Am Freitag erscheint das neue Album von Depeche Mode. Mit „Delta Machine“ bleiben die Briten ihrem Stil nachgerade akribisch treu. Das Album ist vorzüglich, findet StZ-Musikredakteur Jan-Ulrich Welke.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Am Anfang könnte von Robert Johnson die Rede sein, hat doch die Band Depeche Mode diese Reminiszenz selber heraufbeschworen. In den vielen Interviews, welche die Band im Vorfeld ihres neuen Albums – unter anderem auch der Stuttgarter Zeitung – gab, ließ das Trio keine Gelegenheit zu beteuern aus, dass es sich bei ihrem neuen Werk um ein sehr bluesiges Album handeln werde. Und der Titel ihrer am Freitag erscheinenden neuen Platte, „Delta Machine“, spielt denn auch punktgenau auf jenen Musikstil an, der sich Anfang des vergangenen Jahrhunderts in den amerikanischen Südstaaten rund um den Mississippi etablierte.

 

König des sogenannten Delta-Blues war eben jener Musiker Robert Johnson, der neben seiner in beachtlich kurzer Zeit vollbrachten beachtlichen Lebensleistung das zweifelhafte Vergnügen hatte, den berühmt-berüchtigten „Club of 27“ zu begründen, dem später auch noch Brian Jones, Jimi Hendrix, Jim Morrison, Janis Joplin, Kurt Cobain und zuletzt Amy Winehouse beitreten sollten – alles Musiker also, die es, auf dem Zenit ihres Ruhms allzu vorzeitig sterbend, nicht einmal geschafft haben, 28 Jahre alt zu werden.

Knapp dem Fangeisen des frühen Rock-’n’-Roll-Ablebens entronnen ist indes der Ex-Heroinist, -Kokainist und leidenschaftliche Trinker Dave Gahan, der 1996 immerhin schon mal zwei Minuten lang klinisch tot war. Dem mittlerweile fünfzigjährigen Musiker eröffnet sich daher nun mit seinen Bandkollegen Martin Gore und Andrew Fletcher die Möglichkeit, ein neues Album einzuspielen, das – um es gleich vorab zu sagen – wie seine zwölf Vorgänger ein Synthie-Pop-Album ist und mitnichten dem Delta-Blues eine Reverenz erweist.

Depeche Mode bleiben ihrem Stil treu

Ein solcher fundamentaler Stilwandel wäre bei dieser Band ja auch so überraschend, dass es fast schon komisch klänge. Aber keine Sorge: die Band Depeche Mode bleibt ihrem Stil nachgerade akribisch treu, eine vernehmbare Gitarre (was ja die Grundlage für ein Bluesalbum wäre) gibt es sogar noch seltener als auf vielen anderen Depeche-Mode-Alben zu hören. Wer die bluesigere Seite bei Depeche Mode sucht, muss immer noch zu „Paper Monsters“ greifen, Dave Gahans vor auch schon wieder zehn Jahren erschienenem Solodebüt. Nein, heraus kommt auf „Delta Machine“ vielmehr, im Schnelldurchgang durch die 13 Songs, Folgendes:

Los geht es im Eröffnungslied „Welcome to my World“ mit einem puristisch trockenen Minimal-Techno, den man ähnlich jüngst schon auf dem Debütalbum des Projekts VCMG hören konnte, das Martin Gore gemeinsam mit dem früheren Depeche-Mode-Mann Vince Clarke aus der Taufe gehoben hat. Es folgt „Angel“, ein großer, hymnischer (Ent-)Wurf und bestimmt das Lied, das sich in seiner pochenden Elektronik umgehend ins Gedächtnis einbrennt. Weiter geht es mit „Heaven“, der vorab ausgekoppelten Single – einer E-Piano-Ballade, die ordentlich, aber längst nicht so zündend wie andere Downtempo-Evergreens des Trios geraten ist. Das folgende Stück „Secret to the End“, mit einer dahinwabernden Synthesizerlinie grundiert, zeigt Depeche Mode in starker, klassischer Instrumentierung, „My little Universe“ danach ist als Kontrast wieder ultraminimalistisch in die Tasten gedrückt. Mit „Slow“, der nächsten Ballade, die so trickreich arrangiert ist, wie es nur wenige können, endet die erste Hälfte – es ist auch der erste Song auf diesem Album, den Gore singt.

