Janelle Monáes Musik ist politisch und feministisch. Ihr neues Album „Dirty Computer“ ist ein schwarzer, weiblicher Zukunftsentwurf. Lohnt sich das Reinhören?

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Janelle Monáe Robinson, geboren am 1. Dezember 1985 in Kansas City. Kansas? Aus der Erinnerung kommt der Satz: „Ich bin der Sohn eines schwarzen Mannes aus Kenia und einer weißen Frau aus Kansas . . .“ Die Passage steht in der berühmten Rede zur Rassenfrage, die Barack Obama, damals noch nicht Präsident, im Jahr 2008 in Philadelphia gehalten hat, „A More Perfect Union“. Da träumte er noch einmal den uramerikanischen Traum, den auch er nicht verwirklichen konnte. Aus vielen verschiedenen, unterschiedlichsten Menschen möge werden: eine Nation.

 

Den leiblichen Vater verliert Janelle Monáe an die Droge Crack. Ihre Mutter, eine Hausmeisterin und Baptistin, bringt die Tochter zusammen mit dem ebenfalls afroamerikanischen Stiefvater durch. Janelle spielt Theater, singt Lieder von Lauryn Hill nach und schreibt Science-Fiction-Geschichten in der Manier von Stanislaw Lem. Nach der Highschool wechselt sie an die American Musical and Drama Academy in New York, will aber „nicht klingen, ausschauen oder fühlen wie jemand anderes“, wie sie Jenna Wortham vom „New York Times Magazine“ erzählt. Monáe geht 2008 nach Atlanta, die Stadt von Martin Luther King.

Was ist schiefgegangen?

Die folgenden Jahre schlüpft sie in Rollen. Sie ist viele andere, vor allem aber Cindi Mayweather, eine Androidin wie aus dem „Metropolis“-Film von Fritz Lang. Als Sängerin auf ihrem Album „ArchAndroid“ wird sie zum ersten Mal von Prince unterstützt. Er wird ihr Vorbild, ist es noch. Daneben gibt es den Film. Monáe spielt in „Hidden Figures“, der den stark unterschätzten Anteil der drei maßgeblichen Mathematikerinnen am Apollo-Programm der Nasa beschreibt, sowie in „Moonlight“ eine Hauptrolle. „Moonlight“ bekommt einen Oscar.

Und Janelle Monáe? Hat eine Art Erleuchtung. Als die Rassenunruhen in der Endphase der Obama-Präsidentschaft nicht mehr aufhören, produziert sie „Hell you talmbout“, einen Song, der, wie in einer Endlosschleife, die Namen der Opfer hauptsächlich weißer Polizeiwillkür nennt. Nur die Namen. Heute fragt sie auf „Dirty Computer“, ihrem dritten Album: „Was ist schiefgegangen?“

Als Janelle Monáe zum ersten Mal dezidiert politisch wird, hat Solange Knowles, die Schwester von Beyoncé, als schwarze Popkünstlerin auf diesem Gebiet schon ein bisschen aufgegeben. Auf ihrer CD „A Seat at the Table“ platziert sie das Stück „Weary“. Es erzählt von zweierlei Dingen. Einerseits vom Bewusstsein, Bestandteil der schwarzen Befreiungsgeschichte zu sein, andererseits von der Ermüdung, die sich breitmacht, wenn der Status immer wieder gegen alte und neue Absurditäten und latente Angriffe verteidigt werden muss. In ihren besten Momenten klingt Knowles wie die frühe Soulsängerin Minnie Riperton, nämlich wie ein Vogel. Aber auch wie ein Vogel, der sich fürchtet. Fast ohne Hoffnung. Fliegt nicht.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, worin die Besonderheiten des neuen Albums von Janelle Monáe liegen, das über den Rang einer guten R-’n’-B- oder Hip-Hop-Produktion hinausgeht. Denn Monáe hat gleich mehrere Programme. Das erste – unter dem Namen „Pussy Power“ – heißt: Ich nehme den Kampf auf! Dem Anlass ist ein Datum zugeordnet. Es ist der 9. November 2016, als Donald Trump ins Amt kommt und sich die gesellschaftliche Tektonik verschiebt. Die amerikanische Feministin der ersten Stunde, Gloria Steinem, sagt: „Wir sind erledigt!“ Sind wir nicht, ruft Monáe zusammen mit Zoe Kravitz in „Screwed“ nach einer Referenz an Prince und dessen „Kiss“ im Intro. Pose oder nicht, Monáe propagiert das Zurückschlagen: „We’ll put Water in your Guns“.

Die Vagina-Monologe

Ostentativ gefeiert – auch überfeiert – wird auf „Dirty Computer“ buchstäblich das weibliche, schwarze und starke Geschlecht: „What’s a Wave, Baby? This’ a Tsunami“. Das Ganze im Übrigen in komödiantischer Spielart wie in knallharter Ansage formuliert. Das Motto heißt: „I’ll grab back“ (und ist wiederum gegen den Grapscher Trump gerichtet). So beginnt dieses feministische Manifest beziehungsweise beginnen, wie Monáe anspielungsreich festhält, „die Vagina-Monologe“.

Dabei bleibt die Musik immer ambivalent, zum Beispiel wenn sich Monáe im Titelsong vom alten Beach Boy Brian Wilson und dessen Chören umsurfen lässt. Monáe sucht durch ihn und andere Gewährsmänner, deren eigene Revolutionen auch schon mal ein bisschen schiefgegangen sein mögen, ein Ziel, und sie findet zumindest eins, vielleicht das einzige: Liebe, spricht Stevie Wonder auf „Stevie’s Dream“, sei auf jeden Fall immer eine Antwort.

„Es wird mein Amerika sein, bevor es vorbei ist“

Musikhistorisch wird bei dieser oft glamourös glitzernden Aufnahme, an der sich auch Pharrell Williams beteiligt hat, gemischt, was das Zeug hält. Häufig klingt es so klar- und weich gespült wie Achtzigerjahrerock, aber auch düster vokal heruntergepitcht nach Art der Trap-Musik aus dem Süden der USA, dem Land, das hier immer in Rede steht.

Am Ende ausdrücklich in „Americans“. Da möchte Monáe, eine Frau, die sich bisher ausschließlich als Kunstfigur definiert hat, noch ein paar Dinge loswerden, die Bezug auf die „A More Perfect Union“-Rede Obamas nehmen. Es kommt das alte, offenbar unterdrückte, jedenfalls nicht vergessene „Black Power“-Gefühl hinzu. Kansas und Atlanta kreuzen, und es sprechen noch einmal Martin Luther King und Barack Obama durch eine Künstlerin, die ihr soziales Gewissen entdeckt hat, zumindest wirkt es so bei Janelle Monáe: „Es wird mein Amerika sein, bevor es vorbei ist“, singt sie, und dann sagt Monáe lakonisch wie eine Lehrerin und fürsorglich wie eine Beamtin: „Unterschreiben Sie auf der gepunkteten Linie.“