Der Klimawandel heizt den Städten ein. Auch auf dem Marktplatz dürften Schatten und Abkühlung künftig noch wünschenswerter sein. Was aber, wenn dort aus technischen Gründen keine weitere Bäume gepflanzt werden könnten? Spätestens dann kommt eine andere Lösung in Frage, die ein Unternehmen in Oberaichen anbietet.

Stuttgart - Was wird aus dem Marktplatz? In den Köpfen der zuständigen Planer ist die Umgestaltung schon weit gediehen. Ein Wasserfontänenfeld und ein neues Pflaster spielen die zentralen Rollen. Doch der wachsenden Notwendigkeit von Klimaschutz und Vermeidung von Hitzestress wird das nicht gerecht. Dafür würden sich zusätzliche Bäume anbieten. Oder, wie sich jetzt zeigt, auch Schattenspender in Form von automatisch entfaltbaren und schließbaren Großschirmen.

 

OB Fritz Kuhn (Grüne) denkt an Hochbeete für mehr Grün. Er will aber nochmals prüfen lassen, ob neue Bäume gepflanzt werden können. Das sagte er nach dem Bericht unserer Zeitung, dass Stadtklimatologen acht Bäume am nördlichen Marktplatzeck empfohlen hatten, falls man die gefühlten Temperaturen an heißen Sommertagen um rund zehn Grad verringern wolle. Verwaltungsintern kamen sie damit nicht durch.

Schirme als Alternative

Was aber, wenn das wegen des Untergrunds nicht geht? Dann könnten Schirme, wie sie von der Firma SL Rasch in Oberaichen entworfen und weltweit zum Einsatz gebracht werden, eine Alternative sein. Mehr noch: Im Vergleich zu Bäumen gebe es Vorteile, meinen Geschäftsführer Mustafa Rasch und Technikchef Jürgen Bradatsch. 2004 waren sie mit Frei Otto schon einmal vorgeprescht. Der weltberühmte Baumeister und seine Schüler schlugen große Automatikschirme vor, mit denen in kürzester Zeit ein 6000 Quadratmeter großes Regendach über dem Schlossplatz zu bilden wäre. Experten im Städtebauausschuss fanden das diskussionswürdig, aber nicht schnell realisierbar. Die Schirmidee verschwand in der Schublade.

Nun wagen Rasch und Bradatsch einen neuen Anlauf. Auf Anfrage unserer Zeitung skizzierten sie eine Schirmlösung in abgespeckter Variante für den Marktplatz. An den Stellen, für die die Stadtklimatologen Bäume erwogen hatten, würden sechs Metallschirme stehen, mit Durchmessern im aufgespannten Zustand von 13 Metern. Die Schirmmasten wären jeweils etwa zwölf Meter voneinander entfernt, mit Teflongewebe bespannt. Sie würden eine Fläche von knapp 700 Quadratmetern überdecken und wären seitlich 5,70 bis 6,30 Meter hoch. Das automatische Entfalten würde sich in Höhen von über 2,50 Meter abspielen – über den Fußgängern.

Investitionskosten von 1,5 Millionen Euro

Die Entwickler empfehlen eine weiße Bespannung und ein minimalistisches Erscheinungsbild. Die Schirme könnten mit LED-Leuchten neutral oder farbig beleuchtet werden. Kleine Fotovoltaikzellen lieferten den Ökostrom dafür – und auch für das Aus- und Einfahren. Metallhüllen würden sich um die geschlossenen Schirme legen und auf dem Platz dann „schlanke Prismen“ bilden – falls man die Masten nicht komplett versenken möchte. Für Letzteres müsste man punktuell zwölf Meter unter die Erde gehen. Auch wenn oben Masten blieben, ließen sich Einschränkungen für die Veranstaltungen fast völlig vermeiden, heißt es. An Markttagen könnten Lieferwagen unter den Schirmen parken.

Bäume liefern außer Schatten auch Verdunstungskühle durch biologische Prozesse. An dem Punkt sind die Schirme im Nachteil, wenngleich es möglich ist, darunter feinsten Wasserdampf zu verteilen. Wegen der Hygiene müsste man die Leitungen aber häufig mit Chlor reinigen. Das ergibt einigen Aufwand. „Vielleicht sollte man immerhin Leitungen legen, falls der Hitzestress einmal stärkere Maßnahmen erfordert“, sagt Rasch. Schirme würden andererseits nicht die Gebäudefassaden aus den 1950er Jahren dauerhaft verdecken wie es Bäume tun würden.

Rasch und Bradatsch schätzen die Investitionskosten auf eine bis anderthalb Millionen Euro – ohne versenkbare Masten. Das Schirmgewebe sei sehr beständig, UV- und wetterfest, schmutzabweisend, nicht entflammbar – und der Betriebsaufwand überschaubar. In gewissen Intervallen müssten die Schirme mit Frischwasser abgespritzt werden. Alle vier Wochen sei eine Sichtkontrolle ratsam.

Schirme machen den Geist von Frei Otto erlebbar

Selbst wenn die Schirme hier noch nicht zum Einsatz kommen sollten – im Zeichen des Klimawandels, da ist sich Bradatsch sicher, „werden wir in den Städten viel mehr wandelbare Dächer brauchen“. Im arabischen Raum seien solche Konstruktionen längst üblich und bewährt, um die intensive Sonnenstrahlung „wegzuschirmen“.

Mit der Lösung am Marktplatz könne die Architekten- und Ingenieurstadt Stuttgart zudem an prominenter Stelle den Geist von Frei Otto erlebbar machen. Bisher erinnert in Stuttgart-Mitte nichts an die Impulse, die der Stuttgarter Hochschullehrer aus Leonberg, Schöpfer des Zeltdachs im Olympiastadion München, für leichte und moderne Bauwerke gab.