Levin goes lightly will nicht mehr der „Stuttgarter Bowie“ sein. Auf seinem neuen Album singt er deshalb deutsche Texte – und geht gefühlt doch ganz an den Anfang zurück.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Stuttgarts interessanteste Pop-Kunstfigur wurde am Nordbahnhof erfunden. 2013 schloss sich Levin Stadler ein halbes Jahr in einem alten Eisenbahnwaggon an der dortigen Künstlerkolonie ein, um zu Levin goes lightly zu werden. Eine Inspiration waren die Auftritte experimentierfreudiger Künstler direkt nebenan im legendären Konzertwaggon von Moritz Finkbeiner. Ansonsten war er auf sich selbst zurückgeworfen, samt Gitarre und Achtspurrekorder.

 

Die Kälte des Spätwinters, die Stadler mit einem undichten Kohleofen bekämpfte, wich irgendwann einem sommerlichen Delirium im völlig überhitzten Waggon. Mit den fertigen Songs trat der Student auf eine Bühne in der Kunstakademie und verwandelte sich öffentlich in Levin goes lightly: Erst ließ er sich von seiner Freundin die Haare schneiden, zog dann alles aus und eine Leopardenleggins an, schminkte sich. Und spielte die verhallten, fiebrigen Songs zwischen Crooner und maschinendüsteren Klangwelten im Stile der New Yorker Experimentalrocker Suicide. „Ich hatte halt keine Lust mehr auf Auftritt im Flanellhemd und wollte eher eine Performance“, erinnert sich der ehemalige Punkrocker.

Die öffentliche Metamorphose führte zur spontanen Gründung des Szenelabels Treibender Teppich, dessen Betreiber sogleich die Veröffentlichung des ersten, mittlerweile längst ausverkauften Albums „Dizzy Height“ betrieben. Die Release-Show zur Platte fand, wo sonst, im Konzertwaggon statt und war ein Highlight des Stuttgarter Popjahrs 2013. Levin goes lightly sei „das Kind, das Elvis Presley und Ian Curtis von Joy Division nie zeugen konnten“, hieß es hinterher in unserer Zeitung.

Den Waggons beim Sterben zusehen

Sechs Jahre später sind die Waggons von Levin Stadler und Moritz Finkbeiner verschwunden. Stadler blickt auf ein leeres Gleis. „Man kann diesem Ort beim Sterben zusehen“, beklagt er. Immerhin arbeitet der gelernte Kommunikationsdesigner ganz in der Nähe, bezieht demnächst sein neu errichtetes, gut zu klimatisierendes Atelier unweit der Wagenhallen. Jetzt erst lernt er das spießige Stuttgart kennen, über das sich in der Musikwelt so viele wundern, weil es zuletzt so viele spannende Musiker hervorgebracht hat. Aber da ist kein Widerspruch: Die Nordbahnhofszene war und ist ein Solitär, ein einmaliger Ort. Levin Stadler erinnert dieser langsam vom Bahn- und Immobilienprojekt Stuttgart 21 verschluckte Ort an die Kopenhagener Freistadt Christiania.

Es ist gut, sich hier zu treffen, jetzt wo sein viertes Album erschienen ist. Der Sound atmet zwar nicht mehr das Kaputte, Heiße, Schmierige, das Stadler seinem im Waggon entstandenen Erstling zuschreibt. Doch hier schließt sich ein Kreis. Alles auf Anfang: das Gefühl ist wieder da. Es wurde sogar zum Albumtitel.

„Nackt“ war Levin Stadler im Wortsinn bei seinem ersten Auftritt. Jetzt stellt er sich wieder völlig ungeschützt dem Urteil des Publikums: Über einen überwiegend von NDW und Post Punk, stellenweise auch zeitgenössischer elektronischer Musik geprägten, verhallten und nicht mehr ganz so kalt-synthetischen Sound singt er jetzt erstmals auf Deutsch: „Keine Angst, du bist nicht nackt / Nur ungeschminkt“.

Er ist unsicher ob der deutschen Texte. „Die klingen so schnell total kitschig“, sagt Stadler. Erst hatte er Mühe, die richtigen Worte zu finden und die richtige Art, sie zu singen. Vorbilder kann er ohnehin nicht benennen – wie auch, wenn die Kunst aus der Tiefe des Unbewussten hervorzukommen scheint. Der Schweizer Schlagersänger Dagobert fällt ihm ein und die ebenfalls aus der Schweiz stammende NDW-Band Grauzone („Eisbär“).

Die repetitiven Texte klingen auch ein wenig nach Human Abfall, noch so einem besonderen Stuttgarter Act. Letztlich brilliert Stadler mit doppelbödigen Aussagen und seinem verfremdeten Gesangsstil. Er singt die Worte mit kühler Distanziertheit und rollendem R. Stellenweise habe er das bewusst übertrieben, sagt Stadler, der im bayerischen Eichstätt aufgewachsen ist.

Bitte keine Bowie-Vergleiche mehr!

Dass er immer wieder als „Stuttgarter Bowie“ bezeichnet wird, liegt zwar angesichts der von ihm geschaffene Kunstfigur und nicht zuletzt seines Gesangsstils nahe. Zumal der Bowie-Kumpel Iggy Pop erklärtermaßen Fan ist. Aber den Vergleich hat er schon tausendmal gehört, und sein Sound will ja gerade ort- und zeitlos sein. „Mit den deutschen Texten hat sich das jetzt hoffentlich endgültig erledigt“, hofft Levin Stadler.

Sein Album kommt beim Hamburger Label Tapete heraus, das auch gute Kontakte zu den Feuilletons hat. Nach einer Tour im Mai spielt er am 13. Juni im Stadtpalais, das sollte sich niemand entgehen lassen. Levin-goes-lightly-Konzerte untermalen die Wandlungen des Musikers eindrucksvoll, auch und gerade auf Stuttgarter Bühnen. Auf den Solo-Auftritt im Waggon 2013 folgten 2014 ein Gig mit Farfisa-Orgel im Merlin, ein eindrucksvolles Konzert in Bandbesetzung im Schocken (2015) und zum letzten Album „Ga ps“ vor zwei Jahren ein rein elektronisches Clubkonzert im White/Noise.

Im Stadtpalais wird Levin Stadler wieder mit Band auf die Bühne treten: Paul Schwarz von den bereits erwähnten Human Abfall steht am Schlagzeug und Thomas Zehnle, der auch die Hälfte der Songs auf „Nackt“ geschrieben hat, spielt Gitarre. Levin Stadler wird die Hände frei haben, um ganz Levin goes lightly zu sein – weder nackt noch ungeschminkt.