Seit die Neuhauser Straße in Plieningen umgebaut ist, fühlen sich die Anwohner nicht mehr sicher. Ohne mit der Wimper zu zucken, lenken Autofahrer auf die Gehwege. Die Bürger fordern von der Stadt, dass sie schnell etwas unternimmt.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Plieningen - Jeder weiß mindestens eine Horrorgeschichte zu erzählen. Die Anwohner reden wild durcheinander, während sich neben ihnen auf der Neuhauser Straße der aus ihrer Sicht übliche Verkehrswahnsinn abspielt. „Achtung, Trecker kommt“, ruft ein Mann und lehnt sich mit gefalteten Händen auf das Dach eines geparkten Autos. Es wirkt, als müsste die Spannung nun steigen, dabei weiß die versammelte Nachbarschaft genau, was gleich passieren wird: Der Fahrer des landwirtschaftlichen Gefährts wird auf den Gehweg lenken, um dem Gegenverkehr auszuweichen. Und genau so kommt es.

 

Die Beispiele rollen im Minutentakt heran

Um zu zeigen, warum ihnen die Neuhauser Straße seit neuestem große Furcht einflößt, müssen die Anwohner aber nicht extra auf einen Traktor warten. Zur Hauptverkehrszeit rollen die Beweise im Minutentakt heran. Wer an dem Abschnitt zwischen der Bernhauser Straße und dem Wilhelm-Hertig-Weg wohnt, erlebt tagtäglich höchst brenzlige Situationen. „Das geht so nicht“, sagt Patricia Teifke, „die können das so auf keinen Fall lassen“. Mit „die“ meint sie die Mitarbeiter der Stadt Stuttgart.

Die Neuhauser Straße ist nicht seit jeher eine Gefahrenzone, sondern erst seit die Stadt sie in diesem Frühjahr saniert und umgebaut hat. Es gibt nun beiderseits Gehwege, bisher war dies nur auf einer Seite der Fall. Die Gehwege sind – je nachdem, wo die Häuser an der Straße stehen – zwischen zwei und vier Meter breit. Die Fahrbahn misst neuerdings fünfeinhalb Meter. Johannes Kälber vom Tiefbauamt sagt, dass sie rund zwei Meter schmaler geworden ist. Wenn auf der einen Seite am Randstein Autos parken, und das ist die Regel, kommen zwei Fahrzeuge unmöglich aneinander vorbei. Jedenfalls nicht ohne das illegale Ausweichmanöver. Weil die Bürgersteige fast ebenerdig sind, muss keiner einen Reifenschaden befürchten, wenn er mit Tempo 50 aufs Trottoir lenkt. „Die Stadt hat den Gehweg zur Straße gemacht“, sagt Patricia Teifke.

Es sei Gefahr in Verzug

Die Anwohner wollen sich das nicht bieten lassen. Deshalb haben sie die Lokalpolitiker eingeschaltet. In der jüngsten Sitzung des Bezirksbeirats haben die Fraktionen einen gemeinsamen Antrag an die Stadt gestellt. Sie fordern, dass die Verwaltung sofort reagiert, denn sie sind sich einig, dass Gefahr im Verzug ist. Sollte die Stadt nicht schnell reagieren, stelle sich letztlich die Frage nach der Verantwortung, „wenn übermorgen einer auf dem Gehweg liegt“, wie es Thomas Plagemann, Vertreter der Grünen, ausdrückte.

Wer sich zur Hauptverkehrszeit eine Weile an die Neuhauser Straße stellt, hält Plagemanns Aussage keineswegs für zu drastisch. „Wie oft habe ich meinen Hund schon an der Leine zurückgerissen“, sagt Susanne Hoepfner. „Man muss wirklich Angst haben, dass ein Auto einen mitnimmt“, sagt ihre Nachbarin Angelika Greiner. „Von uns ist jeder schon mal zur Seite gesprungen.“ Patricia Teifke berichtet, dass ihr Mann vor Kurzem von einem Autofahrer eingepöbelt worden sei, warum er als Fußgänger den Gehweg versperre. „So was müssen wir uns hier anhören.“

Die Stadt Stuttgart erkennt die Not

Die Stadt nimmt die Probleme an der Neuhauser Straße recht ernst. Am vergangenen Donnerstag haben sich Vertreter der Verwaltung und der Polizei an der Neuhauser Straße getroffen. „Die Not wird von allen erkannt“, fasst Andrea Lindel, die Plieninger Bezirksvorsteherin, den einstündigen Außentermin zusammen.

Ebenfalls vor Ort war Johannes Kälber vom Tiefbauamt. „Ursprünglich stand bei der Umgestaltung der Neuhauser Straße nach meiner Information vorwiegend eine Beruhigung beziehungsweise Reduzierung des Kfz-Durchgangsverkehrs als Ziel im Raum“, teilt er hinterher mit. „Wobei nun jedoch in jüngster Vergangenheit verstärkt die Gefährdung der Fußgänger bei einzelnen Ausweichmanövern über den abgeflachten Bordstein erkannt wurden.“ Als schnelle Lösung will die Stadt Parkplätze markieren und damit Lücken fürs Ausweichen schaffen. Zudem soll am Anfang der Straße von der Bernhauser Straße herkommend ein Halteverbot eingerichtet werden.

Ferner prüfe die Stadt, ob die Neuhauser Straße vielleicht gar in eine Einbahnstraße umgewandelt werden kann, sagt die Bezirksvorsteherin Andrea Lindel. Denn genau das wünschen sich die Anwohner. Und sollten die kurzfristigen Maßnahmen nicht entsprechend greifen, werden die Bürger wieder bei der Sitzung des Bezirksbeirats im Zuhörerraum sitzen. Um Druck zu machen. Denn sie befürchten, dass der bürokratische Weg ein schwerfälliger sein könnte. „Das ist unsere große Sorge“, sagt Susanne Hoepfner. „Es wird akut, die können sich nicht Zeit lassen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.“

Ein Anwohner hat sein Garagentor rot gestrichen

Mal abgesehen von den großen Gefahren bereitet die neue Neuhauser Straße den Anwohnern auch vergleichsweise kleine Sorgen. Angelika Greiner sagt, sie käme mit ihrem Auto schwerer in ihre Garage, seit die Neuhauser Straße umgebaut worden ist. Schlicht, weil die Leute ihre Fahrzeuge teils mitten auf dem Gehweg abstellen würden. Eben aus diesem Grund habe eine Nachbarin ihr Garagentor rot angestrichen, erzählt Patricia Teifke. Auf das Schild auf dem Tor mit der Aufschrift „Ausfahrt freihalten“ achte ja sowieso keiner. Um während des Streichens nicht über den Haufen gefahren zu werden, hat die Nachbarin übrigens Mülltonnen zum Schutz um sich herum gestellt, berichtet Patricia Teifke. Wie gesagt, Geschichten kennt hier jeder zur Genüge.