Bob Dylan legt ein neues Album vor. Es ist sein inzwischen 37., und ob es gut ist oder nicht, daran scheiden sich die Geister der Feuilletons.

Stuttgart - Er bringt jetzt ein Album heraus, das „Fallen Angels“ heißt. Allein schon der Titel. Bob Dylan hat ja immer gerne abgegriffene, leicht kitschige Bilder umgesetzt, verarbeitet, verfremdet, um damit den Anschluss an jenes kollektive Moment zu wahren, das jeder populären Musik inne wohnt. Aber jetzt und heute ein ganzes Album mit diesem Titel? Nun ja. Einer, der nächste Woche 75 Jahre alt wird, darf das vielleicht. Er darf dieses ganze Album womöglich auch mit klassischen alten amerikanischen Songs besetzen, von denen kein einziger von ihm selbst stammt, die aber umgekehrt gerne mal als Evergreens oder legendär bezeichnet werden. Titel wie „Young at Heart“, „It had to be you“, „Nevertheless“ oder „Melancholy Mood“ würden in dieser Form in jede Nachtbar des klassisch seriös gehobenen Zuschnitts passen, in die es solche Best Ager wie Dylan nach dem Besuch der örtlichen Disco vielleicht noch zu einem kleinen Absacker hinzieht.

 

Bob Dylan hatte diese seltsame Rückwärtsgewandtheit ja schon mit seinem Vorgängeralbum angedeutet, auf dem er mit seiner typisch knarzigen Schnarrstimme lauter Frank-Sinatra-Songs zu verhaltener Instrumentierung interpretierte. Eigentlich skurril, die Idee. Dass Meister Dylan sich aber dazu herabließ, war ja schon das einzigartige Ereignis. Eine Neuinterpretation aus seiner Sicht, aus der des ständigen Beinahe-Literaturnobelpreisträgers! Jawohl. Nur, das musste wirklich nicht sein. Außer für notorische Dylan-Freaks, von denen es freilich immer noch viele gibt.

Heiße Bewunderung und feinsinnige Deutung

Dass der amerikanische Altmeister sich in seiner langen Karriere gerne in Rätsel hüllte, mit dem Geheimnis der Geheimnisse per Du war und tolle Anspielungen wie auch literarische Vorlagen jeder Art verarbeitete: okay. Die Meriten dafür hat er längst eingesackt. Die Orden, auch die symbolischen, baumeln an seinem Revers. Ob es jetzt aber die Legenden der Popularmusik sein müssen, denen er sich anverwandelt, mag dahingestellt bleiben. Niemand von den großen Popkennern mag es zugeben, aber es ist langweilig, dieses Album. Von vorne bis hinten. Und es ist vielleicht ja so etwas wie der Bankrott eines großen Songschreibers. Die Erklärung könnte ja ganz einfach sein: nämlich, dass ihm nichts Eigenes mehr einfällt. Auch das. Nicht doch. Kann nicht sein, das, behaupten Connaisseure. Da ist viel Erweckung und Erleuchtung, Ehrfurcht auch. Die Feuilletons quellen ja nach wie vor über in heißer Bewunderung und feinsinnigster Deutung. Für Bildungsbeflissene ein Fan von Dylan zu sein, ist Pflicht. Muss man kennen. Gehört zum Kanon. Ist geradezu Herzenssache. Jedenfalls für die älteren Menschen unter ihnen.

Natürlich hat er auch auf seinem neuen Album wieder ein paar sehr gute Musiker an der Hand, die das legendäre „Material“ mit der heutigen Aufnahmetechnik State of the Art interpretieren und es auf diese Weise weit übers Niveau der bloßen Barunterhaltung erheben. Über all seine wunderbaren „Begleitmusiker“ durfte ohnehin meist gestaunt werden. Natürlich gibt er selbst den Songs seine persönliche Färbung, seinen Rhythmus, seinen Zungenschlag. Na und? Ob das reicht? Zu wissen, dass dies „der große Dylan“ ist? Vielleicht wollte er auch Songs einem Publikum näher bringen, vor denen er selber etwas wie Demut empfindet. Die ihn geprägt haben. Songs, die auch ohne jenes große elektronische Brimborium funktionieren, das heute vielfach die großen Hitparadenerfolge trägt. Mag sein. Ehrenwert ist’s, allenthalben.

Das inzwischen 37. Album

Vielleicht spielt bei ihm ja aber auch sowas wie Humor oder Ironie mit. Es wäre nicht das erste Mal. Zu wissen, dass sie jetzt alle staunen und ihn dafür verehren, dass sie sich alle anstrengen und seine ach so weisen Absichten auszulegen versuchen. Gevatter selbst sitzt derweil vergnügt in seiner Klause und grinst sich eins, macht sich lustig über die Methoden der Helden- und Idol-Verklärung, während er sich auf den nächsten Auftritt irgendwo irgendwie vorbereitet, indem er etwas trinkt, was er so in seinem Alter nicht mehr tun sollte. Lacht sich in seine neuesten uralten Songs hinein, die diese unerträgliche „Früher war alles besser“-Nostalgie mit sich tragen und dafür doch nichts können.

So ist’s, so ist der Welten Lauf. Sie müssen aufschauen zu Häuptlingen, die dann aber auch mal ganz banal in der nach allen Regeln der Werbekunst beworbenen Unterhose dastehen, um sich darin ganz alleine und furchtbar einsam zu fühlen. Manche brauchen das halt. Viele aber brauchen dieses „neue“ Dylan-Album, das immerhin 37., ganz und gar nicht.