In der Stuttgarter Stiftskirche zeigte der neue Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl am Sonntag, dass er wie sein Vorgänger Frank Otfried July wirken will: versöhnend statt spaltend.

Die Posaunen der Freude kündeten lange vor Beginn des Gottesdienstes in der Stiftskirche allen Stuttgartern an: Hier geschieht an diesem Sonntagmorgen etwas Bedeutsames. Ein Abschied und ein Neubeginn. Im Beisein von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Landtagspräsidentin Muhterem Aras (beide Grüne), OB Frank Nopper (CDU) sowie weiteren hochkarätigen Gästen aus Kirchen, Gesellschaft und Politik hat die Evangelische Landeskirche in Württemberg Ernst-Wilhelm Gohl in sein Amt als neuen Landesbischof eingeführt. Zugleich wurde der bisherige Landesbischof Frank Otfried July in den Ruhestand verabschiedet. Und das nach 17 Jahren im Dienst, keiner wirkte in Württemberg länger.

 

Ministerpräsident mahnt Ökumene an

Aber alleine die Jahre machen das Wirken Julys nicht aus. Treffend beschrieb Winfried Kretschmann ihn als „Pontifex – als Brückenbauer“. Tatsächlich gelang es July, zwischen den starken Richtungen und Prägungen seiner Landeskirche zu vermitteln und die Spaltung zu verhindern. Die drohte zuletzt in der Frage der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. July habe „Menschen und Themen zusammengebracht“, würdigte Kretschmann. Ein weiteres Verdienst sei seine Leidenschaft für die Ökumene gewesen. In diesem Punkt nahm der Ministerpräsident auch den neuen Landesbischof sowie dessen katholischen Amtsbruder Gebhard Fürst in die Pflicht. Wolle man der „großen Austrittswelle“ trotzen, „geht das nicht anders als ökumenisch“.

In seiner Predigt mit Bezügen zum Matthäus-Evangelium ließ Gohl vor über 600 Gästen anklingen, dass auch er sich als Brückenbauer versteht. In den Mittelpunkt der Predigt setzte Gohl das Thema Zweifel(n) – und dies sehr nah und anschaulich. Denn der große Zweifler in seiner Erzählung war nicht der ungläubige Thomas, sondern ein Schüler aus der Klasse des Religionslehrers Gohl in Plochingen. Am Beispiel des Jungens zeigte der neue Bischof, dass im Zweifel Kraft liege: „Seltsamerweise gehört so der Zweifel zum Glauben. Dieser Zweifel entlastet. Sich unzulänglich fühlen, nicht genug Vertrauen haben – das gehört dazu. Die Welt ist eben nicht schwarz oder weiß. Und eine Kirche, die dem Zweifel keinen Raum lässt, wird zur Sekte.“ Deshalb halte der Zweifel das Gespräch offen: „Und dieses offene Gespräch brauchen wir unbedingt in unseren polarisierten Zeiten.“

Gohl hält Hilfe für Ukraine für geboten

In dieser Art versucht Gohl auch Haltung bei den Problemen der Gegenwart zu zeigen. Etwa beim Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und bei den damit verbundenen Waffenlieferungen Deutschlands. Statt voll und ganz auf die protestantisch-pazifistische Haltung der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann („Nichts ist gut in Afghanistan“) einzuschwenken, verkündet er ein Sowohl-als-auch. Einerseits ist er „überzeugt, dass Frieden letztlich nicht mit Waffengewalt zu erreichen ist“. Andererseits hält er es für richtig, „dass auch unser Land die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützt“: „Wenn ein Land überfallen wird, Dörfer und Städte in Schutt und Asche gelegt werden, wenn grausame Verbrechen verübt werden, wenn Teile der Bevölkerung in den besetzten Gebieten deportiert werden – dann halte ich es für ethisch und christlich geboten, diesem Land zu helfen, sich gegen diese brutale Übermacht zu verteidigen.“

Kirche steht vor Herausforderungen

Damit dürfte auch der Stil seiner Amtsführung skizziert sein. Er will in den Schuhen seines Vorgängers als Brückenbauer wandeln. Sein Credo: „Bei Diskussionen und ethischen oder moralischen Fragen wünschte ich mir mehr Zweifel. Denn meist schafft eine einzige, alles andere ausschließende Lösung ja wieder neue Probleme.“ Damit ist auch klar: Einen Abgesang auf die in der Gesellschaft zunehmend an Bedeutung verlierenden Kirche wird es unter ihm nicht geben. Natürlich bliebe ihm nicht verborgen, dass viele in seiner Kirche auf die Herausforderungen mit Angst reagierten: „Ich kenne das, bin da aber weiter zuversichtlich. Gott hat mit Nicht-Helden seine Kirche gegründet. Und er wird sie mit Nicht-Helden weiter durch die Zeit bringen. Diese Kirche wird sich verändern.“ Wie Ernst-Wilhelm Gohl diesen Prozess gestalten will, ließ er in seiner Antrittspredigt offen. Lediglich seine Überzeugung und seinen tiefen Glauben brachte er am Ende noch einmal zum Ausdruck: „Die Kirche wird nicht verschwinden. Unser Auftrag ist einfach zu wichtig für diese Welt. Sie braucht dringend Gottes Liebe.“