Büros, Werkstätten, Ateliers und ein Store – im Stuttgarter Westen haben sich elf kreative Freunde zusammengeschlossen und arbeiten nun unter einem Dach. Ein Besuch vor Ort.

Die Räume sind weitläufig und offen, das Design schlicht, die Beleuchtung teilweise an das Berliner Kunstmuseum Hamburger Bahnhof angelehnt. Viel Raum für Kreativität, viel Raum für handwerkliche Arbeiten – das war es, worüber elf Stuttgarter Freunde unabhängig voneinander schon lange nachgedacht und nun gemeinsam im Gebäude der ehemaligen Renz Bilderrahmen GmbH an der Rotebühlstraße im Stuttgarter Westen gefunden haben. Co-Working-Space oder Biotop für kreative Individualisten. So oder so ähnlich lässt sich beschreiben, was sie dort seit Mai dieses Jahres geschaffen und nun eröffnet haben. Einen Namen dafür gibt es nicht – bewusst.

 

„Bei uns steht das Individuum im Vordergrund“ sagt Micha Klein, der das Ganze initiiert hat. „Zu Beginn war es etwas chaotisch, aber wir haben von Anfang die gleiche Vision geteilt.“ Die Vision, in einem strukturreduzierten Konzept frei arbeiten zu können und gleichzeitig wertvolles Handwerk weiterleben zu lassen. Entstanden sind dort deshalb nicht nur Arbeitsplätze für die Innenarchitekten, Produkt- und Grafikdesigner unter ihnen, sondern auch Werkstätten, Ateliers, ein Ladengeschäft sowie ein Ausstellungsraum.

Ein E-Bike, das mit dem „German Design Award 2018“ ausgezeichnet wurde

Stefanie Schwemle etwa ist Innenarchitektin, hatte aber schon lange den Wunsch, etwas Handwerkliches zu machen. In dem Areal hat sie nun die Möglichkeit, beides zu verbinden. Durch ihre Asienreisen ist sie an Projekten in Sri Lanka und Indien beteiligt, die Menschen vor Ort dazu ausbilden oder dabei unterstützen, Stempeldrucke zu erstellen. Verkauft werden sollen die T-Shirts und Stofftiere mit liebevollen Motiven dann in Europa.

Auch der Produktdesigner Manuel Meßmer hat in dem Areal einen Prototypen seines „Pocket Rocket“ ausgestellt. Ein E-Bike, das durch den Verzicht von Verkleidung anspruchsvolles Design auf sich vereint und durch seine innovative Verbindung aus Aluminium-Rahmen und seinem stärkeren Motor unter den E-Bikes seinesgleichen sucht. Vor vier Jahren hatte Meßmer die Idee dazu, in diesem Jahr hat er den „German Design Award 2018“ in der Kategorie Transportation dafür erhalten. „Über Crowdfunding soll das Bike bald in Serie produziert und dann auf der Straße zugelassen werden“, sagt Meßmer. Das Fahrzeug kann mit dem Internet verbunden werden, sodass die Integration in Sharing-Modelle und Fahrzeugflotten ermöglicht wird.

Art für Alle – eine Online-Plattform für junge Künstler

Unter den elf Freunden ist auch Julian Henschel. Als selbstständiger Grafikdesigner hat er unter anderem das Buch zu dem Freiburger Dokumentationsfilm und Kinoerfolg “Weit“ gemacht. In dem Areal hat er nun nicht nur sein Büro eingerichtet, sondern auch Teile seines Projekts „Art für Alle“ ausgestellt, das er in diesem Sommer mit der Kommunikationsdesignerin Maike Schamotzki ins Leben gerufen hat. „Art für Alle“ ist eine Online-Plattform, über die Kunststudierende ihre Malereien und Zeichnungen verkaufen können. So sollen nicht nur die Künstler unterstützt, sondern Kunst erschwinglich gemacht werden. „Kunst soll keine Investition sein, die sich nur Reiche leisten können“, sagt Henschel. Bislang finden sich auf der Website die Werke von acht Studierenden – die meisten von ihnen kommen aus Stuttgart.

Eine eigene Werkstatt zu eröffnen, darüber hat auch der Sattler Dennis Süngerli schon länger nachgedacht. Eigentlich arbeitet er bei einem Automobilhersteller, doch in Zukunft wird er in der Rotebühlstraße Handtaschen und andere Accessoires aus naturgegerbtem Leder mit reduziertem Design entwerfen und selbst nähen. Die gibt es dann online zu kaufen, wer will, kann aber auch in der Werkstatt vorbeikommen, Leder, Stoff und Garn selbst aussuchen und sich so eine Tasche zusammenstellen. Einen Einblick in seine früheren Arbeiten gibt es schon jetzt auf seinem Instagram-Account zu sehen.

Kleidung und Accessoires für Männer im „Ciao Ragazzi“

Im Erdgeschoss des Gebäudes hat sich auch Daniel Falder eingerichtet, durch den die frühere Bilderrahmen-Werkstatt zumindest in Teilen erhalten bleiben soll. Er hat in der Holzwerkstatt die Rahmenprofilproduktion übernommen und liefert die Rahmen nun den Veredlern zu, die sich nach der Geschäftsaufgabe der Familie Renz selbstständig gemacht haben. Doch auch das ist nur ein Bruchteil seiner Arbeit. Er nimmt auch Restaurationsaufträge an und arbeitet im Moment an dem Projekt „Öffentliches Wohnzimmer“, das er mit einem 200 Quadratmeter großen Zelt auf dem diesjährigen Weihnachtsmarkt auf dem Marienplatz vorstellen wird.

Nur wenige Meter von der Holzwerkstatt entfernt hat Sebastian Stoll das „Ciao Ragazzi“ eröffnet. Ein Store, in dem es Männermode und Accessoires von kleinen ausgewählten Labels zu kaufen gibt. Der gelernte Elektrotechniker hat jahrelang in einem Textilforschungsinstitut gearbeitet und irgendwann damit begonnen, sich für Mode zu interessieren, die sowohl vom Design als auch von der Verarbeitung her für die Ewigkeit geschaffen wurde.

Fashion von der Schwäbischen Alb

Eines der Labels, dessen Mode er verkauft, ist Merz b. Schwanen von der Schwäbischen Alb. Die T-Shirts etwa bestehen aus Biobaumwolle und werden mit Maschinen genäht, die zwischen den 20er- und 60er-Jahren gebaut wurden. Auch wenn es der Name nahelegt, mit Italien hat der Store nicht allzu viel gemein. „Ciao Ragazzi“, das Stoll mit „Hallo Freunde“ übersetzt, ist für ihn vielmehr eine Bezeichnung für das Gesamtprojekt in der Rotebühlstraße.

Obwohl alle bislang mehr oder weniger unabhängig voneinander arbeiten, Synergien erhoffen sie sich zukünftig schon. „Wenn wir abends in der Küche gemeinsam kochen, werden sicher die ein oder anderen Ideen entstehen“, sagt Süngerli. Vom Entwurf durch die Designer über die Herstellung in den Werkstätten bis zum Verkauf im Ciao Ragazzi könne man dann dem Entstehungsprozess eines Produkts aus dem Haus von Anfang bis Ende zusehen.