini Sprite“ ist deswegen auch nicht unbedingt das Lieblingsgetränk des Trios. Vielmehr steht der Name für die Tendenz der Band, Dinge zu kombinieren, die man gemeinhin nicht zusammenbringen würde. „Wir ignorieren für unser Leben gern Grenzen und tanzen in den Zwischenwelten“, sagt Nina Kummer ganz poetisch dazu.

In ihre Musik übersetzt bedeutet das: Pop, Indie, Punk, Rock, mal eine Rap-Einlage, ein Aerobic-Workout zu wummernden Techno-Beats, ein immer wieder antanzender Background-Chor aus drei Frauen und sogar zwei Tänzer. Am Ende der Show stehen alle auf der Bühne und singen „I Want It That Way“ von den Backstreet Boys. Recht erstaunlich, zwei Songs davor gab es noch einen Moshpit, vor dem Konzert eine DJane als Support, die zwischen Katy Perry und Elektro changierte. Konfus? Nee, eher eine neue Ära der Independent-Musik.