Eine Stunde am Tag soll man sich bewegen. Das empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation. Daran scheitern die meisten Erwachsenen, mittlerweile aber auch der überwiegende Teil der Jugendlichen. Die Stadt Stuttgart will dies mit einem neuen Konzept ändern.

Stuttgart - Computer, Handy und Tablet, das galt mal als Teufelszeug für Kinder und Jugendliche. In den vergangenen 16 Monaten ist all dies unverzichtbar geworden, um dem Unterricht folgen oder Kontakt zu Freunden halten zu können. Zugleich fand während der Pandemie kaum noch Vereinssport statt, monatelang waren auch Bolz- und Spielplätze geschlossen. Das hat gerade in der Altersgruppe von 14 bis 25 Jahren „die Bewegungsarmut noch verschärft“, wie das Stuttgarter Sportamt feststellt.

 

Kinder treiben zu wenig Sport

Nach Angabe der Weltgesundheitsorganisation WHO sollten sich Kinder und Jugendliche mindestens 60 Minuten am Tag bewegen. Besser wäre mehr. Doch das schaffen weltweit nur 20 Prozent, wie die WHO in einer Studie festgestellt hat. „Wir hatten eine elektronische Revolution, die die Bewegungsmuster von Jugendlichen offensichtlich verändert hat – und sie dazu anregt, mehr zu sitzen, weniger aktiv zu sein, mehr zu fahren, weniger zu gehen“, sagt Leanne Riley, eine der Co-Autorinnen der Studie. In Deutschland sieht es nicht besser aus. Das Robert-Koch-Institut hat in einer Studie erhoben, dass lediglich 16 Prozent der Jungen und nur 7,5 Prozent der Mädchen sich eine Stunde am Tag bewegen.

Corona bremst Bewegung

Und das wohlgemerkt vor der Pandemie. „Corona wird die Sache nicht besser gemacht haben“, sagt Daniela Klein, Leiterin des Sportamts. Dies macht sich denn auch bemerkbar in der hohen Zahl der Austritte aus den Stuttgarter Vereinen in diesem Alter. Bei den Zehn- bis 14-Jährigen sind 74 Prozent Mitglieder in Sportvereinen. Diese Zahl sinkt in der Altersgruppe von 14 bis 18 auf 55 Prozent, im Alter von 18 bis 26 Jahren sind es nur noch 18 Prozent. Auffällig ist auch hier der Unterschied zwischen den Geschlechtern. Jungen sind doppelt so häufig in einem Sportverein wie Mädchen.

Umfrage unter Jugendlichen

Um sich dem Problem zu nähern, hat die Stadt 50 Jugendliche am Telefon interviewt. Dabei kam heraus, dass die beliebtesten Sportarten Fitness, Ballsport und Ausdauersport sind. Allerdings wünschen sich die Jugendlichen mehr Angebote im Breitensport, nicht im Wettkampfsport. Und für den öffentlichen Raum sollte es mehr Skate- und Calisthenicsanlagen, also Fitnessgeräte, offizielle Mountainbikestrecken sowie Bolzplätze in besserem Zustand geben.

Insgesamt 56 Teilnehmer aus Ämtern, Vereinen, Mobiler Jugendarbeit und Jugendhausgesellschaft haben sich in der Steuerungsgruppe Jugendsport zusammengefunden und erste Ideen entwickelt. So will man von 2022 an verschiedene Sporthallen samstags von 12 bis 17 Uhr zum Kraft- und Fitnesstraining öffnen. Übungsleiter der Vereine betreuen dies, aber jeder kann kommen, ohne Mitglied sein zu müssen. Das würde jeweils 50 000 Euro in den Jahren 2022 und 2023 kosten. Im Rahmen des Programms Sport im Park will man Angebote nur für Jugendliche schaffen. Und die Jahresuhr des Sport soll ausgeweitet werden. Bisher können Kinder von sechs bis elf Jahren in verschiedene Sportarten hineinschnuppern. Dies möchte man nun auch für Jugendliche anbieten mit zwölf Angeboten, etwa auch Football oder Baseball, die einmal im Monat an einem Samstag ausprobiert werden können. Und die Vereine überlegen, als Anschluss an die Kindersportschulen Jugendsportclubs einzuführen, hier könnte auch ohne Wettkampf und Leistungsgedanken Sport getrieben werden.

Im Visier: die Mädchen

Nachdenken muss und will man, wie man Mädchen erreicht. Darauf werde man ein Hauptaugenmerk legen, sagte Daniela Klein von der Stadtverwaltung. Klar ist, öffentliche Räume zum Sporttreiben müssen sicherer, lichter und einsehbarer geplant und gebaut werden. „Da wurden junge Frauen bisher nicht explizit und ausreichend berücksichtigt“, so Daniela Klein.

Das soll sich ändern

„Ein Geheimrezept gibt es nicht“, sagt Dominik Hermet, Geschäftsführer des Sportkreises Stuttgart, „aber lasst uns einfach mal Sachen ausprobieren, lasst uns Fehler machen und testen, was funktioniert und was nicht.“ In der Hoffnung, dass man die Jugendlichen wieder für Vereine gewinnen kann. Aber vor allem, dass sie Computer und Handy beiseite legen und sich bewegen.