New Space ist ein neues Wirtschaftssegment, das Geschäftsmodelle im Erdorbit etablieren will. Dazu braucht es Trägerraketen. In Deutschland stehen drei Jungfirmen am Start.

München - Als Weltraumnation ist Deutschland bislang nicht bekannt. Das könnte sich bald ändern, zumindest was unbemannte Raketenstarts betrifft. Denn mit Isar Aerospace aus München, Hyimpulse nahe Heilbronn und der Rocket Factory Augsburg (RFA) sind hierzulande drei vielversprechende Jungfirmen in ein globales Rennen eingestiegen, das auf den Erdorbit zielt. „Mein Papa baut Raketen“, hat Stefan Twerasers zehnjährige Tochter in der als Schularbeit geforderten Beschreibung einer Person geschrieben, für die sie stolz ihren Vater gewählt hatte. Als der das lachend erzählt, ist er erst seit gut einigen Wochen Raketenbauer. Anfang Oktober wurde der 51-Jährige in einer heißen Phase zum RFA-Chef bestellt. Denn schon für Ende 2022 ist der Erststart der RFA One geplant.

 

Ende 2022 soll der erste Start in den Orbit erfolgen

Das ist eine dreistufige, 30 Meter lange und gut zwei Meter dicke Trägerrakete, die die erst 2018 gegründete Augsburger Firma unter Hochdruck entwickelt, um Minisatelliten in den Erdorbit zu fliegen. Ähnlich plant Isar Aerospace. Hyimpulse will einige Monate später folgen. Am meisten vorzuzeigen hat aber RFA. Erste Raketentests wurden in Schweden erfolgreich absolviert.

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Wie es Ende 2022 laufen wird, davon hat Tweraser genaue Vorstellungen. „Die erste Stufe brennt knapp drei Minuten, die zweite Stufe etwas mehr als fünf, dann kommt die dritte Stufe, und in 20 Minuten ist alles erledigt“, umreißt er den zielgenauen Flug in den Erdorbit. Damit hat der Österreicher, der selbst von Raketen offensichtlich ähnlich begeistert ist wie seine Tochter, schon eine Besonderheit von RFA beschrieben. Denn bislang werden Satelliten nur ungefähr an dem Ort ausgesetzt, von dem sie Daten sammeln oder Signale senden sollen. In ihre genaue Position befördern sie satelliteneigene Minitriebwerke, was viel Platz und Gewicht für Treibstoff verschlingt.

„Wir bringen Satelliten genau an die richtige Stelle – wie ein Taxi seinen Fahrgast, und das zum Preis eines Bustickets“, schwärmt Tweraser. So transportierte Satelliten, die in Zukunft Waldbrände aus dem All melden oder Roboterautos mit Daten leiten sollen, können als Leichtgewichte günstig konstruiert werden. Das macht so manches Satelliten-Geschäftsmodell erst möglich.

Von Google über Deezer zur Raketentechnik

Der zweite Punkt, mit dem sich RFA von Rivalen abhebt, ist eine hohe Startfrequenz, die Fließbandproduktion für Raketen bedingt. „Vor Ende dieses Jahrzehnts wollen wir einmal wöchentlich starten“, sagt der RFA-Chef. Auch wenn man alles so weit wie möglich wiederverwerten wolle, bedeutet das den jährlichen Bau von 20 bis 30 Raketen und etwa 300 Triebwerken von jeweils einer halben Million PS. Den Henry-Ford-Moment nennen die Augsburger diesen Sprung zur Serienfertigung in Anlehnung an den US-Autopionier, der nicht das Auto selbst, aber dessen Massenproduktion erfunden hat.

Wenn der RFA-Chef begeistert erzählt, dass man auch anderweitig teils belächelte Wege geht und viele Komponenten kostengünstig bei Kfz-Zulieferern bestellt oder den Treibstofftank aus Edelstahl bei einem Hersteller von Biertanks, klingt er wie ein Mitarbeiter der ersten Stunde. Dabei hat der 51-Jährige keine Branchenerfahrung. Zuvor hatte der Wirtschaftswissenschaftler beim Musikdienst Deezer gemanagt und war Deutschland-Chef von Google. Das sei kein Nachteil, findet er. „Bei uns gibt es jede Menge Raketen-Know-how“, betont der Österreicher. Im Vorstand zur Seite stehen ihm die beiden RFA-Gründer und Techniker Jörn Spurmann und Stefan Brieschenk. Das Unternehmen selbst ist eine Ausgründung des Bremer Satellitenbauers OHG, der zusammen mit dem Münchner Finanzinvestor Apollo Capitals auch die Mehrheit hält. Zweitgrößter Einzelaktionär sind aber das Management und die anderen gut 120 Beschäftigten. 2022 steht noch eine Finanzierungsrunde an, die zum Erststart rund 100 Millionen Euro ins Haus bringen soll.

Junge Raumfahrtunternehmer denken wie Autohersteller

Technologisch brauche das RFA-Team keine Nachhilfe, findet Tweraser. Als seine Managementaufgabe sieht er an, eine Firmenphilosophie zu verankern, die Taxidienste in den Erdorbit zur verlässlichen Allerweltsdienstleistung macht. Von seiner Google-Zeit her bringt er Verständnis für datengetriebene Geschäfte mit, die RFA-Satellitenkunden antreibt. „Wir dürfen nicht wie ein Raumfahrtunternehmen denken, sondern wie ein Autohersteller“, sagt Tweraser mit Blick auf Fließbandproduktion. Das zielt auf Preis- und Kostenführerschaft beim Transport in Erdorbits. „Wir sind zuversichtlich, Starts für 5000 Euro pro Kilogramm Nutzlast anbieten zu können.“ Das sei das Kostenniveau von Space X, der Weltraumfirma von US-Milliardär Elon Musk.