Der Schriftsteller Jonathan Lethem siedelt in seinem neuen Roman „Der Garten der Dissidenten“ eine Familiengeschichte in der amerikanischen Linken an. Ein Roman über Bevormundung und Emanzipation.

Stuttgart - Die schöne Stadt der linken Utopie ist ein rechtes Miefloch. Sunnyside Gardens im New Yorker Stadtteil Queens entsteht in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts nicht einfach als Mustersiedlung der Eigenheimgemütlichkeit für Normalverdiener, sondern als Brückenkopf einer Bewegung, die noch hofft, heute Queens und morgen die ganze Welt auf Vordermann bringen zu können. New Yorks Sozialisten, Kommunisten, Gerechtigkeitsträumer finden hier zusammen – und entzweien sich wieder in jenen Spaltungsbewegungen, die für den linken Traum noch typischer sind als der Glaube an die Besiegbarkeit des Egoismus.

 

In Jonathan Lethems Roman „Der Garten der Dissidenten“ erleben wir stalinistische Wohnzimmergerichte, Küchentischfanatismus, das wichtigtuerische Misstrauen kommunistischer Betonschädel, die nicht begreifen, dass ihre Verhärtung kein Fundament der Zukunft mehr ist. Auch im Heim von Rose Zimmer tagen die Wächter der Parteilinie und mischen sich tief ins Privatleben. Die als polnische Jüdin in Kindertagen in die USA gekommene Rose wird erfahren, wie tief: ihr Mann wird außer Landes geschickt, nach Ostdeutschland, eine kaum verbrämte Strafmaßnahme, und Roses Affäre mit einem schwarzen Polizisten namens Douglas Lookins löst Empörung aus. Vordergründig, weil die Genossin da mit einem Kettenhund des Klassenfeinds fraternisiert – aber den virulenten Rassismus kann das kaum bemänteln. Die Kämpfer für die Menschenrechte ekeln sich vor der anderen Hautfarbe.

Die Protagonisten sind Randständige und Unzufriedene

Lethem könnte sein ganzes Buch in den Sunnyside Gardens spielen lassen, in jedem beliebigen Jahr der Dreißiger, Vierziger oder Fünfziger. Mancher Leser, der das konzentriert Prägnante und Homogene schätzt, mag bedauern, dass er das nicht getan hat. Aber in seinem neunten Roman greift der mittlerweile in Kalifornien lebende New Yorker Lethem weit aus, spannt den Bogen von den Dreißigerjahren bis in die Gegenwart, erzählt von Rose, deren Mann und ihrem Liebhaber Douglas, von Roses Tochter Miriam, von Miriams Sohn Sergius und Douglas’ Sohn Cicero, von Onkel Lenny und noch ein paar anderen – Unzufriedene, Randständige, nie in den Marschtritt und die zufriedene Weltsicht der Mehrheit Verfallende allesamt.

Auch wenn ein Mordkommando der IRA Onkel Lenny jagt und Miriam mit ihrem Mann zusammen die sandinistische Revolution in Nicaragua unterstützen, dies ist keiner jener Genremixe, die Lethem so virtuos, witzig und beschwipsend aus dem Shaker zaubern kann. „Der Garten der Dissidenten“ ist nicht einfach ein wenig näher am literarischen Mainstream als „Der kurze Schlaf“ oder „Als sie über den Tisch kletterte“, dieser Roman würde bei einer Blindverkostung wohl als bislang weggeschlossenes Großwerk aus einer fruchtbaren Periode von Philip Roth identifiziert werden.

Ein Paralleluniversum von bitterer Komik

Lethem hat ja auch in Interviews seinen Überdruss an der Genre- und Originalitätsdiskussion, den Trash- und Qualitätsnormenjustierungen und all den anderen Pop-trifft-Dünkel-Debatten bekundet. Die lenkten vom Wesentlichen der Bücher nur ab, hat er geklagt. Diesmal also schreibt er von vornherein einen Text, der keine klaren Tunnelspuren der Selbstunterwanderung zeigt. Dafür bleiben die Leben seiner Figuren ohne festen Grund.

Eigentlich brechen immer alle auf, weil das, was die Dissidenten ringsum ihnen als Konsens über Wahrheit und richtige Ziele vermitteln wollen, nicht mehr überzeugt. Ihre Blase aus Träumen von der besseren Welt und persönlichen Frustrationen bildet ja schon ein Paralleluniversum von bitterer Komik. Da ist es wohl weise, dass Lethem dieses Andersartige nicht durch Elemente der Science Fiction bis in die Gefilde des Spotts oder jedenfalls des amüsierten Befremdetseins getrieben hat.

Nicht chronologisch, sondern durcheinander erzählt er von den Schwierigkeiten der Figuren mit dem eigenen Schwulsein, vom Bedürfnis nach Originalität und Solidarität, von der Begeisterung für Ideen und der Enttäuschung durch Ideologien. Dabei lässt er die Charaktere gar nicht so viel zu Wort kommen. Meist hat der den kleinsten Regungen bis ins Verschrobene nachspürende Erzähler selbst die Bühne inne. Gar nicht unpassend für einen Roman über Bevormundung und Emanzipation.