Zurück in die Zukunft: Im fränkischen Wirsberg werden uralte Techniken angewandt, um kulinarisch fit für morgen zu sein. Zu Besuch im Fermentierlabor bei Spitzenkoch Alexander Herrmann.
„Sensationell“, dieses Wort benutzt Alexander Herrmann häufig. Und wo er recht hat, hat er recht: sensationell, dieses Haselnussmiso in einer Geschmacksintensität, die man so noch nicht kannte. Dieses unglaubliche Öl, das vom Holz des schwarzen Johannisbeerstrauchs gewonnen wird. Bärlauchknospen in Sojasud. Essigzwetschgen. Rote Bete im Salzteig gedörrt, fränkisches Sauerkraut, Ringlotten in Salz, Kimchi aus Rotkraut, schwarzer Knoblauch.
Vielleicht wurde die Geschmacksrichtung Umami nur für jene Lebensmittel erfunden, die hier in sehr großen Mengen entstehen. Und: Sie sind alle aus der Nachbarschaft, alle aus Franken, fermentiert in Wirsberg. Koch Alexander Herrmann nennt seine Heimat gerne „die Feinkostkammer Deutschlands“, und hat damit nicht ganz unrecht.
Das Zwei-Sterne-Restaurant trägt jetzt den Namen Aura
In Wirsberg in Oberfranken steht das Posthotel, in das Herrmann nach seinen Lehr- und Wanderjahren 1996 zurückkommt. Hier gibt es das Fine-Dining-Restaurant, das jetzt Aura by Alexander Herrmann und Tobias Bätz heißt, das Bistro, das nun den Namen „Oma & Enkel“ trägt, das Posthotel. In Nürnberg führt er zwei weitere Restaurants.
In den Lagerräumen, der „Schatzkammer“, stehen Gläser und Fässer, voll von Fermenten, die schätzungsweise den Gegenwert einer Stuttgarter Zweizimmerwohnung haben. Auf manchen Behältnissen sind die Namen anderer bekannter Köche zu lesen, die hier ihre Gewürzsoßen reifen lassen. Nicht jeder hat so viel Platz und Know-how, von denen es in Wirsberg ganz schön viel gibt.
Vornedran steht natürlich Alexander Herrmann, bekannt durch seine zahlreichen TV-Auftritte, wenn er etwa bei „The Taste“ im Sing-Sang-Fränkisch von den Kreationen der Kandidaten schwärmt. Herrmann ist nur noch selten wirklich Koch, sehr viel häufiger ist er Unternehmer, Patron und Unterhalter – und einer, der an die Zukunft des Hauses denkt, das von seinem Uropa 1869 erbaut wurde.
Es geht um die hohe Kunst der Fermentation
„Wenn man regional arbeiten möchte, ist diese Sache hier unumgänglich“, sagt Herrmann. Damit meint er die eigene Produktion, die hier in den vergangenen Jahren aufgebaut wurde, vor allem als die Restaurants wegen der Lockdowns geschlossen hatten. Es geht um die hohe Kunst der Fermentation. Und ums Haltbarmachen. Bevor man in der Pandemie in ein tiefes Loch fällt, weil von einem Tag auf den anderen die Küche kalt bleiben muss, suchen sich die jungen Menschen neue Aufgaben. Hermann fungiert fortan als Krisenmanager.
Fast drei Jahre später steht Foodscout Joshi Osswald gemeinsam mit Chris Vejbovsky im nigelnagelneuen Fermentierlabor, das im Februar 2023 fertiggestellt wurde. Sie nennen das hier auch das „Future Lab“, weil so die kulinarische Zukunft aussehen könnte, wenn man wirklich nachhaltig und saisonal kochen möchte, ohne sich geschmacklich einzuschränken.
„Wir haben uns die Techniken unserer Großeltern, aber auch die Fermentationsprozesse aus Asien oder Südamerika angeschaut“, erklärt Joshi Osswald. Mehr als 90 Prozent der Produkte kommen direkt aus der Region – und die müssen zum perfekten Zeitpunkt geerntet, für die kommenden Monate haltbar gemacht werden.
Man fühlt sich an den Grundkurs Chemie erinnert: Es geht um Temperaturen, Gar-Grade, wochenlange Reifeprozesse, die für Neulinge schwer zu verstehen sind. Auch unter Fermentationen gibt es ganz verschiedene Techniken: von alkoholischer Gärung über Milchsäurebakterien bis hin zu Koji-Fermenten. Vejbovsky und Osswald räuchern, trocknen, wecken ein, pickeln und packen Flüssigkeiten in den Rotationsverdampfer für eine spannende alkoholfreie Menü-Begleitung wie etwa entalkoholisierte Scheurebe. Im Dry Ager hängen nicht nur Fisch und Fleisch, sondern auch Sellerieknollen und Karotten.
