Die Grunge-Veteranen Dinosaur Jr vermeiden auf ihrem neuen Album kunstvoll jegliche Fortentwicklung.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Der Titel des besten Songs dieses Albums ist Programm: „I walk for Miles“ lautet er, die zentnerschweren Gitarrenakkorde türmen sich in ihm noch wuchtiger auf, die Stimme des Sängers und Bandkopfs Joseph Mascis fleht und barmt noch dringlicher, der Schlagzeuger drischt noch stoischer auf seine Trommeln ein als ohnehin schon. Als gelte es zu beweisen, dass hier eine Band unbeirrt meilenweit ihren Weg gehen, links und rechts der Marschroute alle Moden, Trends und Einflüsse liegen lassen will.

 

Das mag man als stilistische Konsequenz bezeichnen, doch das dazugehörige Dilemma ist hinlänglich bekannt: Wenn alles so bleibt, wie es ist, freuen sich die einen über Kontinuität, die anderen bemängeln fehlende Innovationskraft. Derlei Zweifel scheinen das amerikanische Trio allerdings nicht zu beschweren. Dinosaur Jr legen ein Album vor, das regelrecht als Blaupause für die Genres Stonerrock und Grunge taugt. Bands wie Pearl Jam, Nirvana und Soundgarden sind damals mit dieser Musik groß heraus gekommen; ihre Exmitglieder wie Dave Grohl (Foo Fighters, Queens of the Stone Age) oder Chris Cornell (Audioslave) wandten sich indes auch neuen Ufern zu. Dinosaur Jr segelten, obwohl sie immer wieder im Kanon der großen Namen genannt wurden, eher im Windschatten dieser Strömung mit; und recht betrachtet tun sie das auch heutzutage noch. Kultrang ja, kommerzieller Erfolg nein, bezeichnenderweise setzten sie neben ihrem Semihit „Freak Scene“ ausgerechnet mit einer Coverversion das größte Ausrufezeichen, „Just like Heaven“ von The Cure.

Trotzig und schlierig wie die Musik

Einen gewissen Status haben sie sich allerdings mit nunmehr dreizehn Longplayern, von denen einige sogar in die Top-100-Albumcharts kletterten, konserviert. Allein dass der deutsche Maler Daniel Richter das Cover gestaltet hat, dokumentiert die weltweite Zuneigung. Eine kluftige, zerfließende Gebirgslandschaft hat der Künstler für sein Artwork ersonnen, trotzig und schlierig, sinnbildlich vielleicht für die Musik von Dinosaur Jr. Zu hören gibt es nach wie vor eine verwaschen eingespielte Musik (seltsam, wie so alle zeitgemäßen Aufnahmetechniken an einer Band vorbeigehen können), quasi einen shabby Chic, allerdings nicht in Form eines Revivals, sondern eher im Sinne eins Lordsiegelbewahrers. In sehr gleichförmigem Maß ist „Give a Glimpse of what yer not“ instrumentiert. Das genannte „I walk for miles“, der schon vorab vorgestellten Song „Tiny“, das etwas klarer instrumentierten Stück „Be a Part“ und das neil-youngeske „Love is…“ stechen heraus, der Rest schleppt sich wenig ausdifferenziert und ohne aufhorchenswerte Wendungen dahin, kaum mehr vermittelnd als die Botschaft, dass es sich auf ausgetretenen Pfaden bequem wandern lässt.

Die Güte eines jeden der elf Stücke mag man nicht kleinreden, die instrumentalen Fertigkeiten Mascis‘ im Besonderen und die erworbenen Meriten im Allgemeinen ohnehin nicht. Dennoch hat man auf dieses Album nicht bis zum Jahr 2016 warten müssen. Exakt solche Musik hätte man auch vor einem Vierteljahrhundert schon bekommen können.