Die Toten Hosen und Musiker der Düsseldorfer Musikhochschule Robert Schumann haben sich für Musik, die von den Nazis verfemt wurde, zusammengetan. Jetzt ist die CD zum Gedenkkonzert „Willkommen in Deutschland“ erschienen.

Düsseldorf - Es gibt Konzerte, die auch erfahrenen Musikern noch Lampenfieber bereiten. Als sich die Toten Hosen mit dem Sinfonieorchester der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule im Oktober 2013 für drei gemeinsame Auftritte zum Thema „Entartete Musik“ verabredet hatten, war es um die Nachtruhe von Andreas „Campino“ Frege jedenfalls erst einmal geschehen. „In den Wochen vor den Konzerten habe ich sehr schlecht geschlafen“, bekennt der Sänger der Toten Hosen.

 

Kein Wunder, denn der Band stand das wohl ungewöhnlichste Projekt ihrer Karriere bevor. Drei Abende lang erinnerte man unter dem Titel „Willkommen in Deutschland – ein Gedenkkonzert“ an die Ausstellung „Entartete Musik“ aus dem Jahr 1938; eine Hetzschau, in welcher der rassenwahnsinnige deutsche Nationalsozialismus missliebige Komponisten und Musiker verfemte, deren Schaffen zu zerstören versuchte und vor dem menschlichen schon mal den kulturellen Massenmord initiierte. Nun erscheinen diese Konzerte, in der Düsseldorfer Tonhalle klanglich exzellent aufgezeichnet, als bewegendes CD-/DVD-Set: ein Triumph des Humanismus über den Hass – den sich die „Hosen“ allerdings hart erarbeiten mussten.

Erste, noch recht profane Hürde: die Zusammenarbeit mit einem Orchester. „Wir mussten uns eine gemeinsame Sprache mit den Klassikleuten erst erschließen. Von uns kann ja keiner Noten lesen, und wenn es bei denen heißt: ab Takt 62 mit etwas mehr Adagio, bitte, dann haben wir spontan wenig Ahnung, was gemeint ist“, erzählt der Gitarrist Michael „Breiti“ Breitkopf. „Auch an die Zeichensprache eines Dirigenten mussten wir uns erst gewöhnen – den haben wir ja sonst nicht.“ Und die Kollegen „Kuddel“ von Holst und Andi Meurer staunten: „Bei denen gibt es ja richtige Probepläne, wann zum Beispiel die Streicher dran sind. Wir besprechen uns immer nur kurz, um wieviel Uhr wir uns treffen.“

Geübt in diversen Stilen von Jazz bis Balkan

Schon etwas schwieriger: die Auseinandersetzung mit teils hochkomplexen Werken von Klassik bis Swing – obwohl die ehemaligen Punkrocker die drei Akkorde schmalen Kompositionen ihrer Anfangsjahre längst hinter sich gelassen haben und ihr gewachsenen Fähigkeiten in diversen Stilen von Jazz bis Balkan mehrfach überzeugend demonstrierten. „Früher waren wir recht engstirnig. Die Hosen, das war Punk und sonst nichts“, bekennt der Saitenmann und Songschreiber Kuddel. „Für anderes, Pop oder Jazz, gab es quasi keinen Platz. Aber mit einem Orchester und seinen Sounds zu spielen: das war super“.

Ein Weg, der Campino und Co. mehr als zwei Stunden lang durch ein immens heterogenes Repertoire führte. Schließlich traf der Bannstrahl der Nazi-Kulturvernichter von Klassik über leichte Muse bis Chanson alles, was nichtarischer und politisch unbotmäßiger Herkunft war. „Inhaltlich ist es ja ohnehin nicht zu verstehen, was die Nazis als ,entartete Musik‘ bezeichneten“, erklärt Campino einem aufmerksamen Düsseldorfer Publikum dieses Programm ohne einen roten, wohl aber mit einem braunen Faden. Ein KZ-Lied wie „Die Moorsoldaten“ wird da eingerahmt von einem fröhlich-frivolen Spottgesang wie Fritz Grünbaums „Einen großen Nazi hat sie“ und Erich Wolfgang Korngolds Suite aus „The Sea Hawk“, geschrieben für den Errol-Flynn-Piratenfilm „Der Herr der sieben Meere“. Auch Korngold war Jude – und damit ungeachtet jeglicher ästhetischer oder künstlerischer Kriterien automatisch ein Fall für den Urteilsspruch „entartet“.

