Im Weißen Saal des Neuen Schlosses sind fast alle Stühle besetzt gewesen: Dorthin hatte Bischof Gebhard Fürst zum Neujahrsempfang geladen. Und er sprach auch heikle Themen an.

„Wer nur eine schwache Hoffnung hat, entscheidet sich für das Bequeme oder für die Gewalt. Wer eine starke Hoffnung hat, erkennt und liebt alle Zeichen neuen Lebens und ist jeden Augenblick bereit, dem, was bereit ist, geboren zu werden, ans Licht zu helfen.“ Worte, die der deutsch-US-amerikanische Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm 1968 veröffentlichte in „Die Revolution der Hoffnung: Für eine Humanisierung der Technik“. Worte, mit denen Gebhard Fürst seine Neujahrsansprache im Weißen Saal des Neuen Schlosses am Dreikönigstag begann und abschloss.

 

Dorthin hatte der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart zum Neujahrsempfang geladen, nachdem er zuvor mit Stadtdekan Monsignore Christian Hermes und anderen in der Konkathedrale St. Eberhard ein Pontifikalamt abgehalten hatte. Die bischöfliche Messe zur Epiphanie, dem Erscheinungstag des Herrn, war eingebettet in musikalische Werke von Joseph Haydn, Felix Mendelssohn Bartholdy, David Willcocks und Friedrich Praetorius, die Solisten der Domkapelle St. Eberhard, Mitglieder des Staatsorchesters, die Organisten Johannes Friederich und Johannes Mayr mitreißend intonierten unter dem Dirigat von Lydia Schimmer. Die erste Domkapellmeisterin Baden-Württembergs, seit September 2022 im Amt, leitete auch den Konzertchor der Mädchenkantorei, der hernach im Weißen Saal beeindruckend Werke von Herbert Howells, David Willcocks und John Rutter intonierte. Und freilich Lieder zu den Heiligen Drei Königen – und Königinnen – zusammen mit kleinen Sternsingern. Die sammeln 2023 Spenden unter dem Motto „Kinder stärken, Kinder schützen – in Indonesien und weltweit“.

Ein Leitspruch, den Bischof Fürst denn auch mit Fromms Worten verband. Es sei schwer, mit Krieg in Europa, Hunger, Kälte, Armut, Inflation hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen. Nach der neuen Studie „Jugend in Deutschland“ von Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann nehme die Zuversicht junger Menschen ab. Auch nach Befragungen des Zukunftsforschers Horst Opaschowski seien zwei Drittel der Deutschen ohne Hoffnung für 2023. „Ein Jahr zuvor waren noch 53 Prozent optimistisch.“

Aber so würden Möglichkeiten übersehen, „was bereit ist, geboren zu werden“, um ihm ans Licht zu helfen. Ohne Hoffnung verrohe Gesellschaft, Hoffnung sei Humus des Lebens. Die Weihnachtsbotschaft sei eine des Friedens. Die Kirche müsse ihre Angebote gerade auch für junge Menschen deutlicher machen, die unter Corona besonders psychisch gelitten hätten. Freiwilligendienst etwa biete Chancen – anstatt des Pflichtdiensts, über den debattiert werde. „In der Diözese Rottenburg-Stuttgart absolvieren pro Jahr 1300 junge Menschen ihren Freiwilligendienst.“ Das schaffe gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wichtig sei für die Kirche, den Synodalen Weg weiterzugehen, den man in der Diözese längst eingeschlagen habe. „Menschen müssen teilhaben.“ Das werde auch auf Ebene der Weltkirche in Rom als gutes Beispiel anerkannt. „In den Kirchen vor Ort finden die Reformen statt“, so Fürst. „Bringen Sie sich ein!“

Suche nach Mitstreitern gegen Missbrauch

Das gelte zudem für Aufklärung des Unentschuldbaren, „der größten Wunde der Kirche“, dem sexuellen Missbrauch. Schon 2002 habe man in der Diözese dazu Weisungen herausgegeben, ab 2019 das Konzept einer unabhängigen Stelle ausarbeiten lassen, die Einrichtungen zertifiziert. Laut staatlicher Quellen würden in der Gesellschaft täglich 40 Kinder Opfer von Missbrauch. „Ich habe für das Konzept eines unabhängigen Präventionsaudits noch keinen Träger gefunden, aber gebe die Hoffnung nicht auf.“

Als Hoffnungszeichen bezeichnete er das Projekt „Friedensglocken für Europa“, das Fürst mit den Bischöfen Jezierski aus Polen und David aus Tschechien startete. Von den Kirchenglocken, die die Nationalsozialisten im heutigen Tschechien und Polen beschlagnahmt hatten, um Waffen und Munition zu produzieren, blieb ein Fünftel übrig. 67 Glocken kamen nach Württemberg. Sie werden sukzessive zurückgeführt und mit neu gegossenen zu Friedensglocken geweiht. Als weiteres Zeichen der Hoffnung.