Mit den „Brenner“-Romanen wurde Wolf Haas bekannt. Sein neues Buch ist eine wilde Mischung aus Linguistik, Lust und Rinderwahnsinn.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Diese Rezension hat die Aufgabe, den Leser davon zu überzeugen, dass Wolf Haas’ neuer Roman „Die Verteidigung der Missionarsstellung“ vermutlich das witzigste, klügste und unterhaltendste Buch des Herbstes ist und den Deutschen Buchpreis gewinnen müsste, wenn es denn für ihn überhaupt nominiert wäre – was unbegreiflicherweise nicht der Fall ist. Punkt. Aber eigentlich kann man so keine Rezension beginnen. Es sei denn, man hat Wolf Haas’ neuen Roman gelesen. Schon in seinen anarchischen Brenner-Krimis entledigte sich Haas gerne mal lästigen Darstellungsballastes mit einem lapidaren „und, und, und“. Aber noch viel entschlackender wirkt, wenn er nun einfach schreibt: „hier noch ein bisschen London-Atmosphäre einfügen“ oder „einfach irgendwo was herunteraxoloteln“ wenn es darum geht, Szenen weiter auszumalen, Angedeutetes zu vervollständigen, Lücken zu füllen. Hauptsache, das Gerüst steht.

 

Wir könnten nun also ebenfalls an die Vorstellungskraft des Lesers appellieren, an seine Mitarbeit, und ihn bitten, sich etwas zu Haas’ letztem Roman „Das Wetter vor 15 Jahren“ herunterzuaxoloteln (was soviel heißt wie: fremde Gedanken im Internet zusammenklauben, frei nach Helene Hegemanns Erfolgsroman „Axolotl Roadkill“). Denn hieran knüpft „Die Verteidigung der Missionarsstellung“ an.

Sprache ist Liebe

Wieder wird man Zeuge der Entstehung eines Romans, indem sein Autor gewissermaßen die Motorhaube öffnet und den Blick freigibt auf das komplizierte Innenleben. Außen eine flotte Liebesgeschichte, innen nichts als Sprache. Und obwohl die Hälfte der direkt oder indirekt Beteiligten jedem linguistischen Oberseminar zur Ehre gereichen würde, sind sie doch die Voraussetzung dafür, dass die hier geschilderten, im doppelten Sinn verrückten Amours fous erst so richtig in Gang kommen. Denn Sprache ist Liebe, und ohne sie wäre der halb Hopi-Indianer, halb Alpenländer Benjamin Lee Baumgartner nie in die Verlegenheit gekommen, sich von einer umwerfend schönen Hamburgerverkäuferin in London mit der Rinderseuche infizieren zu lassen, oder wie sie es anmutig anglofon akzentuiert: der „verruckte Kuhe Krankheit“.

Benjamin Lee Baumgartner – der aussieht wie der stumme Indianer in dem Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ und so heißt wie der Sprachforscher Benjamin Lee Whorf, der den Hopis fälschlicherweise fehlendes Zeitgefühl andichtete, – hat die komische Eigenschaft, sich immer in Zeiten zu verlieben, in denen irgendwo eine Seuche ausbricht. Die Liebe geht bei ihm auf fatale Weise durch den Magen und durch ein für linguistische Finessen äußerst sensibles Gehör. Eine Holländerin bestellt in China für ihn „verrüchtes Huhnche“, „Gevögel“ wie sie sagt, was zu eben diesem führt und zu einer hartnäckigen Vogelgrippe obendrein; eine junge Viertelindianerin macht ihn in New Mexico zum ersten Opfer der Schweinegrippe, und am Schluss verlieren sich seine Spuren in einem Sprossenhof im deutschen Bienenbüttel, richtig, da war doch was – Ehec.

Wie es kommt, dass es sich bei der Viertelindianerin eigentlich um Benjamin Lees Tochter handelt, dass dieser eigentlich Lee Ben heißt, nicht nach einem Sprachforscher, sondern weil es so ähnlich wie „lieben“ klingt, und warum sein Vater am Ende eben doch kein Hopi-Indianer war, sondern ein französischer Straßenmusiker – dies zu erklären würde entschieden zu weit führen. Der Leser füge an dieser Stelle also am besten die ausführliche Darlegung äußerst verwickelter, aber hochgradig komischer Zusammenhänge ein.

Todesstoß für die Vernunft

Wir beschäftigen uns stattdessen mit dem Paradox des kretischen Lügners und lesen dazu den Roman ein wenig quer, was bei Wolf Haas, der über die sprachtheoretischen Grundlagen der konkreten Poesie promoviert hat, durchaus wörtlich zu nehmen ist: Wenn ein Kreter sagt, alle Kreter lügen, dann ist der Satz richtig, wenn er falsch ist, und umgekehrt. Mit Sprache über Sprache zu sprechen versetzt der Ordnung der Vernunft den Todesstoß. Es ist nach den Gesetzen der Logik deshalb strikt verboten. Basta. Wer sich nicht daran hält und an die Sprache rührt, wird so irr wie „verruckte Kuhen“.

Aber genau dies tut Wolf Haas unentwegt. Schon auf dem Umschlagbild hält der Autor höchstselbst dem Leser seinen Roman entgegen, und der ist bevölkert von Menschen, die im Begriff sind, ihn zu lesen, was wiederum der Handlung entschieden neue Wendungen gibt, etwa wenn die Frau der Hauptfigur auf diesem Weg von diversen Hamburgerverkäuferinnen erfährt und den armen Haas schließlich als blöden Hund beschimpft, als trage der irgendeine Schuld an der Liebeskrankheit ihres Mannes. Verrückt.

Triumph der Literatur über das Leben

Für das Normale gibt es eigentliche keine speziellen Ausdrücke, nur für das Besondere und Abweichende, stellt Lee Ben bei seinen amourösen Spracherkundungen fest. Mit einer Ausnahme: der Missionarsstellung. „Es kommt mir eigenartig vor, dass es für die normalste Stellung so ein interessantes Wort gibt“, sagt seine holländische „Gevögel“-Freundin an einer Stelle. Und fügt hinzu: „Gegen die spießige Vorstellung der Optimierung muss man doch die einfache Innigkeit der Missionarsstellung verteidigen.“ So kommt der Roman zu seinem Namen. Wenngleich man nicht behaupten kann, dieser mit typografischen Extravaganzen aller Art gespickte Frontalangriff auf Logik und Kausalität, der Dichtung und Wahrheit wie auf einer Zeichnung des niederländischen Perspektivenverdrehers M.C. Escher ineinanderschlingt, stimuliere in irgendeiner Weise unseren Sinn für das Gewöhnliche. Ganz im Gegenteil. Wolf Haas erringt mit diesem Buch einen wunderbaren Sieg der Zeichen über die Wirklichkeit. Ein Triumph der Literatur über das Leben.