Ab sofort ist Geschlechtsverkehr in Schweden nur noch mit ausdrücklicher Zustimmung aller Beteiligten legal.

Stockholm - Seit dem 1. Juli gibt es in Schweden ein Gesetz, das Sexualstraftaten verhindern soll. Ab sofort müssen die Sexpartner vor dem Akt ihre aktive Zustimmung geben. Sonst wird der Geschlechtsverkehr im späteren Streitfall als Vergewaltigung angesehen und es droht eine Verurteilung. Dies gilt auch, wenn die Klägerin oder der Kläger beim Sex bei vollem Bewusstsein war und sich lediglich passiv verhielt. Ein Nein oder ein anderweitiges Abwehrzeichen ist dann nicht mehr notwendig, um wegen Vergewaltigung verurteilt zu werden. Bei sehr passiven Sexpartnern ist dann eine rücksichtsvolle Nachfrage ratsam.

 

„Die Gesetzesänderung soll dazu beitragen, dass mehr Übergriffe als Vergewaltigung angesehen werden. Also auch Fälle, wo kein Nein vom Opfer vorliegt“, erklärt Sofie Rudh, Sprecherin von Justizminister Morgan Johansson unserer Zeitung.

Neben der bereits bestehenden „weniger groben Vergewaltigung“, unter deren Verdacht etwa Wikileaks-Gründer Julian Assange stand, werden die „unachtsame Vergewaltigung“ und der „unachtsame sexuelle Übergriff“ als neue Strafbestände eingeführt. Sowohl der Gesetzesrat, eine Kontrollinstanz für neue Gesetze, als auch der Anwaltsverband haben das „Einverständnisgesetz“ scharf kritisiert. „Das Gesetz verlangt, dass bei jeder neuen sexuellen Handlung immer wieder um Erlaubnis gebeten werden muss. Erwachsene wissen doch, dass man nicht vor jedem Akt verhandelt und ein Abkommen schließt“, sagt Anne Ramberg, Chefin vom Anwaltsverbund. „Große Bedeutung wird die Einführung der ‚unachtsamen Vergewaltigung‘ haben. Da muss es nicht mal um eine absichtliche Handlung gehen“, sagt sie. „Wie soll ein einzelner Richter da entscheiden, was ein Ausdruck für Zustimmung ist?“, fragt Ramberg.

Eine App soll für Klarheit sorgen

Wegen der Rechtsunsicherheit hat die Strafrechtsanwältin Baharak Vaziri, Eigentümerin der in mehreren schwedischen Städten vertretenen Anwaltskanzlei Vaziri, eine kostenpflichtige Einwilligungs-App mit Namen „Libra“ für Smartphones lanciert. „1158 Schweden haben sie schon installiert“, sagt sie unserer Zeitung. Noch in diesem Jahr soll es die App auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz geben.

Schweden, die miteinander Sex haben wollen, können sich via Internet registrieren und dann ihre Einwilligung bestätigen. Nach dem Einloggen erhalten die Partner einen Code, den sie in ihr Smartphone eingeben müssen. Es folgt die vertragliche Zustimmungsfrage für den anvisierten Akt, die sie dann mit Ja beantworten können. Die App greift auf den Aufenthaltsort der Sexpartner zurück und funktioniert nur, wenn diese sich nahe beieinander aufhalten. So soll vermieden werden, dass sich die Sexpartner zu frühzeitig das Einverständnis geben, dann aber vor Ort ihre Meinung ändern.

„Die neue Gesetzgebung kann große Beweisschwierigkeiten mit sich bringen, gerade wenn es um Einverständnis bei der sexuellen Übereinkunft zwischen zwei Parteien, die Sex haben, kommt“, erklärt Vaziri ihre App gegenüber der Zeitung „Dagens Juridik“. Die App sei auch gut, weil die Parteien kurz vor dem Sex Zeit bekommen, darüber nachzudenken, ob sie wirklich Sex haben wollen. Sie habe schon vor der Gesetzesverschärfung häufig erlebt, dass Personen wegen Vergewaltigung verurteilt werden, obwohl die Beweislage unzureichend war.

Kritiker bemängeln, dass die App einen Freibrief für Männer darstellt

Juraprofessor Mårten Schultz räumt gegenüber der Zeitung „Aftonbladet“ ein, dass eine solche App-Übereinkunft juristische Bedeutung haben kann. Doch die App erregt derzeit auch viel Wut in Schweden, wie das Thema insgesamt. Ausgerechnet Politiker der für das Gesetz federführenden, sich als feministisch bezeichnenden rot-grünen Regierung als auch freistehende Feministen lehnen die App ab. „Es ist furchterregend eklig, mit der Verletzlichkeit von Frauen Geld zu verdienen“, bringt etwa eine 27-jährige Schwedin auf der Kommentarseite der App die Kritik auf den Punkt. Auch im öffentlich-rechtlichen Radio Schweden kritisierten Feministinnen die App scharf. Die würde Männern einen Freibrief geben, sobald die Frau unterzeichnet hat. Eine Person müsse sich jederzeit dem Sex entziehen können, argumentieren sie.