Neues von Harry-Potter- Erfinderin J. K. Rowlings neues Buch
Liest die ganze Welt dasselbe an Weihnachten? J. K. Rowlings neues Buch „Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein“ erscheint zeitgleich in mehr als 20 Übersetzungen.
Liest die ganze Welt dasselbe an Weihnachten? J. K. Rowlings neues Buch „Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein“ erscheint zeitgleich in mehr als 20 Übersetzungen.
Stuttgart - Was ist diese Geschichte? Ein Kinderbuch mit philosophischen Anklängen? All-Age-Lesestoff wie die Saga von Harry Potter? Ein Plädoyer für einen achtsameren Umgang mit der Welt und einen Kreislauf der Dinge? Wahrscheinlich von allem ein bisschen: Rund 25 Jahre nachdem J. K. Rowling das erste Abenteuer Harry Potters abgeschlossen hat, legt die britische Autorin ein neues Kinderbuch vor. „Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein“ erscheint an diesem Dienstag in mehr als 20 Sprachen gleichzeitig.
Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: J. K. Rowling erzählt vom Monster Ickabog
Seit mehreren Jahren, so schreibt Rowling im Nachwort, habe sie die Idee zu diesem Buch beschäftigt. Dennoch werden viele die abenteuerliche Reise Jacks in das Land der verlorenen Dinge, wo er nach seinem geliebten Kuscheltier sucht, auch durch die Brille des Aktuellen lesen. Da ist nicht nur die Flut an Gegenständen, die uns einfach so abhandenkommen und die Rowling in der „Ödnis der Unbeweinten“ ein trauriges Dasein fristen lässt . . . Da ist vor allem ein Herrscher, Verlierer sein Name, der Assoziationen auslöst.
In erster Linie ist Jacks Reise aber eine klassische Weihnachtsgeschichte. Neun Teile hat sie, im ersten fasst Rowling mit feinem Gespür für die Verletzungen einer Kinderseele die Ereignisse zusammen, die Jack und sein Kuscheltier DS, die Abkürzung steht für Das Schwein, zur unzertrennbaren Einheit zusammenschweißten. Wie DS an einem Strand fast verloren ging, wie sein einst rosafarbenes Plüschfell Jacks Tränen über die Trennung der Eltern schluckt, wie eine neue familiäre Situation Jack vom geliebten Sohn zum gepiesackten Stiefbruder und DS zum Opfer eines Streits macht: All das erdet die Geschichte in der realen Welt, ist aber nur der Türöffner zu einer anderen Wirklichkeit, zu einer Nacht der Wunder.
An Heiligabend werden nämlich wie in E. T. A. Hoffmanns Märchen vom „Nussknacker und Mäusekönig“ die Dinge in Jacks Zimmer lebendig. Und wie Ebenezer Scrooge in „A Christmas Carol“ bricht Jack, auf Kuscheltiergröße geschrumpft, zu einer Reise auf, die über mehrere Stationen und noch mehr wundersame Wendungen durchs Land der Verlorenen zum rund 300 Seiten entfernten Happy End führt. Auch Jack lernt auf diesem gefährlichen Trip einiges über sich und sein Verhältnis zu seinen Mitmenschen. Doch im Gegensatz zu Charles Dickens grantigem Geizhals Scrooge ist Jack von Beginn an das Gute in Person, dem J. K. Rowling schon in ihrem zuletzt veröffentlichten Kinderbuch, der Geschichte vom „Ickabog“, zum märchenhaften Sieg verhalf.
J. K. Rowling setzt ihren jungen Helden bei der Suche nach seinem verlorenen Schwein allerlei Gefahren aus; die massivste ist die drohende Vernichtung durch den monströsen Verlierer. Der verschlingt nicht nur willkürlich Dinge. Er ist auch wenig begeistert darüber, dass in seinem Reich etwas ist, das nicht dort sein sollte: ein lebendiger Mensch. „Ich bin eine Actionfigur. Pyjama Boy, mit der Macht über den Schlaf und die Träume“, lautet deshalb Jacks Antwort auf neugierige Fragen.
Jacks treuer Begleiter durch die Ödnis der Unbeweinten, die Stadt der Vermissten, auf die Insel der Geliebten und zuletzt in die Höhle des Verlierers ist das Weihnachtsschwein, kurz WS, ein Geschenk seiner Stiefschwester Holly als Ersatz für das von ihr zum Autofenster hinausbeförderte DS. Wie sich das Verhältnis von Jack zu seinem Ersatzschwein wandelt, ist der heimliche Motor der Geschichte. Um tiefe Freundschaft geht es; für sie ist Jack bereit, die Rückkehr in die reale Welt und sogar sein Leben aufs Spiel zu setzen.
J. K. Rowling gelingt es, Dinge mit Liebe zum Detail anschaulich und dank starker Dialoge so lebendig zu machen, dass sich Bilder und Szenen fast filmisch ineinanderfügen. In Jacks Zimmer spricht das ramponierte Matchbox-Auto mit krächzender Stimme. Eine Brille, ein Adressbuch, eine Schachfigur, eine Brotzeitdose und vieles mehr, was Menschen gern verlieren, treten später auf. Die Beschreibung von Orten, die als Setting für einen Western oder ein neues Disney-Abenteuer taugen, nehmen viel Platz ein, bremsen aber leider die Spannung etwas aus. Vorlesende werden da vielleicht nach Abkürzungen fahnden.
Dass auch abgelegte schlechte Gewohnheiten wie Nasebohren oder Nägelkauen im Land der Verlorenen herumlungern, führt zu lustigen Begegnungen. Doch wenn sie Tugenden, Prinzipien und miese Eigenschaften wetteifern lässt, eröffnet sich J. K. Rowling Raum für einen philosophischen Blick auf die Welt. Letztendlich geht es am Beispiel der Dinge, die wir verschwenden und die im Reich des Verlierers auf ihre „Erweckung“ warten, auch um die Frage, wie wir mit Ressourcen umgehen und wie etwas wirklich wertvoll wird. Und so lässt sich „Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein“ als Aufforderung lesen, liebevoller mit Menschen und unserer Umwelt umzugehen.
Infos
Buch
J. K. Rowling: „Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein“. Carlsen-Verlag, 336 Seiten, 20 Euro. Ab 8
Übersetzung
Die deutsche Ausgabe geht mit einer ersten Auflage von 200 000 Exemplaren an den Start. Übersetzt hat sie Friedrich Pflüger, der im Land der Verlorenen Dinge mit sprechenden Namen für Ordnung sorgt.
Illustration
Die teilweise doppelseitigen Abbildungen des britischen Illustrators Jim Field ziehen mit einem magischen Sog in eine andere Welt: Der Betrachter fliegt mit dem Kuschelschwein aus dem fahrenden Auto und stürzt mit Jack hinab in märchenhafte Abgründe.