Bei all der Regionalität und Nachhaltigkeit steht Geschmack an erster Stelle
Die Haltbarmachung ist aber nicht der einzige Grund für das Labor. „Es geht auch darum, zu verbessern und geschmacklich zu intensivieren“, erklärt Joshi Osswald, der seit einigen Jahren in diesem Bereich arbeitet. „Und nur wenn man die besten Lebensmittel verwendet, bekommt man das beste Ergebnis.“ Bei all der Regionalität und Nachhaltigkeit steht Geschmack an erster Stelle.
Inzwischen ist das „Future Lab“ so groß geworden, dass es ein eigenes Labor autark vom Tagesgeschäft ist. Viel Wissen haben sie sich angelesen, sind gereist (unter anderem ins dänische Spitzenlokal Noma) und haben Profis nach Franken geladen. Markus Shimizu von Mimi Ferments, der als Meister seines Fachs gilt, kommt aus Berlin ein paar Tage hierher, um die Laboranten zu beraten. „Bei Miso muss man sehen, wie sich das anfühlt, wie feucht das sein muss“, so Joshi Osswald. Und: „Wenn man das Grundgerüst versteht, kann man ganz viel ausprobieren.“ Inzwischen haben sie Kirschkernmiso oder Gewürzpaste aus fränkischem Gewürzbrot hergestellt.
Wo Papaya und Maracuja wachsen
Mit rund 70 Landwirten und Lebensmittelproduzenten arbeiten sie inzwischen zusammen. Das sind Bauern und Imker, Metzger und Bäcker, Gärtner und Jäger, Haselnussbauer und Schweinezüchter. Sie holen sich Experten von den Universitäten Bayreuth und Bamberg und überlegen, welche Schweinerassen gezüchtet oder gekreuzt werden, wie die Tiere geschlachtet, wie das Fleisch dann gereift werden kann.
In ihrem Umfeld gibt es etwa eine Hausfrau namens Helga Dressel, eine Tomatenverrückte, die jedes Jahr circa 180 verschiedene Sorten in ihrem „Gottesgarten“ anpflanzt. Dann ist da das Tropenhaus Klein-Eden, wo Papaya, Zitrusfrüchte und Maracuja wachsen, weil die Wärme der Glasindustrie im Gewächshaus genutzt wird, um das Ding zu heizen.
Dass viele Köche den Brei verderben, wird hier ganz klar widerlegt
Heimatküche ist hier kein leeres Modewort. Die Wirsberger wollen es wirklich wissen. Dass viele Köche den Brei verderben, wird hier ganz klar widerlegt. Im Gegenteil: In Wirsberg im Frankenwald wird zweimal kreiert. Einmal im Labor, ein weiteres Mal in der Küche. Keines der haltbar gemachten Lebensmittel kommt pur auf die Teller, alles wird in der Küche weiterverarbeitet. Im nächsten kreativen Schritt, in den dann Alexander Herrmann, sein Küchendirektor Tobias Bätz und Küchenchef Philipp Weichlein involviert sind. „Je nachdem, was für Mengen vorhanden sind, könnte schwarzer Knoblauch das Fleisch würzen oder im Dessert zum Einsatz kommen“, erklärt Tobias Bätz die spielerische Vorgehensweise.
Alles wird in Gläsern eingemacht. Das braucht sehr viel Platz. „Da kommt eine große Menge zusammen, wenn ein Menü drei Monate Saison hat“, erklärt Joshi Osswald. In Artischocken gerechnet: „Davon haben wir letztes Jahr 3800 Stück eingemacht.“ Die Zahlen sind auf allen Ebenen beeindruckend: In der Küche arbeiten 23 Menschen, 18 im Service. Im zweifach besternten Gourmetrestaurant Aura kehren zwischen 150 und 200 Gäste pro Woche ein.
Den Restaurantgästen selbst wird der Aufwand hinter der Fermentation erst klar, wenn sie an einer unterhaltsamen Führung vor dem abendlichen Dinner teilnehmen. Natürlich sind Fans hier, die sich mit Herrmann fotografieren lassen wollen. Aber auch alles Genuss-Menschen, die das Acht-Gänge-Menü goutieren.
Herrmann kann sehr unterhaltsame Geschichte erzählen, in denen sogar echte Bären vorkommen. Das Schöne aber ist, dass hier nicht nostalgisch zurückgeblickt wird. Und die neuen Wege sollen auch nach außen sichtbar sein. So heißt das Labor Anima, für die Seele, das Restaurant fortan Aura und nicht mehr Restaurant Alexander Herrmann. „Das, was hier entstanden ist, ist größer als mein Name“, so Herrmann. „Das ist der nächste Schritt.“ Könnte gut sein, dass man hier die Zukunft schmecken kann.