Shakehands, Sehen-und-gesehen-werden, Selbstbetrachtungen: Dietmar Allgaier ist zwar schon das dritte Jahr im Amt, kann jetzt aber erst seinen Einstands-Neujahrsempfang geben. Alles, was Rang und Namen hat im Kreis Ludwigsburg, will dabei sein.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Die Schlange fürs Defilee zieht sich über ein ganzes Stockwerk. Sie reicht vom Eingang des Ludwigsburger Landratsamtes über die Treppe in den nächsten Stock bis vor den großen Saal, wo Landrat Dietmar Allgaier und seine Frau Bettina zum Händeschütteln stehen. Der Chef der Kreisbehörde ist zwar das dritte Jahr im Amt, wegen Corona ist es aber der erste Neujahrsempfang des Hausherrn. Menschen aus Politik, Wirtschaft, Institutionen, aus Kultur und der Zivilgesellschaft drängen ins Gebäude, rund 500 sind es, bemuttert von rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landratsamtes, und es ist offenkundig: der Hunger nach Begegnung und Austausch ist immens. Man will einmal wieder miteinander anstoßen, lachen, etwas unbeschwert sein in diesen krisengeschüttelten Zeiten, zu denen Allgaier in seiner Ansprache kritisch anmerkt: „Das großgeschriebene Ich steht wie ein heiliger Gral über manchen Dingen. Ist uns der Blick fürs Wir aus dem Sichtfeld geraten?“ Neben den wenigen Pflichten brauche es in einer Demokratie „Haltungen, zu denen sich jeder verpflichtet fühlen sollte“.

 

50 Jahre Kreisreform ist der thematische Überbau des Abends; Innenminister Thomas Strobl liefert dazu eine bestenfalls routiniert zu nennende Zahlen-und-Fakten-Aufzählung, bei der er es originell findet, das Alter des Landkreises in seinem heutigen Zuschnitt mit demjenigen der Moderatorin des Abends in Bezug zu setzen. „50 Jahre, das ist ja nichts, wie man an Frau Haiber sieht“, meint der CDU-Politiker zur SWR-Frau Stephanie Haiber, Jahrgang 1973.

Keine Frauen auf dem Podium

Mehr Erkenntnisgewinn bringt eine Podiumsdiskussion, bei der sich zu Allgaier und Strobl auch der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) und der Hauptgeschäftsführer des Landkreistages Baden-Württemberg, Alexis von Komorowski, gesellen. Wobei sich die Frage aufdrängt, warum im Jahr 2023 in einem Landkreis, der mit etlichen kompetenten Frauen in Führungspositionen aufwartet, bei einer Veranstaltung mit solcher Außenwirkung nur Männer auf der Diskutantenbühne stehen.

Bei dem Gespräch kristallisieren sich jedenfalls drängende gesellschaftliche Themen heraus, die nicht von Erschütterungen wie Pandemie oder Krieg beeinflusst, sondern politischen Weichenstellungen geschuldet sind: der „besorgniserregende Fach- und Arbeitskräftemangel“, so Alexis von Komorowski, die Demografieproblematik, die Frank Mentrup als „die nachhaltigste Krise, die wir haben“ bezeichnet, und ausufernden Bürokratismus, Berge von Direktiven und stetige Verschärfungen von Standards, von denen der Karlsruher Rathauschef sagt: „Wir werden zum Teil von einer Fachlichkeit getrieben, die uns die Hände bindet und die nicht mehr bezahlbar ist.“

Die Zauberworte: Entschlackung und Standardabbau

Die Politik müsse den Mut haben, zu entschlacken, schreiben die Kommunalvertreter dem Innenminister ins Stammbuch. „Die beiden Zauberworte heißen Entschlackung und Standardabbau“, spitzt von Komorowski es zu. Dietmar Allgaier bringt ein weiteres Thema aufs Tapet – den aus seiner Sicht dringenden Wandel in der Gesundheitspolitik, von der zwar viel gesprochen werde, der aber nicht eintrete. „Ich erwarte von unserer Regierung auch konkrete Aussagen dazu, wie unsere strukturell unterfinanzierten Kliniken gestützt werden können.“

Nach dem geballten Input, der inklusive mehrerer Einlagen des gut disponierten Kreisjugendorchesters satte zweieinhalb Stunden dauert, ist der Andrang aufs Buffet und den eigens kreierten Jubiläumswein aus Kreis-Steillagen so groß wie der Gesprächsbedarf: Das Kreishaus gleicht einem summenden Bienenstock. Manche Gäste reden sich noch um Mitternacht die Köpfe heiß.