Beim Hören schnürt es einem die Kehle zu

Ergänzt wurde das Repertoire um thematisch passende Musik aus dem Hosen-Fundus – Thomas Leander, der Prorektor der Schumann-Hochschule, hatte die Hosen ja nicht ohne Grund angesprochen. Und so finden sich Statement-Songs wie „Sascha, ein aufrechter Deutscher“ oder „Ballast der Republik“ im Programm – wobei die Band mit manchem Eigenwerk durchaus selbstkritisch umgeht. „1992 haben wir als Reaktion auf die Brandanschläge von Rostock und Hoyerswerda ein Lied geschrieben, das textlich vielleicht etwas hilflos war“, kommentiert Campino den titelgebenden Song „Willkommen in Deutschland“, „aber es war damals einfach der verzweifelte Versuch, sich auszudrücken“.

Als heikelster Punkt entpuppte sich indes die Musizierhaltung: wie nur Kompositionen spielen und singen, in deren Partituren Tod und Grauen steckt? Hört man den Gast-Chor des Düsseldorfer Humboldt-Gymnasiums Auszüge aus der Kinderoper „Brundibár“ des tschechischen Komponisten Hans Krása vortragen (die im Konzentrationslager Theresienstadt mehr als achtzig mal von Kindern aufgeführt wurde), schnürt es einem schon beim bloßen Hören förmlich die Kehle zu.

„Die Kraft der Musik musste betont werden.“

Gut nachvollziehbar also, wie sehr ein solcher emotionaler Grenzgang erst die Musiker auf der Bühne forderte. „Mir war klar, dass wir einen Fehler nicht machen dürfen: in einen Betroffenheitsmodus zu verfallen“, meint Campino. „Der Weg musste anders laufen: die Schönheit, die Kraft der Musik musste betont werden“. Und Breiti ergänzt: „Die Leute sollten mit dem Gefühl nach Hause gehen, auch Freude und Spaß gehabt zu haben“.

So poltern die Hosen im Stil eines Tom Waits durch den „Alabama Song“ aus Brechts „Dreigroschenoper“ oder rocken dynamisch in „Stimmen aus dem Massengrab“ nach einem Gedicht von Erich Kästner. Als Ankerpunkt der drei Abende kristallisierte sich freilich das wohl anspruchsvollste Werk des Sets heraus: Schönbergs Zwölfton-Drama „Ein Überlebender aus Warschau“, das sich dank Campinos verbalem Furor und der subtil-dramatischen Klangsprache des Orchesters wie eine Faust um die Seele des Hörers schließt.

Der direkte Dialog mit Angela Merkel muss nicht sein

Gänsehaut pur – und alles andere als leichter Stoff. „Zugegeben: Dieses Album ist nichts, was man nebenher hören kann. Darauf muss man sich einlassen wollen“, meint Breiti, „aber wir wollen das auch den Leuten, die nicht bei den Konzerten sein konnten, zugänglich machen“. Nicht zuletzt als politisches Statement. Mehr als zwanzig Jahre alt sind Hosen-Songs wie „Sascha“ oder „Willkommen in Deutschland“ mittlerweile, aber in einem Land, in dem Flüchtlingsunterkünfte abgebrannt und Opfer von Krieg und Vertreibung mit Steinen beworfen werden, von ungebrochener Relevanz. „Es gibt Orte in Deutschland, wo Neonazis das Gewaltmonopol des Staates für sich beanspruchen. Dagegen muss man Zeichen setzen. Wir tun das mit unseren Möglichkeiten“. Ob dazu auch einmal der direkte Dialog mit der Politik gehören könnte? Ein Gespräch mit der Kanzlerin etwa? „Das gehört nicht zu unseren Hausaufgaben“, erwidert Breiti. „Aber wenn jemand aus der Politik uns zu einem nichtöffentlichen Gespräch einladen würde, würden wir uns dem nicht verweigern“.