Der Biathlon-Weltverband IBU hat bis 2018 die Dopingvergehen der russischen Mannschaft gedeckt, seitdem arbeitet er die Fehler auf und positioniert sich neu. Arnd Peiffer begrüßt das Erreichte.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart - Es ist nicht leicht, Präsident zu sein. Die Amtsträger müssen fast rund um die Uhr verfügbar sein, sich um die Belange ihrer Organisation kümmern, um sie wirtschaftlich wachsen zu lassen und ihre Bedeutung im weltweiten Kontext zu vergrößern. Da lauern Gefahren wie Bestechung und Bestechlichkeit. Edle Uhren, vergnügliche Stunden mit bereitwilligen Damen oder Jagdausflüge an malerische Orte mit stattlichem Wild sind verlockende, aber unmoralische Angebote, die nicht jeder abschlägt; sie gelten als gewisse Freundschaftsgeschenke.

 

Doch von Anfang an. Anders Besseberg war der erste Präsident des 1993 gegründeten Biathlon-Weltverbands IBU, der Norweger war Pionier, er wollte den Zweikampf mit Ski und Gewehr voranbringen im internationalen Wettstreit der Sportarten, sich Geld und Zeit sichern bei Sponsoren und TV-Anstalten – er war erfolgreich in seinem Wirken. Der Verband war 25 Jahre später finanziell kerngesund, die Fans strömten in modernisierte Arenen, die Fernsehanstalten übertrugen bald jeden Schuss, die Sponsoren nutzten die fröhliche Bühne, und die Stars verdienten gutes Geld.

Besseberg nahm Uhren als Geschenk an

Doch mit der Bedeutung des Biathlon wuchsen die Verlockungen, dann war es nicht leicht, als Präsident zu widerstehen. Besseberg war wohl empfänglich – für Zuwendungen wie Uhren, Schäferstündchen und Jagden soll er großzügig die Augen im Kampf gegen Doping zugedrückt und das russische Team protegiert haben. Auch Generalsekretärin Nicole Resch sah angeblich beiseite. Bei einer Razzia in der IBU-Zentrale in Salzburg am 10. April 2018 wurden die Unterlagen gesichert, zwei Tage später traten Besseberg und Resch zurück. Eine der Konsequenzen des russischen Staatsdopings: Tjumen wurde die WM 2021 entzogen, dafür erhielt Pokljuka, bei der Wahl im September 2016 noch als Zweiter geschlagen, den Zuschlag.

Es war am neuen Präsidenten Olle Dahlin, das zerdepperte Porzellan zu kitten, was überhaupt zu kitten war, und den Rest zu entsorgen. Der Verband gab eine Untersuchung in Auftrag, deren Ergebnisse die Vorwürfe an die einstige Spitze bestätigten. „Das von Herrn Besseberg proklamierte Engagement für sauberen Sport war eine Farce“, steht im Bericht der Untersuchungskommission ERC, die damalige Chefetage habe bei der Vertuschung von Dopingfällen „systematisch korruptes und unethisches Verhalten“ vorgenommen. In Österreich und Norwegen laufen Strafverfahren gegen den 74-Jährigen und die 45 Jahre alte Deutsche, beide stritten bislang jedes Fehlverhalten ab. Über eine Disziplinaranklage und Konsequenzen im Biathlon soll bald entschieden werden.

Die Erkenntnisse brachten Andreas Birnbacher aus Schleching in Rage. „Ich bin richtig verärgert“, grantelte der Mixed-Staffel-Weltmeister von 2008, „in dieser Zeit bin ich gelaufen. Ich durfte erleben, wie nachweislich gedopte Leute einen überholten und man verzweifelt versucht hat, vor einem Millionenpublikum nicht sein Gesicht zu verlieren.“ Birnbacher, heute 39 und Nachwuchstrainer, war kaum der einzige Ex-Biathlet dieser Dekade, den die Machenschaften die Zornesröte ins Gesicht trieben – weil den Betrogenen nicht nur möglicher Ruhm entging, sondern sie auch Preisgelder verpassten.

Weltverband IBU kam ohne Strafrunde davon

Die IBU schrammte mit ihrer Offensive der Erneuerung am Totalschaden vorbei – Biathlon kam im globalen Sport ohne Strafrunde davon. Sponsorengelder fließen seit 2018 weiter, Fans und TV-Sender halten treu zu den Skijägern. „Wir haben alle wesentlichen Empfehlungen seitdem umgesetzt“, betont Christian Winkler, der nach Bessebergs Demission als Medienchef gekommen und unbelastet ist, „im Herbst 2019 hat sich die IBU eine neue Verfassung gegeben, die viele wichtige Bausteine beinhaltet, um sauber und transparent zu agieren.“ Es gibt nun begrenzte Amtszeiten sowie eine unabhängige Integritätsabteilung, die sich um Themen wie Antidoping, Interessenskonflikte oder Manipulationsvorwürfe kümmert. Zudem landen Dopingfälle beim Internationalen Sportgerichtshof (Cas) und obliegen damit nicht mehr einem internen Gremium der IBU. „In der Politik würde man von Checks and Balances sprechen“, sagt der 37-Jährige aus dem Chiemgau, „bei Athleten, Trainern und dem Nachwuchs wollen wir so Vertrauen schaffen.“

Offenbar gelingt es dem Weltverband allmählich, die bösen Schatten der Vergangenheit zu verjagen. Der fünfmalige Weltmeister Arnd Peiffer, als kritischer Geist bekannt, der nichts schönredet, sieht eine positive Entwicklung. „Es wurde und wird viel getan“, sagte der 33-Jährige noch vor der WM, „es geht gegen Korruption und Vertuschung. Die IBU ist ein moderner Verband mit Vorbildcharakter.“ Es wäre erfreulich, wenn sich diese Einschätzung in den kommenden Jahren bestätigen würde.