Dem Denken mit Medikamenten und Drogen auf die Sprünge zu helfen – das galt vor einigen Jahren als Zukunftstrend. Doch nun macht sich Ernüchterung breit. Hirndoping ist doch schwieriger als gedacht.

Stuttgart - Mit Medikamenten oder Drogen Höchstleistungen aus dem eigenen Gehirn herauskitzeln – das war die Zukunft. Gehirndoping schien zum  Massenphänomen zu werden: Ritalin,  eigentlich eine Arznei für Kinder mit Aufmerksamkeitsproblemen, für bessere Hochschulnoten oder Modafinil, eigentlich gegen die Schlafstörung Narkolepsie zugelassen, für Nachtschichten im Büro oder auch illegale Amphetamine, um das Gehirn so richtig auf Touren zu bringen. Chemische Leistungssteigerer für den Geist würden in ein, zwei Jahrzehnten so verbreitet sein wie Kaffee, prophezeite eine Zeitung vor ein paar Jahren. Der Nobelpreisträger Eric Kandel hoffte 2003, das Gehirn binnen  fünf Jahren mit einem neuen Mittel vor altersbedingten Gedächtnisproblemen schützen zu können.

 

Das hat nicht geklappt und auch sonst macht sich Ernüchterung breit – oder Erleichterung, je nach Standpunkt. Die Mittel halten oft nicht, was sie zu versprechen schienen, und von einem massenhaftem Gehirndoping kann keine Rede sein. Doch Experten warnen davor, das Phänomen bereits für erledigt zu erklären. Für manche Menschen könnten die Mittel durchaus zur Versuchung werden. Einige frühe Studien behaupteten, 50 Prozent der US-amerikanischen Studenten nähmen ohne Rezept Medikamente fürs Gehirn. Doch diese Untersuchungen waren wenig wissenschaftlich und nicht repräsentativ. Tatsächlich sind es eher sieben Prozent, und auch von denen greifen viele nur gelegentlich zur Tablette.

Noch seltener dopen dem Studentenalter Entwachsene. In Deutschland versuchen nur 1,5 Prozent der Erwachsenen, ihr Gehirn mit illegalen Substanzen oder nicht verschriebenen Medikamenten anzuspornen. Diesen Befund lieferte 2012 eine repräsentative Befragung des Robert-Koch-Instituts. Praktisch zum gleichen Resultat kommt eine gerade erschienene Studie aus der Schweiz.

Die Stimulanzien sind für ihren Placebo-Effekt bekannt

Dabei werden die Substanzen meist nicht etwa regelmäßig genommen, um womöglich zum geistigen Supermann zu mutieren. Studierende schlucken sie vielmehr vor Prüfungen, Angestellte versuchen, den Stress der Arbeit zu bewältigen. Ob das gelingt, ist eine andere Frage. Zwar sehen in der neuen Schweizer Studie zwei Drittel der Konsumenten ihre Erwartungen erfüllt (im Fall von Modafinil lediglich ein Drittel), doch gerade Stimulanzien wie Ritalin und Amphetamine sind für ihre Placebowirkungen bekannt. Die Tablettenschlucker fühlen sich aktiviert und halten sich einfach deswegen für geistig leistungsfähiger. Selbst wenn die messbare Wirkung vernachlässigbar ist, „bekommt man wahrscheinlich mehr besser erledigt, wenn man froh gestimmt ist und in der Aufgabe aufgeht“, kommentierte die Gehirndoping-Expertin Martha Farah von der University of Pennsylvania soeben im Wissenschaftsmagazin „Science“.

Bei genauen Untersuchungen fallen die Ergebnisse ausgesprochen gemischt aus. Das Kindern gegen Aufmerksamkeitsprobleme verschriebene Ritalin beispielsweise hilft gesunden Erwachsenen bestenfalls manchmal. So erleichtert es das Lernen und hilft, neue Aufgaben besser zu lösen. Bei bereits gut bekannten Aufgaben schadet es dagegen eher. Sein Nutzen sei „geringer und weniger verlässlich als allgemein angenommen“, so Martha Farah in einem früheren Artikel. Trotzdem warnt sie davor, die Mittel zu unterschätzen: „Eine kleine Wirkung ist nicht das Gleiche wie keine Wirkung, und ein kleiner Vorteil kann in vielen Situationen entscheidend sein.“ Auch Gerhard Gründer, Professor für Experimentelle Neuropsychiatrie am Universitätsklinikum Aachen, hält die neuen Zweifel an den Mitteln für voreilig. Denn er ist überzeugt, dass die Stoffe manchen Menschen deutlich mehr helfen als anderen. Die Wirkungen sind „ganz wesentlich genetisch bestimmt“, so Gründer.

Es kommt auch auf die Gene an

So gibt es im Gehirn ein genetisch programmiertes Enzym, das beeinflusst, wie viel von dem Nervenbotenstoff Dopamin verfügbar ist. Dieses Enzym existiert in zwei Varianten, die sich nur an einer einzigen Stelle unterscheiden. Die Variante mit der Aminosäure Valin an der entscheidenden Stelle stellt weniger Dopamin bereit. Wer gleich doppelt mit der Valin-Variante ausgestattet ist, schneidet bei etlichen Aufgaben schlechter ab als Menschen ohne sie, denn Dopamin ist wichtig.

Martha Farah hat untersucht, was passiert, wenn Menschen mit diesen unterschiedlichen Varianten eine Amphetaminmischung bekommen, die in den USA gegen Aufmerksamkeitsprobleme verschrieben wird und mehr Dopamin bereitstellt. Die durchschnittliche Leistung der Teilnehmer in verschiedenen Tests änderte sich nicht. Das ist kein Wunder, denn wer von Natur aus bereits einen optimalen Dopaminspiegel besitzt, verschlechtert sich eher, während Menschen mit der suboptimalen Valin-Variante gewinnen sollten. Und das passierte auch: Letztere schnitten in verschiedenen Tests mit Amphetaminen besser ab als ohne – sie konnten sich Wörter besser merken, waren kreativer und bekamen in einem nicht sprachlichen Intelligenztest mehr Punkte.

Trotzdem sollten Menschen mit dieser Variante nicht einfach Amphetamine verschrieben bekommen: Das könnte ihr Risiko erhöhen, eine Wahnerkrankung zu entwickeln, befürchtet Gründer, denn auch daran ist Dopamin beteiligt. Ähnlich zweifelhaft wäre eine weitere Hirndoping-Methode, die bei bestimmten Menschen durchaus wirkt, wie Forscher herausgefunden haben. Sie funktioniert bei denen, die eine Gen-Variante namens ApoE 4 besitzen. Diese Variante erhöht das Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Doch vorher sind die Besitzer dieses Gens bei einigen Aufgaben schneller im Kopf. So fallen ihnen etwa Wörter leichter ein. Es gibt eine Substanz, mit der speziell die ApoE-4-Besitzer diesen Vorteil noch ausbauen können. Sie ist leicht zu beschaffen und legal, trotzdem sollte man die Finger von ihr lassen: Nikotin.