Auch wenn sich keiner der FDP-Spitzenleute zu den Sexismus-Vorwürfen gegenüber Rainer Brüderle äußert: Beim Neujahrstreffen der Liberalen in Düsseldorf rücken die politischen Themen in den Hintergrund.

Düsseldorf - Rainer Brüderle bleibt wie angenagelt sitzen. Er hat neben Hans Dietrich Genscher Platz genommen, aber ein Gespräch will sich nicht wirklich entwickeln. Die Kameras werden durch ein Band auf Abstand gehalten, so dass niemand hören kann, was sich der Spitzenkandidat der Liberalen und der Ehrenvorsitzende zuraunen. Sie fangen auch nicht ein, dass Guido Westerwelle den Saal betreten hat und gut gelaunt nach vorne schlendert.

 

Derweil scheint auf den Schultern von Rainer Brüderle, der bis vor kurzem jovial auf alle Medienvertreter zugegangen ist und leutselig in jede Kamera gesprochen hat, eine schwere Last zu liegen. Minuten zuvor war er beim Betreten des Versammlungsortes in der Nähe des Düsseldorfer Flughafens an den Journalisten vorbei gehuscht. Als eine Reporterin ihn mit Handschlag begrüßte und ein Wort zu den Sexismus-Vorwürfen einfangen wollte, wendete er sich ab und wurde durch den Nebeneingang in den Saal bugsiert.

Selbst den Freidemokraten bleibt nicht verborgen, wie eilig es Brüderle hat. Fraglos wird über den „Stern“- Artikel gesprochen, aber niemand mag sich dazu zitieren lassen. „Schweigen, was soll er sonst tun“, sagt einer der führenden Liberalen in NRW, andere empören sich über die Medienvertreter.

Brüderle hält die Stammkundschaft bei Laune

Die FDP hatte den Neujahrsempfang bewusst auf den spätestmöglichen Termin im Januar gelegt – auf das Wochenende nach der Niedersachsen-Wahl. Der neue starke Mann im größten Landesverband hatte eine Inszenierung im Sinn, in der Philipp Rösler keinen Platz mehr haben sollte. Christian Lindner hatte den Parteivorsitzenden nicht mehr eingeladen und damit einen kalkulierten Tabubruch gewagt. Denn er wollte nicht Rösler, sondern Fraktionschef Rainer Brüderle als Hauptredner.

Obwohl Brüderle und Lindner vom Temperament her unterschiedlicher kaum sein können, haben sie sich vor längerer Zeit verbündet. Lindner gibt den rhetorisch begabten Intellektuellen in der Rolle des Vordenkers, Brüderle spielt den harten Kämpfer für wirtschaftliche Freiheit, der die Stammkundschaft bei Laune hält.

Nachdem Lindner den Boden bereitet hat, tritt der Spitzenkandidat an das Rednerpult. Doch es ist nicht mehr jener Mann, der hier früher mit Kalauern für Festzeltstimmung gesorgt hat. Brüderle wirkt angeschlagen, seine Stimme bricht am Ende der Sätze noch häufiger als sonst weg. Weil er das merkt, erhöht er die Lautstärke und hämmert die von ihm bekannten Sätze gegen die „Sozialisten“, die Steuern erhöhen wollen. Er wettert gegen den Vorwurf der Leihstimmen bei der Niedersachsen-Wahl und schimpft über die Tugendwächter Grüne. Wer beim Wort Tugendwächter erwartet hat, dass er etwas zu den schlüpfrigen Details der jüngsten Berichte sagen würde, sieht sich getäuscht. Nur eine Andeutung machte er: „Sie können uns schlagen, beschimpfen, mit Dreck bewerfen, aber sie können uns unsere Überzeugungen nicht nehmen“, sagte Brüderle.

Umfrage: 90 Prozent fordern Entschuldigung

Die Führung hatte verabredet, das Thema nicht öffentlich zu befeuern. Allein der letzte Redner des Tages nahm indirekt Stellung. Guido Westerwelle sagte, er wisse auch aus persönlicher Erfahrung, dass es nicht leicht sei, plötzlich ganz vorne zu stehen. „Wenn man sich als Freier Demokrat an die Spitze stellt, gibt es (...) in einigen Redaktionsstuben kein Pardon mehr“, rief er. Man dürfe es aber nicht durchgehen lassen, wenn „Zerrbilder“ von Menschen in die Öffentlichkeit transportiert würden. Weil sogleich Beifall aufbrandet, geht unter, dass Westerwelle hinterher schiebt: „Zunächst einmal sind wir alle Menschen.“

Offensichtlich sind die nächtlichen Geschehnisse an der Bar in Stuttgart für die Liberalen erledigt – für die Bürger hingegen nicht: Einer Emnid-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ zufolge fordern 90 Prozent der 500 Befragten, Brüderle müsse sich bei der „Stern“-Journalistin entschuldigen, wenn die Vorwürfe gegen ihn wahr seien. In diesem Fall sprachen sich sogar 45 Prozent für einen Rücktritt Brüderles vom Amt des Fraktionsvorsitzenden aus.