Wie schafft man es, vernünftig mit Provokationen und Konflikten im Alltag umzugehen? Das lernen Achtklässler neuerdings im szenischen Spiel. Eine Polizistin und ein Sozialpädagoge begleiten das Präventionsprojekt „Stark ohne Gewalt“ an Stuttgarter Schulen. Die Nachfrage übersteigt die Kapazitäten.

Stuttgart - Szene im ICE Stuttgart-Mannheim: „Haben Sie ein Ticket, äh eine Platzkarte?“, fragt ein schmaler Bub höflich einen körperlich überlegenen älteren Herrn, der den Platz schon besetzt hat. Der Gefragte bellt zurück: „Willst du hier Stress machen? Komm geh nach Haus.“ Der Bub bleibt freundlich, aber hartnäckig: „Ich sitze hier.“ Darauf der Mann: „Nein, du stehst, ich sitze.“ Die Szene schaukelt sich auf , der Bub bittet Mitreisende, den Schaffner zu holen. Der Schaffner ist eine Polizistin in vollem Ornat, der Mann fügt sich und überlässt den Platz dem Jungen.

 

Die Szene im Musiksaal des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums ist nur gespielt, aber der Achtklässler und die Polizistin sind echt, und den pampigen Mann hat eindrucksvoll der Konflikttrainer und Sozialpädagoge Markus Beck von der Caritas gemimt. Prävention soll ja auch Spaß machen. Vier Stunden lang haben sie mit den Achtklässlern trainiert, wie man sich in so einem oder ähnlichen Fällen verhalten kann, wo die Grenzen der Zivilcourage sind und was man auf gar keinen Fall tun sollte.

In kritischen Situationen ist nicht nur Courage gefragt

Wichtig sei, sich beim Helfen nicht selber in Gefahr zu begeben, schärft die Polizeibeamtin Nicole Emmert den Schülern ein. Wer Hilfe wolle, solle potenzielle Helfer persönlich ansprechen und nicht nur in den Raum hinein. Aber auch eine gute Beobachtungsgabe sei gefragt und die Bereitschaft, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen, ergänzt sie – „dann können wir als Polizei aktiv werden“.

Das Training gehört zum Präventionsprojekt „Stark ohne Gewalt“, das seit diesem Schuljahr für Stuttgarter Schulen an den Klassenstufen sieben bis neun angeboten wird. Es wurde von der Stuttgarter Sicherheitspartnerschaft konzipiert, beteiligt sind Stadt, Polizei, Caritas, Staatliches Schulamt, Regierungspräsidium und – als Förderer – das Landeskriminalamt, die Opferschulzorganisation Weißer Ring e.V. und der Förderverein Sicheres und Sauberes Stuttgart e.V. Das Projekt soll Schülern mehr Sicherheit beim Handeln geben, wenn sie in kritische Situationen geraten.

Szenisches Training kommt sehr gut an

Neu an dem Projekt ist, dass sowohl ein Sozialpädagoge als auch eine uniformierte Polizistin beteiligt sind und auch handgreifliche Szenen geübt werden. Das kommt an – und zwar so gut, dass das Programm für dieses Schuljahr bereits ausgebucht ist, jedenfalls die 48 subventionierten Veranstaltungen. Bei diesen beträgt der Eigenanteil der Schulen 50 Euro, 200 Euro schießen die Förderer zu. Weitere Schulen mussten selber zahlen.

Das Elly nicht, es hatte Glück. „Wir sind Modellschule für Inklusion, haben Ganztagsbetrieb und zwei Vorbereitungsklassen – uns ist es sehr wichtig, dass die Schüler lernen, Konflikte gut zu bewältigen“, sagt Schulleiter Norbert Edel. Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) meinte: „Polizist neben Sozialarbeiter – das hat man sich vor 20 Jahren noch nicht vorstellen können.“ Die große Nachfrage der Schulen mache ihn betroffen.

Polizei bedauert: Nicht jede Schule kann sich das leisten

Ludwig Haupt vom Präventionsreferat der Polizei, erklärte, weshalb das szenische Spiel wichtig sei: „Schüler können Dinge, die sie selber erleben, viel besser behalten.“ Er bedauerte die Kostenhürde: „Nicht jede Schule kann sich das leisten.“ Klaus Thomas vom Verein Sicheres und Sauberes Stuttgart: „Wir müssten so ein Training immer wieder bringen.“ Willi Pietsch, Präventionskoordinator vom Weißen Ring, sagte: „Wir haben damit in Stuttgart einen Solitär – auch andere Gemeinden hätten Bedarf.“