Noel und Liam Gallagher, die beiden Ex-Köpfe der legendären Britrockband Oasis, zanken munter in der Öffentlichkeit weiter. Daneben legen die beiden Brüder nahezu zeitgleich aber auch neue Tonträger vor.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Selbst im – wie dieser Tage wieder rund um den Brexit zu besichtigen – an Exzentrikern nicht armen England nehmen die Brüder Liam und Noel Gallagher noch immer eine Sonderstellung ein; nicht zuletzt, weil sie stets peinlich darauf bedacht sind, ihren Bruderzwist unter allen Umständen stets im Lichte der Öffentlichkeit auszutragen. So schaffen sie es nicht nur mühelos, jedem Lehrbuch für Künstlermarketing Hohn zu sprechen, sondern es gelingt ihnen auch, selbst die wohlmeinendsten Kollegen gegen sich aufzubringen. Jüngstes Beispiel für Letzteres ist der zaghafte und nett gemeinte Versuch des Foo-Fighters-Frontmanns Dave Grohl, mittels einer Onlinepetition die Wiedervereinigung von Oasis herbei zu flehen, der von Noel Gallagher prompt mit den Worten gekontert wurde, er werde eine Petition für die Auflösung der Foo Fighters ins Leben rufen.

 

Lust an der Selbstzerfleischung

Aber derlei Petitessen sind natürlich nichts gegen die Art und Weise, wie sich die Brüder selbst zerfleischen. Den Tag des zehnjährigen – nun ja – Jubiläums der Oasis-Trennung nutzte Liam Gallagher jüngst für folgende Worte: „Noel sollte sich schämen. Ich frage mich, wo auf der Welt er gerade ist. Ich wette, er versteckt sich irgendwo in einem Küchenschrank in irgendeinem sehr dunklen Zimmer.“

Noel Gallaghers letzter Streich in dieser Schlammschlacht bestand wiederum darin, seinem Bruder die Nutzungsrechte an Oasis-Songs für seinen geplanten Dokumentarfilm zu verbieten, ebenfalls mit einer nicht gerade zimperlichen Begründung: „Natürlich habe ich das abgelehnt. Wenn irgend ein verdammter Idiot daher kommt und einen Film produziert, in dem er mich mies macht, zuvor meine Frau als Schlampe bezeichnet, sich im Internet über meine Kinder lustig macht, sich wie ein schmieriger kleiner misogynistischer Idiot verhält, der den Mund auf Twitter nicht halten kann und mich dann nach einem Gefallen fragt, dann sage ich nur „Wow. Du bist so dumm, wie du aussiehst.“

Frohgemut blicken wir also der anstehenden Hochzeit Liam Gallaghers entgegen, zu der er bizarrerweise auch seinen Bruder und dessen Frau mit den herzlichen Worten „die beiden sind sich schließlich auch sonst für nichts zu schade“ eingeladen hat – und schauen derweil auf das, was die beiden Herrschaften eigentlich bekannt gemacht hat: nämlich ihre Musik. Beide legen dieser Tage zeitgleich neue Tonträger vor; selbstredend nicht am selben Tag, sondern um eine Woche versetzt; natürlich nicht bei demselben Label, sondern bei zwei grundverschiedenen; und Liam veröffentlicht schließlich ein Album, während Noel auf sein Minialbum „Black Star Dancing“ vom Juni nun eine weitere EP folgen lässt.

Sieger nach Punkten bleibt in diesem Ringkampf zunächst einmal keiner. In der Teildisziplin Oasis-Lookalike-Contest gibt es ein Unentschieden, denn allen selbst artikulierten Wünschen zum Trotz schaffen es weder Noel (nach bereits vier Soloveröffentlichungen) noch Liam (auf dem immerhin zweiten Album unter eigenem Namen) auch weiterhin nicht, gänzlich anders als ihre frühere gemeinsame Band zu klingen. Liam Gallagher macht dies schon im Album-Opener „Shockwave“ klar und perfektioniert dies nachgerade im Stück „The River“ – einen reinrassigeren Oasis-Titel als dieses Stück hätte auch der damalige Oasis-Songwriter Noel Gallagher nie hinbekommen . . . Aber genug mit den Vergleichen, sonst handeln wir uns hier noch den Ärger von gleich beiden ein.

Freunde der Retrospektive, trotz allem

Ganz allgemein jedenfalls zeigt sich der fünf Jahre jüngere Liam dem Kanon der bestehenden Musikliteratur deutlich eher zugewandt. Sei es bei den etwas altbackenen Synthie-Streichern und den, ups, an Oasis erinnernden Refrainchorälen in „Gone“, der klassischen Britpopnummer „One of us“, dem john-lennonesken „Once“ oder dem ebenso beatlehaft klimpernden Piano in „Halo“. Alles geht very british zu auf den elf neuen Stücken seines neuen Albums, aber nie klingt er fad; ganz im Gegenteil hat Liam Gallagher ein reife Leistung abgeliefert.

Noel Gallagher hingegen macht da weiter, wo er mit der letzten EP aufgehört hat. Poppig, allerdings nicht ganz so funky und längst nicht so zwingend wie zuvor „Black Star Dancing“ klingt nun auch der neue Titeltrack „This is the Place“. Ausgeschlafener zeigt er sich auf dem zweiten Song, dem träumerischen „A Dream is all I need to get by“, dem schließlich noch der dritte neue Song „Evil Flower“ sowie zwei Remixe auf dieser EP folgen. Auch in der Summe beider EPs ist das zu wenig, um sich ein richtiges Urteil über die aktuelle Form Noel Gallaghers zu bilden – aber doch ein Fingerzeig, dass auch er sein Handwerk nicht verlernt hat. Die Brüder sind weiterhin keine Sympathieträger, aber doch sehr gute Musiker.