Überraschend eindeutig hat der WDR-Rundfunkrat Tom Buhrow zum neuen Intendanten gewählt. Auf den bisherigen „Tagesthemen“-Moderator warten viele Aufgaben.

Köln - Tom Buhrow also. Einer, der „Brücken bauen“, der ein „Intendant zum Anfassen“ sein will. Die Schlüsselfrage nach seiner Wahl am Mittwoch scheint nun zu sein: Ist Buhrow, der freundliche Nachrichtenerklärer aus den „Tagesthemen“, der Rheinländer mit dem Faible für Amerika, Sport, Musik und Karneval, der Katholik und Vater von zwei Kindern, der Mann, den alle als „netten Kerl“ beschreiben, für diesen nicht ganz unbedeutenden Job in Köln beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) vielleicht zu nett?

 

Über mangelnde emotionale Zuwendung können sich die 4100 Festangestellten des größten ARD-Senders jedenfalls schon jetzt nicht beklagen: Nach seiner Wahl gab der 54-Jährige eine umfassende Liebeserklärung ab. Für seinen Heimatsender WDR und dessen Belegschaft, die bitte schön Spaß haben und auch Fehler machen dürfe. Für das Land Nordrhein-Westfalen, über dessen Marktplätze er ziehen wolle. Ach, und eigentlich für die ganze Welt. „Ich düse im Sauseschritt und bring die Liebe mit“, zitierte er ein bekanntes Lied aus der Neuen-Deutsche-Welle-Ära. „Ich bring die Liebe mit“ – da gab es Applaus von den anwesenden WDR-Redakteuren, die offenbar in der Ära Monika Piel ein wenig unter Liebesentzug litten.

Was steckt hinter dieser popkulturell verbrämten Liebesoffensive, vielleicht eine geschickt verpackte Ankündigung zur Attacke? Buhrow hat eine schier unlösbare Aufgabe vor sich: Liebe auf Erden, gut und schön, aber sogar innerhalb der ARD-Intendantenrunde? Oder im Streit mit den Verlegern über die „Tagesschau“-App? Mit dem ZDF über einen gemeinsamen Jugendkanal? Mit den Dokumentarfilmern über mehr Sendeplätze? Mit den Produzenten um eine angemessene Vergütung? Mit Weltkonzernen wie Google über einen fairen Wettbewerb im Netz? Und was, wenn das Publikum keine Liebe, sondern einfach nur niedrigere Gebühren möchte?

Der Rundfunkrat war vom Kandidaten überzeugt

Möglicherweise aber wird der nette Herr Buhrow unterschätzt. Erwiesenermaßen können prominente Journalisten trotz fehlender Managementerfahrung starke Intendanten sein. Beim WDR weiß man das seit Friedrich Nowottny und Fritz Pleitgen, die den Sender von 1985 bis 2007 führten. An Enthusiasmus und Willen mangelt es Buhrow gewiss nicht, nun kommt es auf taktisches Geschick, Durchsetzungsvermögen und ein glückliches Händchen bei Personal- und Programmentscheidungen an.

Zeit zur Eingewöhnung hat Buhrow wenig. Im Herbst wird innerhalb der ARD über den internen Finanzausgleich verhandelt, und im nächsten Jahr müssen beim WDR mehrere Direktorenposten neu besetzt werden. Ganz zu schweigen von den Baustellen in den ARD-Programmen, die mehr Mut, Ausdauer und eine stärker erkennbare öffentlich-rechtliche Handschrift verdient hätten. Über die Kritik und Zweifel am neuen Beitragsmodell zur Finanzierung von ARD und ZDF wird man in der Öffentlichkeit nicht nett hinweglächeln können, da braucht es eine kräftige Stimme und überzeugende Argumente.

Den Rundfunkrat jedenfalls hat der kommunikative, aufgeschlossene Buhrow überzeugt. Der „Tagesthemen“-Moderator, der auch als Favorit galt, hatte sich souverän durchgesetzt und gleich im ersten Wahlgang mit 41 von 47 möglichen Stimmen gewonnen. Abgeschlagen die anderen Kandidaten: Jan Metzger, der bei Radio Bremen bereits Intendant ist, erhielt vier Stimmen, Stefan Kürten, Direktor bei der Europäischen Rundfunkunion, zwei. Das ist ein ziemlich glanzvoller Sieg. Buhrow hatte sich selbst nicht beworben, sondern war vom Rundfunkrat gefragt worden. „Ich habe diese Aufgabe nicht auf meiner Lebensplanungsliste gehabt. Diese Aufgabe hat mich gesucht“, sagte er.

Verständliche und schnörkellose Moderationen

Allerdings hatte die Aufgabe auch noch andere gesucht. Der Rundfunkrat handelte sich einige schmerzhafte Absagen ein, von den Intendanten Lutz Marmor (NDR) und Thomas Kleist (SR) zum Beispiel. Kleist galt als Kandidat der SPD-Vertreter im Gremium. „Die Bewerber haben bei uns nicht gerade Schlange gestanden“, sagte ein Rundfunkratsmitglied vor der Wahl. Unangenehm sei außerdem gewesen, dass keine Kandidatin präsentiert werden konnte. Geeignete Frauen seien zwar angesprochen worden, aber letztlich hätten alle abgewinkt. Für den WDR einen anderen Posten aufzugeben oder sich in eine öffentlich beobachtete Kandidatur mit ungewissem Ausgang zu begeben kam für viele offensichtlich nicht infrage.

Für Buhrow schon. Der Journalist, 1958 in Troisdorf bei Köln geboren, hat den WDR im Grunde nie verlassen. Nach dem Volontariat arbeitete er als Redakteur und später als Reporter und Chef vom Dienst beim Regionalmagazin „Aktuelle Stunde“. 1992 schickte ihn sein Sender in die „Tagesschau“-Redaktion, kurz darauf als Korrespondent nach Washington. Dort blieb er, abgesehen vom Pariser Zwischenspiel (2000–02), bis er im Jahr 2006 die Nachfolge von Ulrich Wickert bei den „Tagesthemen“ antrat. Auch das auf WDR-Ticket. Sein Nachfolger könnte New-York-Korrespondent Thomas Roth werden.

Buhrows Moderationsstil empfanden Kritiker als bestenfalls solide, ihn als Person zu blass. Buhrow selbst wollte den Zuschauern auf Augenhöhe begegnen. Er bevorzugte eine verständliche, schnörkellose Moderation – das gelang ihm ganz gut, war aber weit entfernt von der sprachlich geschliffenen Moderation eines Hanns Joachim Friedrichs. Auch der ironische Unterton und das Mienenspiel eines Ulrich Wickert war nicht Buhrows Sache. Sein freundliches Wesen wirkte im Hamburger Studio braver als in den USA, wo er als hemdsärmeliger Korrespondent lockerer auftreten konnte. Fernsehen ist eben auch die Kunst, den richtigen Platz zu finden. Ob das Tom Buhrow und dem WDR-Rundfunkrat nun gelungen ist, wird sich zeigen.