In Feuerbach entsteht ein Coworking-Areal namens Live at Stuttgart auf 36 000 Quadratmetern. Der Macher dahinter spricht von einer Revolution. Es gibt aber auch skeptische Stimmen.

Stuttgart - Auf dem ehemaligen Leitz-Areal in Stuttgart-Feuerbach wird in Kürze ein außergewöhnliches Projekt starten. Dort soll ein Ort entstehen, „der für immer ändert, wie wir arbeiten“. Das zumindest verkünden die Macher von Dexina aus Böblingen. Auf 36 000 Quadratmetern planen sie einen riesigen Coworking-Campus.

 

Beim Konzept Coworking nutzen verschiedene Personen gemeinschaftlich Büroräume, in denen sie flexibel einen Schreibtisch mieten können. Wichtig sind der Austausch und der Kontakt untereinander, auch wenn man nicht direkt zusammenarbeitet. In Feuerbach sollen auf neun Ebenen mehr als 2000 Menschen zusammen arbeiten können. „Wir wollen eine Anlaufstelle für jedermann sein, der sich in einem kreativen Schaffensprozess befindet“, sagt Dexina-Gründer Heiner Scholz. Auf dem Areal sollen große und kleine Start-ups, Freiberufler, Innovationsabteilungen von Unternehmen und Künstler gleichermaßen ihren Platz finden. Wie bei Coworking üblich, mietet man nicht Bürofläche, sondern Arbeitsplätze für einen bestimmten Zeitraum oder an zuvor festgelegten Tagen.

Skeptische Stimmen kommen aus der Szene

Von April an sollen die ersten Bereiche fertig sein, nach und nach erfolgt dann der weitere Ausbau. Das Areal selbst wird von der 1A-Immobilien AG angemietet. Hinter dem Projekt stehen eine große Bank und mehrere Privatpersonen als Investoren – namentlich genannt werden möchte aber niemand. Heiner Scholz selbst hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 4,5 Millionen Euro in das Projekt investiert. Das Gesamtvolumen gibt er mit einem Betrag im hohen zweistelligen Millionenbereich an.

„Coworking funktioniert, wenn es als eine Bewegung von unten entsteht. Bei Live at Stuttgart kommt es aber sozusagen von oben“, sagt Christian Cordes. „In der Szene sind mir die Beteiligten vorher nie begegnet“, ergänzt der Vorstands des Coworking-Bundesverbands. Das Projekt sei deshalb aber nicht zum Scheitern verurteilt: „Grundsätzlich ist es immer zu befürworten, wenn sich Coworking in der Gesellschaft und bei Unternehmen durchsetzt.“

Die 2000 Plätze sollen auch größere Unternehmen füllen

Der bisher größte Coworking-Space in Stuttgart ist Coworking0711 mit 45 Plätzen an zwei Standorten. Der Größenunterschied zwischen den bestehenden Angeboten und dem neuen Angebot mit mehr als 2000 Plätzen ist beachtlich. Zweifel, die Flächen voll zu bekommen, hat Scholz von Dexina keine: „Es haben bereits rund 470 Firmen Interesse angemeldet. Davon wollen drei Viertel Plätze für sich reservieren.“ Im Haus verteilt sind Büroflächen, die unterschiedlich genutzt werden können. Es gibt Bereiche für größere Start-ups, die einen festen Bereich anmieten, kleinere können flexibel einzelne Plätze mieten. Es gibt offene Bereiche mit freien Arbeitsplätzen, die von jedem genutzt werden können. Genauso können sich die Nutzer auf Sofas oder im Bistro verteilen.

Die mehr als 2000 Plätze in Feuerbach sollen auch von größeren Firmen genutzt werden. Auf dem Campus sind zwei Etagen als Flächen reserviert, die von einem Unternehmen ganz in Beschlag genommen werden. Auf jedem dieser Stockwerke sollen bis zu 350 Arbeitsplätze entstehen. So sollen die Mitarbeiter von der kreativen Atmosphäre profitieren. Harald Amelung von Coworking0711 ist skeptisch: „Die großen Unternehmen gehen hin, weil es grade hip ist und sie glauben, dass man innovativer ist, wenn man bei so etwas mitmischt. Wenn man aber auf einer eigenen Etage sitzt, ist man doch wieder abgeschottet und kocht sein eigenes Süppchen.“ Fragt man bei der German Coworking Federation nach, hört man Ähnliches: „Nur weil man offene Arbeitsplätze anbietet, ist das noch lange kein Coworking“, sagt Cordes. Coworking sei mehr: Gemeinschaft, Offenheit und Mitbestimmung machten es aus. Heiner Scholz kann solche Kritik nicht verstehen: „Wir setzen uns für die Nutzer ein, arbeiten mit ihnen zusammen und entwickeln das Konzept zusammen weiter.“

Events und Künstler mit im Boot

Neben den Arbeitsräumen gibt es auf dem Campus einige Annehmlichkeiten: Vom Kaminzimmer über ein eigenes Restaurant hin bis zum Fitnessstudio, Schwimmbad, Kinderbetreuung und einer Terrasse mit Blick über Stuttgart. Vor allem diese Bereiche sollen der Abschottung entgegenwirken. Auch Events sollen dazu beitragen, die Leute zusammenzubringen. Im obersten Stockwerk des Campus wird es einen Bereich für Künstler geben, die dort arbeiten und ausstellen. Dexina-Vorstand Heiner Scholz ist sich bewusst, dass es auch Kritik gibt: „Es heißt, wir haben keine Start-up-Kultur, wir hätten keinen Platz für Tüftler. Aber genau die haben wir. Wir haben die Art kleiner Start-ups, die aktuell noch bei Oma im Keller sitzen.“

„Das Konzept ist stimmig, auch die Verbindung mit dem Gastro- und Kulturbereich ist durchdacht“, sagt Christian Cordes vom Bundesverband, „ich würde das Projekt aber eher als kreativen Cluster und weniger als Coworking-Areal bezeichnen.“