Nostalgische Gefühle kommen bei „Broken“ auf, das in seiner Melodieführung schon ein wenig an die Klassiker „Behind the Wheel“ und „A Question of Time“ erinnert – aber bei sich selbst abkupfern darf man ja bekanntlich. Zwei blasse Stücke folgen, „The Child inside“ und das zu monoton instrumentierte „Soft Touch/raw Nerve“.

Dave Gahan ist Meistersänger und Meisterperformer

Stark gerät ihnen dann aber wieder „Should be higher“, dessen Fundament allerdings frappierend an das Lied „Red light District“ von Siouxsie & the Banshees denken lässt – womöglich soll dies von Seiten der Band aber eine kleine Insiderreminiszenz an die goldene New-Wave-Zeit in Großbritannien sein, aus der Depeche Mode als die Könige dieser Disziplin hervorgegangen sind. Der Track „Alone“ ist in seiner Mehrstimmigkeit überzeugend, „Soothe my Soul“, die längste der 13 Nummern, tönt mächtig aus den Lautsprechern, zum nur zweiten Mal auf diesem ganzen Album vernehmlich kommt Gores E-Gitarre schließlich im trefflich „Goodbye“ betitelten Abschiedslied zum Tragen, schön fraktal gebrochen in seinem Fluss.

Unglaublich stark klingt auf diesem Album wieder einmal Dave Gahans Stimme. Vollmundig, tief, betörend, schmeichelnd. Er mag noch lange nicht der neben dem Songschreiber Gore gleichberechtigte Komponist sein (nur bei „Secret to the End“, „Broken“ und „Should be higher“ stammen Text und Musik aus seiner Feder), aber er ist ein Meistersänger. Ein Meisterperformer ist er ja sowieso: dass für das Konzert im Stuttgarter Stadion nur noch einige Sitzplätze erhältlich sind, spricht Bände.

„I’ll penetrate your Soul“, singt Gahan, wie zum Beweis dessen, gleich im Auftaktsong „Welcome to my World“. Nicht das Delta der Venus. Aber ehe wir hier in die Schmuddelecke abgleiten, mit der die Band mit diesem blitzsauber produzierten Album nichts zu tun hat, halten wir fest, dass die Musik von Depeche Mode auf dem mächtigen, sehr basslastigen Album „Delta Machine“ endlich mal wieder mehr auf den Bauch denn auf Herz oder Kopf abzielt.

Hits für die Ewigkeit gibt es auf dem Album nicht

Insgesamt ist „Delta Machine“ nicht nur einfallsreich ohrenschmeichelnd sowie anspielungs- und zitatenreich (auch Portishead kommt einem immer wieder in den Sinn) geraten. Dieses Album beeindruckt besonders durch seine Vielseitigkeit. Es ist, jawohl, weit besser als seine vier Vorgänger „Sounds of the Universe“, „Playing the Angel“, „Exciter“ und „Ultra“ und mithin das beste Album seit dem 1993 erschienenen „Songs of Faith and Devotion“.

Hits für die Ewigkeit, die sich schon beim ersten Hören abzeichnen würden, gibt es auch auf „Delta Machine“ nicht. Tatsächlich sind schon zwanzig Jahre vergangen seit „I feel you“ und „Walking in my Shoes“. Die zwei hämischen Unterstellungen, diese Albumveröffentlichung nach vierjähriger Studiopause diene erstens nur als Vorwand, um endlich wieder auf Tour zu gehen, sowie zweitens – noch kesser – die Band bringe ihre Alben absichtsvoll stets zwischen Olympischen Spielen und Fußball-Weltmeisterschaften heraus, weil sie ausnahmslos alle Stadien rund um die Welt benötige, werden aber allein durch die Güte dieses Werks widerlegt.

Vermutlich entspringt der Spott ohnehin nur dem Neid der Konkurrenz. Auf die Songwriterkünste. Auf die drei Millionen Besucher, die Depeche Mode mit der letzten Tour in die Arenen lockte. Auf die vielen Liebhaber, die dieses Album rund um den Globus wieder an die Spitze der Charts befördern werden. Völlig zu Recht. Mehr muss zu dieser vorzüglichen Band nicht gesagt werden. Words are very unnecessary.