In Heidelberg entsteht ein neuer Stadtteil. Die Bahnstadt gefällt zwar nicht allen, doch die Nachfrage nach den Wohnungen ist groß und wer schon eingezogen ist, der fühlt sich wohl.
Heidelberg - Dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) gefällt die neue Bahnstadt in Heidelberg nicht besonders. „Gleichförmige Blöcke, nichts als Wohnungen“, hat er unlängst festgestellt: „Da sieht man, was herauskommt, wenn man solche Flächen durch Investoren bebauen lässt.“ Der Heidelberger Schriftsteller Michael Buselmeier hat sich den neuen Stadtteil, der gleich hinter dem Hauptbahnhof beginnt, noch gar nicht angeschaut: „Die können das so hässlich machen, wie sie wollen, es tangiert mich nicht, weil ich da gar nicht vorbeikomme“, hat er gerade in einem Interview anlässlich seines 75. Geburtstags wissen lassen.
Das neue Quartier auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs wächst indessen ungeachtet solcher Kritik in Rekordzeit heran. Ein „international visionärer Stadtteil“ mit Gewerbe, Wohnungen und einem Forschungscampus soll hier nach den Planungen bis 2018 stehen. Es soll ein Stadtteil der kurzen Wege werden, von dem aus man zu Fuß zum Bahnhof und mit dem Rad in die Uni oder die City kommt.
Bis Ende des Jahres sollen 2000 Leute hier wohnen
Im März 2009 hatte der Erste Bürgermeister Bernd Stadel den Startschuss zum Bau des Viertels gegeben. Kurz zuvor hatten sich dort, im Niemandsland zwischen alten Gleisanlagen, dem ehemaligen Schlachthof und dem Eros-Center noch die Eidechsen getummelt. Mitte 2012 zogen die ersten 600 Bewohner ein, inzwischen sind es 1000, bis Ende dieses Jahres sollen es schon 2000 sein. Es gibt eine Kindertagesstätte, eine Sparkassenfiliale, einen Stadtteiltreff und ein kleines Café, demnächst eröffnet das erste Studentenheim.
Der Ansturm auf die Wohnungen, die alle im Passivhausstandard errichtet werden sollen, ist groß – von Seiten der Investoren wie von Bewohnern. „Alle Objekte wurden bisher weit vor der Fertigstellung verkauft, wir haben über 2000 vorgemerkte Kunden“, erklärt Georg Breithecker, einer der Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft EGH, in der die LBBW, die Heidelberger Sparkasse und die städtische Gesellschaft für Grund- und Hausbesitz vertreten sind und der die Stadt die Entwicklung und Vermarktung übertragen hat.
Wohnblock reiht sich an Wohnblock, jeder hat sechs Stockwerke
Am Langen Anger, einer der zentralen Achsen durch den lang gestreckten Stadtteil, reiht sich bereits Wohnblock an Wohnblock, jeder von ihnen ist sechs Stockwerke hoch. Dahinter liegen begrünte Innenhöfe, die Straße davor ist 41 Meter breit. Nur sechs Meter davon sind für die Fahrspur reserviert, auf dem Rest der Fläche gibt es große Wasserbecken und eine vierreihige Allee; etwa 300 Bäume sollen noch in diesem Jahr gepflanzt werden. „Das gibt eine Superaufenthaltsqualität, eine Straße, die zum Verweilen einlädt“, schwärmt Breitheckers EGH-Kollege Peter Dohmeier.
Nicht ganz so hoch hinaus geht es auf der anderen Seite, des Angers am Rand des neuen Stadtteils. Hier sind die Gebäude nur dreieinhalb Geschosse hoch, es gibt teure bis sehr teure Eigentumswohnungen und Penthäuser mit Blick auf alte Schrebergärten und das Pfaffengrunder Feld; davor entsteht auf der alten Gleistrasse zurzeit eine gut anderthalb Kilometer lange Promenade mit Spielplätzen, Rad- und Fußwegen.
Alteingesessene Heidelberger fühlen sich beengt
All das ist für alteingesessene Heidelberger ein ungewohnter Anblick. Vielen ist die Bebauung zu massiv und auch zu dicht. Die Experten unter ihnen bedauern, dass man sich bei der Umsetzung zu sehr von dem ursprünglichen Entwurf des städtebaulichen Wettbewerbs entfernt hat. Den hatte 2001 das Darmstädter Büros Trojan und Trojan gewonnen, das eine insgesamt nicht ganz so dichte Bauweise und stärker vernetzte öffentliche Räume vorgeschlagen hatte.
„Wir selbst empfinden das ganz anders“, erklärt Dieter Bartmann, der Vorsitzende des Stadtteilvereins, der sich schon vor einem Jahr gegründet hat und als Sprachrohr der Bewohner versteht. „Die Bahnstadt ist ein lebendiger Stadtteil, da darf man nicht nur auf die Fronten der Häuser schauen, man muss sich das gesamte Konzept ansehen. Hier zu wohnen ist absolut super“, sagt der Sprecher, der, wie 58 Prozent der Bahnstädter aus dem Umland neu nach Heidelberg gezogen ist. „Man lebt zusammen, man hat eine sehr gute Nachbarschaft, und wir arbeiten daran, dies noch weiterzuentwickeln.“
Nur die Infrastruktur, bemängelt er, „hinkt noch hinterher“. In der Tat ist da noch einiges zu tun: Ein Einkaufszentrum, eine Schule, weitere Kitas sind geplant; ein Großkino soll 2015 in Betrieb gehen, die Straßenbahn soll den Stadtteil 2017 anfahren. An den alten Güterbahnhof erinnern dort heute nur noch zwei Stellwerkhäuschen und ein Ausbesserungswerk. Was aus denen werden soll, ist noch offen. „Es ist klar, dass die ersten Bewohner, die Pioniere, noch mit Nachteilen zurechtkommen müssen“, erklärt Baubürgermeister Stadel. „Doch die hohen Nachfrage und die anhaltende Begeisterung der Bewohner zeigen, dass das Konzept aufgeht.“