Seit kurzem geben Supermärkte in der Türkei die beliebten Plastiktüten nur noch gegen eine Gebühr von umgerechnet 4 Cent ab. An den Kassen machen die Kunden ihrem Unmut darüber Luft.

Istanbul - Die Stimmung an der Supermarktkasse ist mies. „Die Leute beschweren sich“, sagt der Kassierer in einem Istanbuler Discounter. Seit dem 1. Januar müssen alle Lebensmittelläden in der Türkei eine Gebühr von 25 Kurus – etwa vier Euro-Cent – für bisher kostenlose Einkaufstüten verlangen. Viele Kunden sehen das überhaupt nicht ein, zumal wegen der hohen Inflation ohnehin alles teurer wird. „Wir wollen das nicht“, sagt ein Mann in der Schlange vor der Kasse. „Wir gehen auf die Barrikaden.“

 

Der Abschied von der Gratis-Tüte fällt den Türken schwer. Bisher haben viele Verbraucher mit großer Begeisterung alles in Plastiktüten verpackt. Selbst kleinste Einkäufe wurden eingewickelt, gerne auch gleich in mehrere Tüten, für alle Fälle. Manche Märkte beschäftigen hauptamtliche Einpacker, die bezahlte Waren vom Band nehmen, in Tüten stecken und dem Kunden in den Einkaufswagen legen.

Der Pro-Kopf-Tütenverbrauch liegt bislang bei 440 im Jahr

Joghurt- oder Eisbecher erhalten oft eine eigene Tüte. Sieben, acht oder noch mehr Plastiktüten waren bisher bei einem Wocheneinkauf keine Seltenheit. Das hatte Folgen. Auf bis zu 35 Milliarden Plastiktüten schätzt das Umweltministerium den Jahresbedarf des Landes. Jeder Türke verbraucht damit jedes Jahr im Durchschnitt 440 Tüten – bei den Deutschen liegt die Zahl bei 29.

Dass die 15-Millionen-Stadt Istanbul trotzdem nicht im Plastikmüll versinkt, liegt an der effizienten städtischen Müllabfuhr und an einem Heer von tausenden Müllsammlern, die durch die Straßen gehen und Papier, Dosen und wiederverwertbaren Plastikmüll aus den Tonnen ziehen, um sie an Recycling-Firmen zu verkaufen. Rund 3,5 Millionen Tonnen Plastik werden so jedes Jahr eingesammelt. Dennoch gelangt viel zu viel Plastik in die Umwelt.

Die 25-Kurus-Gebühr soll die Türken dazu bringen, beim Einkauf haltbare Stoffbeutel oder andere wiederverwendbare Taschen zu benutzen. Von den 25 Kurus pro Tüte sollen 15 in Umweltprojekte investiert werden. An der Spitze der Recycling-Bewegung steht die türkische Präsidenten-Gattin Emine Erdogan. Sie hat das Ziel einer „Abfallfreien Türkei“ ausgerufen.

Keiner will mehr einer Tüte haben

Schon in den ersten Tage nach Inkrafttreten der Tüten-Gebühr zeigt sich eine deutliche Besserung, wie die Regierung erfreut festgestellt hat: Der Verbrauch von Plastiktüten sei in manchen Supermärkten um bis zu 70 Prozent zurückgegangen, erklärte das Umweltministerium. Genauere Erkenntnisse würden Mitte Januar erwartet. Im Istanbuler Discounter können die Supermarkt-Mitarbeiter den Trend schon jetzt bestätigen. „Kein Mensch nimmt mehr eine Tüte“, sagt der Kassierer. „Jeder hat seine eigene Tasche dabei.“ Ein Kunde steckt seine Einkäufe in eine verknitterte Tüte, die er selbst mitgebracht hat. Nur die dünnen Tüten für frisches Obst und Gemüse sind weiterhin ohne Gebühr zu haben.

Doch die Verbraucher sind sauer. Jetzt müsse man auch noch dafür bezahlen, dass man mit den Tüten unfreiwillig Reklame mache, beschwerte sich ein Kunde laut dem Nachrichtensender NTV; schließlich bedrucken die Supermärkte die Tüten mit ihrem Logo. Manche sehen in der Gebühr eine unternehmerische Chance. Einigen Berichten zufolge postieren sich vor manchen Märkten inzwischen fliegende Händler, die Plastiktüten für zehn Kurus das Stück verkaufen – also für 15 Kurus weniger als gesetzlich vorgeschrieben. Bei den Kunden sind diese Tüten offenbar recht beliebt.

Viel Lärm um nichts?

Nach der Erfahrung mit anderen Verboten in der Türkei ist es ohnehin möglich, dass das Land nach der ersten Aufregung über das neue Gesetz zu den alten Gewohnheiten zurückkehrt. So herrscht in allen Taxis der Türkei zwar strenges Rauchverbot, doch im Alltag ignorieren viele Fahrer die Vorschrift. Ähnliches könnte auch bei den Plastiktüten geschehen. Der Inhaber eines Istanbuler Krämerladens sagt, er habe nicht vor, seine Kunden mit der Gebühr für die Tüten zu behelligen. „Das gilt doch nur für große Supermärkte“, sagt er mit todernstem Gesicht. Bei mehr als 150 000 Tante-Emma-Läden in der Türkei ist es unwahrscheinlich, dass ausgerechnet in seinem Laden das Tüten-Verbot tatsächlich kontrolliert wird.