Es ist eine neue Trendsportart in Nordamerika – mit der Axt auf eine Zielscheibe werfen. Dabei haben 100-Kilo-Männer gegenüber zierlichen Frauen nicht unbedingt einen Vorteil.

Philadelphia - Mit einem dumpfen „Tschock!“ dringt die Axt in das Kiefernholz ein. „Das Geräusch hat etwas zutiefst Befriedigendes, Beglückendes“, sagt Amy Henderson(41) und zieht ihr Beil mit einem Ruck aus der Zielscheibe. Splitter fallen auf den Betonboden. „Vom Gefühl her ist der Sound das genaue Gegenteil des nervigen Ping-Tons, der anzeigt, dass eine Nachricht auf dem Smartphone angekommen ist.“ Restaurantmanagerin Henderson steht in einem Drahtgitterkäfig in einer ehemaligen Lagerhalle in Philadelphia (US-Bundesstaat Pennsylvania). Beile zischen durch die Luft, auf „Tschocks“ folgen Jubelschreie, untermalt vom harten Sound der Band Metallica, es riecht nach Bier und Holz und ein bisschen nach Schweiß.

 

Urban Axes ist der erste Axtwurfclub der USA. Seit vier Jahren versuchen sich hippe Großstädter hier daran, Wurfbeile mit Wucht auf Zielscheiben zu schleudern – so wie Darts, nur mit schwerem Gerät. In der Mitte ist das Bullseye, das fünf Punkte bringt – je weiter vom Zentrum entfernt das Beil einschlägt, desto weniger Punkte. Die große Kunst ist es, beim beidarmigen Überkopfwurf überhaupt die Bretterwand zu treffen, geschweige denn die Zielscheibe. Und dann sollte die Axt natürlich im Holz stecken bleiben. Deshalb ist das „Tschock“ so wichtig.

Lily Cope (37) ist ein „Axepert“, wie es groß auf ihrem T-Shirt steht, eine Axtexpertin, eine Wurftrainerin. „Das hier hat nichts mit Kraft zu tun“, sagt sie, „die Technik zählt und die Konzentration auf den Bewegungsablauf.“ Sie freut sich diebisch, wenn 100-Kilo-Männer mit ihren Bärten und Holzfällerhemden siegesgewiss ankommen – und nach zwei Stunden Werfens weniger Punkte haben als die zierliche Frau neben ihnen. „Manche wollen sein wie Mel Gibson in ‚Der Patriot‘. Sie erinnern sich? Die Szene, in der er einem Gegner mit dem Tomahawk aus zehn Metern Entfernung den Schädel spaltet?“ Lily schüttelt ihre langen blonden Haare. „Wer Hollywood im Kopf hat, kommt nicht weit. Axtwerfen ist eher so wie Golfen: Maß nehmen, fließende Bewegung, Durchschwung, „Tschock“!

Coole Location, hippe Trainer und junge Gäste mit Tattoos

Seit 2011 haben in Nordamerika mehr als 200 „urban axe-throwing clubs“ aufgemacht. Alles startete in Kanada, dann erreichte der Trend die USA, inzwischen hat er Großbritannien, Australien und Neuseeland erfasst. Auch in Polen gibt es inzwischen die ersten drei Axtclubs. Die Wurfkäfige – es treten immer zwei Werfer gegeneinander an – sind Monate im Voraus reserviert. Die Zutaten: coole Location, hippe Trainer, Bier, Snacks, donnernde gitarrenlastige Musik und junge Gäste mit Tattoos, Vollbärten und Baseballmützen.

2017 gründeten Fans den Weltverband für diesen Sport, Ligen für Freizeitwerfer entstanden, die ersten Hersteller sprangen auf und begannen, ergonomisch geformte Äxte und Schleifwerkzeug herzustellen. Inzwischen werden Wettkämpfe ausgerichtet, bei denen bis zu 50 000 Dollar an Preisgeld vergeben werden. Halbprofis ziehen von Turnier zu Turnier, um von den Prämien zu leben.

Vom Zeitvertreib gelangweilter Holzfäller in abgelegenen Waldgegenden zur neuen Trendsportart ist es nur ein kleiner Schritt. „Axtwerfen hat alles“, sagt der Kanadier Matt Wilson (40) der vor neun Jahren in Toronto den ersten Axtwurfclub gegründet hat, „die Leute können ihren inneren Wikinger rauslassen, gleichzeitig ist es ungefährlich, fast schon meditativ – und hundertprozentig antidigital“, sagt er. Er zeigt auf eine zersplitterte Zielscheibe: „Städter sehnen sich danach, irgendwas mit ihren Händen zu machen, das ein Ergebnis hinterlässt.“ Beilwerfen als „Axtsamkeitsübung“.

Die Gefährlichkeit der Wurfwaffe blitzt noch immer durch

Bei aller spaßigen Beilschleuderei wird verdrängt, dass es sich bei den Äxten tatsächlich um Mordwaffen handelt. Die in der Merowingerzeit von den Franken verwendete Wurfaxt Franziska, auch Franciska genannt, war eines der todbringendsten Kriegsgeräte des Mittelalters. Und immer wieder blitzt die Gefährlichkeit der Wurfwaffe auch heute noch durch.

Kürzlich wollte ein Moderator des Fernsehsenders Fox bei einem Dreh in New York den neuen Trendsport vorführen. Vor laufender Kamera warf er seine Axt auf die mehrere Quadratmeter große Zielscheibe, verfehlte sie klar und traf einen hinter der Bretterwand stehenden Trommler einer Blaskapelle mit dem Schaft der Axt am Ellbogen. Der Trommler kommentierte trocken: „Zum Glück war der Typ ein lausiger Werfer. Hätte er mich mit der Schneide am Kopf oder der Brust getroffen, wäre ich jetzt tot.“

Als Restaurantmanagerin Amy Henderson kürzlich in eine Polizeikontrolle geriet, bat der Beamte sie, ihren Kofferraum zu öffnen. Darin: drei sorgfältig in Tücher eingewickelte Wurfäxte. Nicht registrierte Waffen, streng genommen. Als sie dem Polizisten erklärte, dass sie eine Hobbyaxtwerferin sei, habe der nur verständnisvoll genickt. Er habe schon davon gehört, „klingt cool“, sagte er, wo man das denn genau machen könne? Demnächst will er vorbeikommen, zum Ausprobieren.