Wenn sich die Fertigstellung des Tiefbahnhofs um zwei Jahre verzögert, drohen Autofahrern und Anwohnern weitere Jahre mit Belästigungen. Doch es gibt noch mehr Betroffene.
Stuttgart - Möglicherweise zwei Jahre mehr bis zur Fertigstellung des neuen Stuttgarter Bahnhofs – statt Ende 2021 vielleicht erst Ende 2023. Diese Hiobsbotschaft des Bahn-Vorstands könnte für die Menschen im Großraum Stuttgart vielfältige Folgen haben. Folgen für Verkehrsteilnehmer und Anwohner Sollte es bei zwei Jahren Bauverzug bleiben, haben Bahn-Fahrgäste bis Ende 2023 lange Wege zwischen der Großen Schalterhalle und den Bahnsteigen des Kopfbahnhofes. Denn die Rammböcke der Gleise sind weit zurückverlegt, damit der Durchgangsbahnhof vor der Großen Schalterhalle erstellt werden kann. Weil der frühere Abgang im Bahnhof zur S-Bahn-Station Hauptbahnhof gesperrt ist, drohen auch den Umsteigern zwischen Fernzügen und S-Bahnen bis 2023 lange Umwege.
Umleitungen von Stadtbahnlinien
Stadtbahnfahrgäste müssen seit 17. Mai mit ersten Umleitungen von Stadtbahnlinien (U 1, U 2, U 4) wegen der S 21-Baustelle leben. Zeithorizont: mehr als ein Jahr. Außerdem, hatte die Stuttgarter Straßenbahnen AG schon 2014 angekündigt, dass es etwa von Frühjahr 2017 an für zwei Jahre Umleitungen der Linien U 9 und U 14 wegen der S-21-Baustelle geben wird. Muss jetzt auch dieser Zeitplan erweitert werden? Das werden die Verkehrsbetriebe zu erläutern haben. Fragen ergeben sich auch für die Verkehrsführung. Der Autoverkehr ist im Bereich Gebhard-Müller-Platz bereits auf verlegte Fahrspuren geleitet worden – wie auf der anderen Seite des Bonatz-Bahnhofs im Bereich Heilbronner Straße, wo bis Ende 2021 noch viele Fahrbahnverlegungen für den Bahnhofsbau vorgesehen waren.
Die Anwohner der Baulogistik-Einrichtungen etwa im Stuttgarter Nordbahnhofviertel müssen noch länger mit Feinstaub, Abgasen und Lärm von den S-21-Baustellen leben müssen. Die Folgen für die Stadt Überall Baustellen, neu markierte Fahrbahnen, Rohre für das Grundwassermanagement beim Bahnhofsbau: Stuttgarts Stadtbild leidet noch länger. Am gravierendsten dürfte sich der Verzug auf den Wohnungsbau auswirken. Die derzeitigen Bahnflächen, die die Stadt schon gekauft hat, sollen im Europaviertel und im künftigen Rosensteinviertel Platz für weitere 6500 Wohnungen bieten. Nur für etwa 1000 können Flächen an der Nordbahnhof- und an der Rosensteinstraße vergleichsweise schnell entwickelt werden. Bei den anderen ist die Stadt auf die Fertigstellung des Bahnhofes angewiesen. Selbst bei einer Inbetriebnahme Ende 2021 wären die Flächen kaum vor 2025 verfügbar, weil der Bahnbetrieb erst mit Erfolg umgestellt und etwaige Altlasten beseitigt werden müssen. Die Grundstücke werden jedoch dringend gebraucht, um den ab 2020 noch gravierender werdenden Engpass im Wohnungsangebot abzumildern. Die Bauflächen kämen „um Jahre zu spät“, hieß es schon angesichts der alten S-21-Zeitpläne im Rathaus.
Finanziell immerhin scheint die Stadt gewappnet für Verzögerungen: Ende 2020 müsste die Bahn die Flächen eigentlich an die Stadt übergeben. Von da an muss sie für den Gegenwert der nicht verfügbaren Grundstücke Verzugszinsen bezahlen.
