Dabei steht der 61-Jährige dem Verband gar nicht vor. Der Schachzug, den Südwestmetall-Vize anstelle des Vorsitzenden ohne großes Aufsehen als Verhandlungsführer zu etablieren und damit die IG Metall zu überraschen, ist aus seiner eigenen Sicht zumindest gelungen. Selbst der gewählte Chef der Arbeitgeber, Joachim Schulz, hatte bei seiner ersten Pressekonferenz Ende Juni mit dieser Umbesetzung offenkundig noch nicht gerechnet. Nun kommt ihm eher eine präsidiale Funktion zu, während die Argumentationsfähigkeiten und die Praxisnähe von Marquardt für mehr Schlagkraft am Verhandlungstisch genutzt werden soll.
Der Fokus liegt nun auf kleineren und mittleren Betrieben
Der Rollentausch geht mit einer neuen Arbeitsteilung des Verhandlungsteams der Arbeitgeber einher. Vorbei sind damit die Zeiten, als sich auf dem Höhepunkt der Tarifrunde der Südwestmetall-Chef und der Daimler-Arbeitsdirektor zu entscheidenden Vier-Augen-Gesprächen mit dem IG-Metall-Bezirksleiter und dem Daimler-Gesamtbetriebsratschef zurückzogen. Für die Arbeitgeber gilt diese Konstellation nicht mehr: Die im engeren Verhandlungskreis nun besser positionierten Mittelständler wollen den Vertretern der Autohersteller aufseiten der IG Metall deutlich machen, dass der Fokus künftig auf den nicht so großen Betrieben liegen soll. Zumal diese von der Energiekrise stärker in Nöte versetzt werden als die international aufgestellten Konzerne. Der frühere Verhandlungsführer Wilfried Porth, zugleich Daimler-Personalvorstand, tat sich mit dieser Sichtweise naturgemäß schwerer.
„Die IG Metall bestimmt nicht die Agenda“
Auch Marquardt kann klare Kante, keine Frage: „Wir lassen es nicht zu, dass die IG Metall Teilen der deutschen Industrie das Licht ausmacht“, sagt er zum Beispiel über die Acht-Prozent-Forderung der Gegenseite. Zudem verbittet er sich Mahnungen von seinem Pendant Roman Zitzelsberger, in der Tarifrunde nicht über „Randthemen“, sondern nur über die Lohnerhöhung zu reden. „Die IG Metall bestimmt nicht die Agenda der Verhandlungen – insofern werden wir gemeinsam über das reden, worüber zu reden ist.“ Dieses Gefühl der Verantwortung erwarte er auch von der anderen Seite.
Sein großes Pfund ist die unmittelbare Erfahrung aus einem weltweit agierenden Mittelstandsunternehmen mit bundesweit gut 2000 Beschäftigten. „Ich bin sehr dicht an unseren Mitarbeitern und an unserem Betriebsrat“, sagt er und erwartet von seinen Leuten das Verständnis, „dass das Inflationsthema gemeinsam geschultert werden muss“, weil die Unternehmen ebenso mit den Preissteigerungen zu kämpfen hätten. Er verkenne nicht eine „gewisse Heterogenität“ – manche in der Belegschaft seien da anderer Meinung. Doch sei ihm auch schon „von mehreren Seiten zugetragen worden, dass die Sorge um die Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit unserer Arbeit zunimmt und dass die Bereitschaft zu Wohlstandseinbußen für eine Übergangszeit eher da ist als das Verlangen nach überzogenem Geld, das dann im Endeffekt mit dem Verlust des Arbeitsplatzes quittiert wird“. Er wisse aus jahrzehntelanger Tariferfahrung im Hintergrund, dass die Belegschaften in der Mehrheit sehr vernünftig seien und sehr wohl sähen, was geht und was nicht geht. Die Streiks schrecken ihn daher nicht – er wisse, wie sie zustande kämen. „Persönlich gebe ich nichts darauf, ob die IG Metall 1000, 5000 oder 20 000 Menschen auf den Hof treibt. Das ist für uns kein Indikator für die Verhandlungen – wir setzen auf die Vernunft der schweigenden Masse.“
Harte Verhandlungen mit den Automobilherstellern
Seit 2015 ist er Chef der Marquardt-Gruppe, eines Weltmarktführers bei Elektrowerkzeugschaltern mit Sitz in Rietheim-Weilheim. Insofern ist der 61-Jährige verhandlungsgestählt, denn ein Zulieferer muss sich im Ringen um Aufträge und Preise ständig auch gegen Automobilhersteller bewähren. Die Einwirkungen der stark erhöhten Kosten für Material, Energie, Logistik und fehlende Auslastung seien „so gewaltig, dass man im individuellen Bereich noch mal reden muss – was aber nicht nur für uns, sondern für alle Zulieferer gilt“, kündigt er neue Verhandlungen an. „Wenn man ein Produkt plus Geld geben soll, geht die Rechnung nicht auf.“
Die Gespräche mit den Herstellern seien nicht einfach. „Wir kriegen nicht alles durchgesetzt, aber man hört uns zu und ist grundsätzlich offen für unsere sehr stechenden Argumente.“ So wie Harald Marquardt das jetzt auch von der Gewerkschaft erwartet.
Fahrplan der weiteren Tarifverhandlungen
Angebot
Die zweite Verhandlungsrunde im Tarifkonflikt der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg soll an diesem Mittwoch um 14 Uhr beginnen. Mit einem längeren Schlagabtausch ist nach den Erfahrungen aus anderen Tarifgebieten nicht zu rechnen. Auch dürfte die Erwartung der IG Metall an ein Angebot der Arbeitgeber nicht erfüllt werden. Erstmals in dieser Tarifrunde wird es eine größere Kundgebung mitsamt Demozug am Verhandlungsort in Kornwestheim geben sowie weitere Aktionen an anderen Orten.
Warnstreiks
Die Friedenspflicht endet am 28. Oktober um 24 Uhr. Vom 29. Oktober an ist dann mit Warnstreiks der Gewerkschaft zu rechnen. Voraussichtlich wird die große Protestwelle aber erst nach den Herbstferien, also vom 7. November an, rollen.