Seit drei Jahren ist Herrenberg die Heimat des Syrers. Bald beginnt ein neuer Lebensabschnitt für den 20-Jährigen, der als minderjähriger Flüchtling kam. Die Geschichte eines jungen Manns, die zeigt, wie Integration gelingen kann.

Herrenberg - Dieser 1. Januar ist ein ganz besonderer Tag für Moaz Tabosh gewesen. Er feierte seinen 20. Geburtstag, ist jetzt kein Teenager mehr. Und das sei schon etwas komisch, wenn plötzlich eine Zwei vorne stünde, sagt der Syrer. „Jetzt fühle ich mich schon richtig alt.“

 

Seit drei Jahren begleiten wir Moaz Tabosh, der als 16-Jähriger ganz allein über die Balkanroute nach Deutschland geflüchtet war. Das erste Mal treffen wir ihn in der Sindelfinger Schule der Jugendhilfeeinrichtung Waldhaus, wo er als unbegleiteter Minderjähriger unterkommt. Gerade einmal sechs Wochen ist er damals im Land, doch er spricht besser Deutsch als die meisten seiner Kollegen, die schon wesentlich länger hier leben.

Informatik will er studieren

Taboshs Weg ist außergewöhnlich, eine Erfolgsgeschichte. Der Ehrgeiz treibt den Jungen an. Bereits vier Monate nach seiner Ankunft in Deutschland schafft er den Sprung aufs Gymnasium. In Herrenberg nimmt ihn das Schickhardt-Gymnasium auf, als einen von zwei Flüchtlingen. Jetzt, zweieinhalb Jahre später, steht der 20-Jährige kurz vor dem Abitur. Einen Schnitt von 2,5 strebt er an. „Den hatte ich im letzten Jahr. Das will ich wieder schaffen.“ Dabei kann ihm die Note eigentlich egal sein, denn er hat bereits die Zusage für einen Studienplatz für Informatik an der Dualen Hochschule in Stuttgart. Und auch einen Ausbildungsbetrieb für den Praxisteil hat er gefunden. „Da fange ich schon im August an.“

Moaz Tabosh ist stolz auf das, was er in nur drei Jahren geschafft hat. Der Weg dahin war jedoch nicht leicht. Immer wieder hat der sensible Junge mit Depressionen zu kämpfen. Vor allem die Einsamkeit macht ihm zu schaffen. Da ist kein Zuhause mit liebevollen Eltern, die ihm in schwierigen Phasen einen Rückzugsort bieten. Der Vater ist tot, die Mutter lebt mit der kleinen Schwester in einem Flüchtlingslager in Jordanien. Drei Jahre hat er sie nicht gesehen, mehrmals wöchentlich telefonieren sie über das Internet. „Sie hat mich immer aufgemuntert“, sagt Moaz. „Aber sie weiß nicht, wie es hier in Deutschland ist.“

Sein erster Lehrer entdeckt sein Talent

Freunde hat der junge Mann anfangs nur wenige. Ihm habe schlicht die Energie und die Zeit gefehlt, Freundschaften zu knüpfen. „Ich war total fokussiert darauf, Deutsch zu lernen, die Schule zu schaffen.“

Doch es gibt Menschen, die dem Jungen durch diese Zeit helfen. Vier Namen nennt Tabosh. Der erste, der das besondere Talent des hochbegabten Jungen erkennt, ist sein Lehrer in der Waldhausschule. Der Deutsch-Ägypter Mohamed Esmat fördert ihn zusätzlich nachmittags und ermuntert ihn, aufs Gymnasium zu gehen. Und er hält auch den Kontakt, als Moaz längst das Schickhardt-Gymnasium besucht. Der Rechtsanwalt Siegfried Dierberger, sein Vormund bis zum 18. Geburtstag, unterstützt ihn auch im Asylverfahren. Und er besorgt dem Jungen ein Fahrrad, damit dieser das Gäu erkunden kann. Seine Klassenlehrerin Anne Meyer fördert ihn. Und sein Waldhaus-Betreuer Kleefeld sei ein Ersatzvater für ihn geworden. „Es hat mir gut getan, dass es Menschen gibt, die an mich glauben, die mein Potenzial sehen und mir sagen: Du schaffst das“, sagt Moaz.

Der Kampfsport gibt ihm Selbstbewusstsein

Seit einem Jahr treibt er nun Kampfsport. Das Kickboxen wirkt sich nicht nur auf sein Aussehen aus. Kräftiger wirkt er heute, „es hat mich aber vor allem selbstbewusster gemacht.“ Im März will er zum ersten Mal bei einem Wettkampf antreten. Schon jetzt begleitet er seinen Trainer gelegentlich als Assistent zu Kampfsport-Workshops für Kinder.

Neben dem Sport beschäftigt sich der 20-Jährige viel mit politischen und vor allem philosophischen Fragen. Verschiedene Jugendorganisationen von Parteien hat er sich angeschaut, will sich aber im Moment nicht festlegen. Auch Freundschaften hat er mittlerweile geknüpft. „Ich habe einen syrischen Freundeskreis und einen von der Schule.“ Und er ist sich sicher: „Zu einigen werde ich weiter Kontakt halten, auch wenn ich nicht mehr in Herrenberg lebe.“

Im Sommer will er weg aus der Stadt, die für ihn Heimat geworden ist. Zum Studium zieht er nach Stuttgart, wo seine Hochschule und sein Ausbildungsbetrieb sind. Dann muss er auch endgültig auf eigenen Beinen stehen. Noch lebt er in einer betreuten Wohnung des Waldhauses, wird vom Jugendamt finanziert. Doch Tabosh freut sich darauf, bald finanziell unabhängig zu sein.

Angriffe kontert er mit Witz

Dass sich das gesellschaftliche Klima vor allem für junge arabisch-muslimische Männer gewandelt hat, bekommt auch Moaz Tabosh gelegentlich zu spüren, obwohl er nicht typisch arabisch aussieht. Seine Strategie dagegen: „Ich versuche das nicht persönlich zu nehmen und kontere doofe abwertende Bemerkungen mit einem Witz.“

Hat er noch gelegentlich Heimweh nach Syrien? Kurz denkt Moaz nach. Dann schüttelt er den Kopf. „Nein, Heimweh habe ich nicht mehr. Ich habe jetzt hier meine Freunde und mein Leben.“ Irgendwann nach Syrien zurückzugehen, das freilich kann er sich vorstellen. „Wenn irgendwann Frieden in Syrien ist“, sagt Moaz Tabosh, dann will ich dorthin und beim Wiederaufbau helfen.“