Geringerer Zeitdruck bei Einzelmaßnahmen
Die Folgen für die Region Die Region Stuttgart ist von einer verspäteten Fertigstellung gleich mehrfach getroffen. Das Rosensteinviertel oder zumindest Teile davon spielen eine zentrale Rolle bei einer möglichen Internationalen Bauausstellung (IBA), die die Region mit großem Elan und nicht geringem finanziellen Einsatz vorantreibt. Die IBA hat als Zieldatum das Jahr 2027, weil dann die Weißenhofsiedlung 100 Jahre alt wird. Jede Verzögerung von S 21 wirkt sich auf die IBA aus.
Eine spätere Inbetriebnahme des Bahnhofes macht sich auch für den Regionalverkehr negativ bemerkbar. Die Region steuerte rund 100 Millionen Euro zu dem Milliardenprojekt bei, weil sie sich vom Durchgangsbahnhof in Tieflage bessere regionale Zugverbindungen mit zeitlichen Vorteilen erwartet – etwa von Esslingen nach Ludwigsburg (18 statt 30 Minuten). Zudem beteiligt sich die Region an den Zusatzkosten für das dritte Gleis am Flughafen mit 20 Millionen Euro mit der Option, dass die S-Bahn später einmal über die Neubaustrecke ins Neckartal fahren kann. All das wird nun später fertig, was die Bemühungen der Region um ein besseres Nahverkehrssystem mit der S-Bahn zurückwirft. Andererseits: Viele noch offene Fragen, etwa zusätzliche Weichen für einen Anschluss der Gäu-/Panoramabahn nach Feuerbach und Bad Cannstatt oder ein drittes Gleis in der neuen S-Bahn-Station Mittnachtstraße können nun mit geringerem Zeitdruck angegangen werden.
Auswirkungen auf Metropolexpresszüge
Die Folgen für das Land Das Land ist mit 930 Millionen Euro Mitfinanzier der Neubaustrecke von Stuttgart nach Ulm. Von zusätzlichen Kosten, die sich durch Zeitverzögerungen unweigerlich ergeben, ist es betroffen, weil die Bahn grundsätzlich eine Mitfinanzierung bei Mehrausgaben erwartet, was die neue grün-schwarze Landesregierung nach einigem Streit aber ablehnt. Statt einem strikten Nein wie unter Grün-Rot heißt es nun, man halte an dem Ziel fest, sich nicht stärker zu beteiligen. Aber es stellt sich beispielsweise die Frage, was passiert, wenn die Neubaustrecke deutlich früher fertig wird als der Stuttgarter Bahnknoten. Es könnte durchaus sein, dass dann in Wendlingen eine leistungsfähigere Verbindung an das Schienennetz im Neckartal geschaffen werden muss, um einen ständigen Betrieb zu gewährleisten. Wenn der Tiefbahnhof später fertig wird, wirkt sich das auch auf die Metropolexpresszüge aus, die das Land zur Entlastung der S-Bahn und zur Förderung des Nahverkehrs im Großraum Stuttgart verkehren lassen will. Das ist zwar auch im bestehenden Kopfbahnhof möglich, aber der volle Nutzen ergibt sich erst im Durchgangsbahnhof. Die Folgen für den Flughafen Er hat sich an der Finanzierung von S 21 beteiligt, weil er sich durch den Anschluss an den Bahnknoten Stuttgart nach einer Übergangszeit pro Jahr rund eine Million Fluggäste zusätzlich erhofft. Eine Million Fluggäste bedeuten rund 25 Millionen Euro Umsatz pro Jahr, die nun erst später erzielt werden können. Stadt und Region sowie touristisch interessante Gebiete wie der Schwarzwald leiden noch einmal gesondert unter den Verzögerungen: Ihnen entgehen Gelder, die Fluggäste als Besucher oder als Urlauber ausgeben würden.