Der Architekturhistoriker Adrian von Buttlar von der TU Berlin, vom Geschichtsverein zu einem Verteidigungsvortrag über das Rathaus eingeladen, spricht von einem "Gesamtkunstwerk". Nach den Prinzipien der klassischen Moderne sei der "Reutlinger Komplex vom Großen bis ins Kleinste in einem künstlerischen Duktus durchgestaltet". Auf bürgerfreundliche Weise habe die "Demokratie als Bauherr" hier die "administrativen und repräsentativen Funktionen" in einem Komplex zusammengeführt. Ohne den Kontext des Ensembles stünde das Ratsgebäude folglich auf verlorenem Posten, büßte "seinen Sinn und Charakter" ein, käme die partielle Zerstörung einem "Totalschaden" gleich. Die Reutlinger Baubürgermeistern Ulrike Hotz zitierte zur Ausstellungseröffnung den einstigen Reutlinger Oberbürgermeister Oskar Kalbfell: "Dieses Rathaus baut diese Stadt nicht für diesen Gemeinderat, nicht für diesen Bürgermeister und nicht für diese Beamten, sondern für diese Bürger, für heute, morgen und für die ferne Zukunft."

 Die Abrissbefürworter sollten sich daher im Klaren sein, dass es nicht um irgendein beliebiges Verwaltungsgebäude geht, sondern um einen hochsymbolischen Vorgang: Die Vertreter des Gemeinwesens überlassen dem Kommerz in einem Akt der Selbstmarginalisierung das Feld. Als Kollateralschaden hätten sie den Verlust eines städtischen Identifikationsortes auf ihre Kappe zu nehmen. Wen das nicht überzeugt, sollte einen Blick nach Stuttgart werfen, wo der Abriss ebenfalls vermeintlich entbehrlicher Flügelbauten ihm warnendes Beispiel sein könnte.

Die Ausstellung "Bestandsaufnahme(n)" im Rathaus-Foyer dauert noch bis zum 29. April, Mo-Fr zu den Öffnungszeiten des Rathauses.