Er ist wieder da: Heinrich Steinfests einarmiger Detektiv Markus Cheng kehrt in „Der schlaflose Cheng“ auf die kriminalistische Bühne zurück.

Stuttgart - Auch im Boxen gilt sie schon lange nicht mehr, die alte „They never come back“-Regel, der zufolge ein entthronter Champion nie mehr an die Spitze zurückkehren würde. Der Amerikaner Floyd Patterson war der Erste, der dieses scheinbar eherne Gesetz aushebelte, und in der Literatur ist es ohnehin seit langem statthaft, dass abgetretene (oder sogar ins Jenseits beförderte) Romanfiguren auf ein Comeback hoffen dürfen. Arthur Conan Doyle ließ so seinen Sherlock Holmes trickreich wiederauferstehen, und Wolf Haas tat es ihm nach und lässt seinen Ermittler Simon Brenner seitdem alle Jahre wieder aufs Neue aktiv werden.

 

Heinrich Steinfest ist nun seinem österreichischen Landsmann Haas gefolgt und schickt seinen äußerst eigenwilligen Privatdetektiv Markus Cheng wieder zur Arbeit – fast neun Jahre nachdem Cheng in „Batmans Schönheit“ seinen, so der damalige Untertitel, „letzten Fall“ zu lösen hatte. Doch es ist offenbar schwer, dem Liebgewonnenen Adieu zu sagen, und so darf der vermeintlich „fertiggeschriebene“ Cheng auf die kriminalistische Bühne zurückkehren – ganz so wie Howard Carpendale, der sich seit 2005 quasi permanent auf Abschiedstournee befindet.

Und ja: Man darf froh sein, dass der eigenwillige Einzelgänger Cheng den Friedhof der literarischen Gestalten wieder verlassen hat und sich dem Verbrechen entgegenstellt. Zu sehr war einem dieser Ur-Österreicher ans Herz gewachsen, dieser Mittfünfziger, den jeder für einen Chinesen hält, obwohl er „alles Asiatische“ zutiefst verabscheut: „Das vielfach überschätzte Essen auf jeden Fall. Und dann, mein Gott, dieses Theater um eine lange Mauer. Und Krieger aus Ton. Warum nicht Reis aus Ton? Und ebendiese sogenannten Kampfkünste. Der Körper als Waffe, ich bitte Sie! Schlimmer sogar als Yoga, das ja wenigstens nur den verunstaltet, der es betreibt.“

An aberwitzigen Elementen mangelt es nicht

Wenngleich Cheng, der, wie seine Leser wissen, in den Neunzigerjahren seinen linken Arm verlor, zuletzt nicht mehr als Romanfigur auftrat, hat er im Stillen weitergewirkt, in einem ärmlichen Büro im vierten Wiener Gemeindebezirk, assistiert von seiner unverzichtbaren Sekretärin Frau Wolf. Während seine bisherigen Fälle mit Kartäusermönchen, Salzkrebsen oder norwegischen Briefmarken zu tun hatten, nimmt nun alles in einem mallorquinischen Hotel seinen Anfang. Dort trifft er auf den Synchronsprecher Peter Polnitz, der seit Jahrzehnten die deutsche Stimme des viel berühmteren englischen Schauspielers Andrew Wake ist. Man kommt an der Bar ins Plaudern; Polnitz erzählt davon, dass er demnächst in London Wake erstmals treffen werde, und schließlich geht man auseinander, ohne dass das Kommende zu erahnen wäre.

Wenig später nämlich erfährt Cheng, dass Wake getötet wurde, mit einer Methode, die an eine – natürlich – asiatische Kampftechnik der „tödlichen Berührung“ erinnert. Tatort ist das Londoner Luxushotel Beaumont, genauer: Antony Gormleys mysteriöse Wohnskulptur Room mit ihrem höhlenartigen Schlafgemach. Der Mörder scheint mit Peter Polnitz schnell gefunden. Neidisch sei dieser auf Wakes Ruhm gewesen, und so macht die englische Justiz kurzen Prozess mit ihm und verurteilt ihn zu einer langen Haftstrafe.

Cheng registriert das mit Verwunderung, bis er selbst involviert wird: Polnitz’ Tochter Lis glaubt an die Unschuld ihres Vaters und heuert, keine Kosten scheuend, den einarmigen Cheng an. Dieser macht sich nach London auf, verbringt eine unvergessliche Nacht in Gormleys düsterer Höhle. Nach und nach stößt er auf – selbstverständlich – rätselhafte Spuren, und wer Heinrich Steinfests Romane kennt, weiß, dass es dem Geschehen auch diesmal nicht an aberwitzigen Elementen fehlen wird. Da wurden beispielsweise am Tatort seltsame Blütenblätter zurückgelassen, die von der Tulpensorte „White Parrot“ stammen, und da spielen zwei Bücher eine entscheidende Rolle bei Chengs detektivischer Arbeit: die Lebenserinnerungen eines Geheimagenten namens Clive Mills und das nur in drei Exemplaren aufgelegte Kochbuch eines gewissen Thomas Or. Dieses enthält Rezepte für die Zubereitung von Pilzen, die man auf dem Planeten Yuggoth sammeln kann – eine Verbeugung vor dem Autor H. P. Lovecraft, der sich um 1930 Yuggoth ausdachte und dessen Pilzen sogar Sonette widmete.

Chengs Hund Lauscher ist auch wieder dabei

Der Rückgriff auf Lovecraft ist nur einer von vielen intertextuellen Bezügen, die der gewiefte Steinfest in seinen sich über sechs Jahre erstreckenden Plot einbaut. So ist auch Hermann Hesse wieder präsent, denn nach dessen Dichterfigur Lauscher ist Chengs Hund benannt. Dass dieser längst tot ist und für seinem Besitzer (dafür aber für andere) nicht mehr sichtbar ist, sei der Ordnung halber erwähnt. Maßgeblich beteiligt an der komplexen Aufklärung des Mordes ist schließlich Jules Verne mit seiner Erzählung „Reise zum Mittelpunkt der Erde“. Zu deren Ausgangspunkt, dem isländischen Vulkan Snæfellsjökull, muss sich Cheng unerschrocken (und zu dünn bekleidet) aufmachen, um Licht ins Dunkel zu bringen.

Man sieht: Es mangelt in „Der schlaflose Cheng. Der neue Fall“ (Piper-Verlag, München. 283 Seiten, 16 Euro) nicht an Schauplätzen. Mallorca, Wien, London, Darmstadt (wo eine wichtige Spur zurück in Polnitz’ Jugend führt), Reykjavík, Edinburgh – viele Wege hat Markus Cheng zu beschreiten, und wie er das alles, begleitet von schrägen Motiven und den nicht minder schrägen Sprachkreationen seines Verfassers („Vom Meer her ein Klang, als hätte Gott sich verschluckt“), hinter sich bringt, sorgt für ein immenses Lesevergnügen. Ach ja, und dann taucht da am Ende noch eine aparte Nebenfigur auf, ein „begabter Koch“ namens Denis Scheck, der zudem als „fabelhafter Literaturlober und Literaturwarner“ gilt – und der am 13. März, 19.30 Uhr, Heinrich Steinfests Lesung aus diesem Roman im Literaturhaus Stuttgart moderieren wird.