Der 22-jährige Koreaner Choi Sung-bong ist ein Waisenkind und der neue Stern am Castinghimmel. Dabei wollte er eigentlich nur normal sein.

Stuttgart - Ich möchte einfach normal sein", murmelt Choi Sung-bong. Wer ihn das sagen hört, weiß schon, was kommt, und hat das Taschentuch griffbereit. Acht Minuten und zwei Sekunden dauert der Youtube-Clip, der mit Chois schüchtern vorgetragenem Wunsch beginnt und damit endet, dass Choi noch weniger normal ist als zuvor. Der 22-jährige Südkoreaner ist der neueste Stern am weltumspannenden Casting-Show-Himmel. Mit der richtigen Mischung aus trauriger Lebensgeschichte, unvorteilhaftem Äußeren und bombastischer Stimme hat er sich in die Herzen eines Millionenpublikums gesungen - sowohl zu Hause als auch international.

 

Als "Paul-Potts-Moment" bezeichnen Fernsehmacher die magischen Sendeminuten, die zum Unterhaltungsversprechen jeder Auswahlshows gehören. Benannt sind sie nach dem englischen Tenor, der 2007 durch "Britain's got Talent" zum Weltstar wurde. Wenn es nach den Koreanern ginge, sollte bald vom "Choi-Sung-bong-Moment" die Rede sein. Über zehn Millionen Clicks hat allein die Englisch untertitelte Version seines Auftritts bereits bekommen. In seiner Heimat hat er sich über Nacht in die Liga der A-Promis katapultiert.

Choi Sung-bong´s Aufstieg beginnt mit  "Korea's got Talent"

Sein Aufstieg beginnt am 6. Juni in der Sendung "Korea's got Talent". Mit Topffrisur und Holzfällerhemd steht er auf der Bühne und erzählt seine Lebensgeschichte, die klingt wie eine Gossentragödie aus einem Charles-Dickens-Roman. "In Ihrer Bewerbung haben Sie die Spalte Familie nicht ausgefüllt", leitet eine der Jurorinnen den sorgfältig inszenierten Auftritt ein. "Ich wurde mit drei in einem Waisenhaus abgegeben", antwortet Choi, "und als ich fünf war, lief ich weg, weil ich geschlagen wurde."

Seitdem habe er sich ganz alleine durchgeschlagen. Er verkauft Saft und Kaugummi, liefert Milch und Zeitungen aus, schläft in Treppenhäusern oder öffentlichen Toiletten. Eine Grundschule besucht er nicht, darf später aber durch eine Sonderaufnahmeprüfung an die Mittelschule. Nach der mittleren Reife geht er ab und arbeitet auf dem Bau. In einem Nachtclub, in dem er Snacks anbietet, entdeckt er die Musik. "Singen war das Erste, was mir Spaß gemacht hat, nachdem mein Leben zuvor wie das einer Eintagesfliege gewesen war", erzählt er. "Aber ich bin kein guter Sänger."

Sein Auftritt hat Castingshow zur erfolgreichsten des Landes gemacht

Es folgt der Beweis des Gegenteils. In schmelzendem Bariton rezitiert er "Nella Fantasia", einen Klassikpopschlager der Sopranistin Sarah Brightman, der wie gemacht ist für einen Verwandlungsakt vom Normalo zum Star. "In meiner Vorstellung sehe ich eine gerechte Welt, in der alle in Frieden und Ehrlichkeit leben", heißt es darin auf Italienisch. Das koreanische Publikum versteht das Lied auch ohne den Text. Im Auditorium verbreiten sich Gänsehaut, Tränen und am Ende ergriffener Applaus. "Ich will dich einfach nur umarmen", schluchzt eine Jurorin.

Der Auftritt des 22-Jährigen hat "Korea's got Talent" zur erfolgreichsten Castingshow des Landes gemacht, und das, obwohl Auswahlsendungen in Korea viel Konkurrenz und eine lange Tradition haben. Der Volksmusikwettbewerb "Jeonguk Norae Jarang" (Koreas lokale Musikshow) läuft bereits seit über 30 Jahren jede Woche. Jeder Sender hat ein eigenes Castingprorgramm. Obwohl es zum Selbstbild der Koreaner gehört, eine vom Sozialdarwinismus geprägte Gesellschaft zu sein, leben sie in Auswahlshows immer wieder eine heimliche Sympathie für Underdogs aus.

Korea hat ein Bedürfnis nach internationaler Anerkennung

"Die Zunahme von Castingshows zeigt einen allgemeinen Wunsch der koreanischen Gesellschaft nach fairem Wettbewerb in der Gesellschaft", schreibt die "Korea Times". Nicht weniger groß ist das Bedürfnis nach internationaler Anerkennung, und dies hat lange keiner so gut befriedigt wie Choi Sung-bong. Abgesehen von der Eiskunstläuferin Kim Yu-na ist kaum ein Koreaner außerhalb seiner Heimat bekannt - ein wunder Punkt im koreanischen Nationalgefühl. Umso euphorischer verfolgen die koreanischen Medien deshalb nun, wie viel Aufmerksamkeit der junge Sänger im Ausland bekommt. Dass die Koreaner ihn so schnell wieder fallen lassen, wie die Engländer einst Susan Boyle, die bei "Britain's got Talent" nur Zweite wurde, ist nicht zu erwarten. Normal wird alles schon früh genug wieder.