Neues zum NSA-Komplex? Nicht von dem Spionage-Altmeister John Le Carré. In seinem neuen Roman „Empfindliche Wahrheit“ watscht er New Labour ab.

Stuttgart - Technisch sind die Schnüffelbürokraten diverser Geheimdienste, besonders jene der NSA, ihren fiktiven Abbildern in den Romanen des Briten John Le Carré wohl ein wenig voraus. Menschlich, moralisch, juristisch betrachtet aber könnten die Topnachrichten der letzten Zeit aus einem noch unveröffentlichten Manuskript des Schwergewichtweltmeisters der Spionageliteratur geklaut worden sein. Le Carré, einst selbst Botschaftsangestellter in Deutschland und Mitarbeiter des Geheimdienstes, hat stets erzählt, dass die Dienste unkontrollierbar arbeiten, in sich selbst mehrfach unterwandert sind, nicht von generischen Organisationen, sondern von Cliquen und Seilschaften mit Hintermännern in der Politik.

 

Seit dem Ende des Kalten Krieges hat Le Carré obendrein in zumindest clevere Fallen für Figuren und Illusionen aufbauenden, oft aber brillanten Romanen gewarnt, dass die Amerikaner hinter der Weltbühne so rücksichtslos agieren wie nur je eine von Rechtsgrundsätzen unbeleckte Diktatur. Was für eine Punktlandung hätte also ein neuer Roman des Briten mitten im sich ausweitenden und hinziehenden Drama um Person und Enthüllungen des Edward Snowden werden können. Denn das war ja immer die zweite und nicht selten die wichtigere Ebene eines Le-Carré-Romans: die Frage, was aus einem Menschen wird, der sich mit den Diensten anlegt, sich mit ihnen einlässt oder einfach von ihnen benutzt wird.

Snowden erscheint wie ein Geschöpf aus seinen Büchern

Der 1931 als David Cornwell in Dorset geborene Autor hat seine Figuren in innere und äußere Sackgassen geführt, hat Kummer und Ruin, Isolation und Geiseldasein als Belohnung jener ausgeteilt, die sich bemüht hatten, das Richtige zu tun. Jeder, der Le Carrés Romane kannte, saß wohl fassungslos vor der irrwitzigen Wendung, dass Snowden ausgerechnet im Reich Putins Zuflucht suchen musste und nun in einer Phantomzone zwischen Gefangenschaft, Asyl und Infokriegsraketensilo festhängt. Genau solche Dinge passieren doch dauernd bei Le Carré! Snowden scheint einem seiner Bücher entstiegen zu sein, so abgeschmackt solche Vergleiche zwischen Realität und Fiktion oft auch sein mögen.

Wer also Le Carrés neuen Roman „Empfindliche Wahrheit“ aufschlägt, den zügelt keine Vernunft und kein Blick auf den Kalender. Der kann gar nicht anders, als mit der Erwartung an den Roman heranzugehen: Mal sehen, was der große Alte zu Staatsräson und Whistleblowern, zu Snowden und NSA, zu den dichten globalen Abhörnetzen und den Desinformationskampagnen der ertappten Dienste, zu den kalt erwischten Politikern sowie zu den amtlichen Drohungen gegenüber der berichtenden freien Presse zu sagen hat. Mit anderen Worten, die Enttäuschung ist erstmals bei Le Carré garantiert.

Abrechnung mit skrupellosen Politkarrieristen

Denn dieser Roman reagiert nicht auf den Komplex NSA. Er hat ein ganz anderes Thema, und auch hastig hineingestickte Querverweise hat sich der stilsichere Experte für die Schattenwelt verkniffen. „Empfindliche Wahrheit“ rechnet mit New Labour ab, mit skrupellosen Politkarrieristen, die politische Bewegungen ins Gegenteil verkehren, alle Werte umstürzen und sich keinen Moment als Vertreter der wählenden Bevölkerung begreifen, sondern als Nachwuchs einer elitären Riege der globalen Machtspieler.

Le Carré führt uns diese Typen am Beispiel der Ausgliederung heikelster staatlicher Aufgaben an private Firmen vor: Spionage, Kriegsführung, Umgang mit unerwünschten, potenziell gefährlichen, juristisch aber noch unangreifbaren Personen. Dabei erleben wir den Kern des Romangeschehens, wie es sich für ein Verunsicherungsstück gehört, nur aus zweiter Reihe. Was wirklich passiert ist bei einer Antiterroraktion auf Gibraltar, bei der angeblichen Entführung eines islamistischen Strategen von britischem Hoheitsgebiet, das bleibt eine Sache von Verdacht und Hörensagen, von Jubelverlautbarungen und geflüsterten Andeutungen.

Die Themen werden höchst effizient angerissen

Christopher Probyn, ein kleiner Beamter des britischen Außenministeriums, ist zwar mit vor Ort, aber später wird ihm klar, dass er nicht dabei war, um zu kontrollieren, sondern um den Anschein von Kontrolle und Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Probyn und Toby Bell, ein junger Diplomat, der noch nicht jede Regung der Karriereoptimierung unterordnet, beginnen einige Jahre nach der Aktion aufzudröseln, was bis dahin geheime Verschlussdache war und für die Eingeweihten als Sieg der guten Kräfte galt.

Das ist spannend erzählt, die Themen werden höchst effizient angerissen und wieder verborgen – aber für Le Carrés Verhältnisse ist das ein wenig simpel geraten. Fergus Quinn, ein Kabinettsmitglied der Labour-Regierung, wird als ziemliches Monster gezeichnet, als Heuchler, Großmaul und Intrigant. Vielleicht ist das nicht einmal ein ungerechtes Porträt des ein oder anderen Politgangsters, aber wo Le Carré sonst als Malerfürst des Zwielichts auftritt, richtet er nun einen Bühnenscheinwerfer auf eine Figur und brüllt quasi dazu: „So nicht!“ Noch schlimmer ist die nachsichtige Milde, mit der er Probyn und Bell schildert, dieser Gestus des „Früher hatten wenigstens einige noch Werte“.

Ein Gegenentwurf zum Heute

Das würde innerhalb des einzelnen Romans vielleicht noch funktionieren. Aber zwischen Le Carré und uns gibt es eben eine Vorgeschichte. Seine Bücher haben uns immer wieder den diplomatischen Apparat, die Geheimdienste, die Ministerien als Schlangengruben gezeigt. Immer wieder ging es um Komplotte, bei denen man ohne viel Reue und Zerknirschung Kollegen, Verbündete, Freunde vorsätzlich über die Klinge gehen ließ. Wir kennen dieses in „Empfindliche Wahrheit“ vage als Gegenentwurf zum Heute herüberscheinende Gestern aus früheren Le-Carré-Romanen als ziemlich scheußliche Zeit. Das kann beim Lesen allerdings auch zu einer galligen Rührung führen. Selbst John Le Carré ist nun so angewidert von der Realität, dass er sich an Illusionen aufrichtet.