Der Abhörskandal um "News of the World" erschüttert London. Gleichzeitig wird gerätselt, warum Rupert Murdoch das Erfolgsblatt einstellt.  

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Die Einstellung einer der größten englischsprachigen Zeitungen der Welt durch Rupert Murdoch, gewissermaßen über Nacht, hat an der Themse blankes Staunen und skeptische Kommentare ausgelöst. Murdoch und sein Sohn James hätten rücksichtslos Unternehmensballast abgeworfen, um sich auf profitable neue Geschäfte zu konzentrieren, meinen Londoner Medienexperten. Andere glauben, dass sich Murdoch in einem Augenblick der Panik verkalkuliert hat - und dass ihn das noch teuer zu stehen kommen wird.

 

Sehr zuversichtlich konnte sich der 80-jährige Großverleger gestern jedenfalls nicht fühlen. Die Börsen meldeten zeitweise scharfe Einbrüche im Wert seiner weltweiten Unternehmungen und beträchtliche Verluste beim Satellitensender BskyB, den Murdoch zu 39 Prozent besitzt und dessen restliche Anteile er gern kaufen möchte. Der Kauf selbst, letzte Woche noch in greifbarer Nähe, ist plötzlich zu einer ungewissen Sache geworden. Die Stimmung in der bislang festen Bastion Britannien ist unversehens gegen die Murdochs umgeschlagen. Sein Sohn James, Präsident der europäischen und asiatischen Geschäfte des Konzerns, sieht sich gar mit Vorwürfen kriminellen Handelns konfrontiert.

Brian Cathcart, Professor für Journalismus an der Universität von Kingston, macht in Murdochs jüngstem Verhalten schon die reinste "Bunker-Mentalität" aus. Dass Murdoch lieber seine Truppen opfere, als die für eine Öffentlichkeitskatastrophe verantwortliche Befehlshaberin des Unternehmens, "entbehre jeder Logik". Bezug nimmt Cathcart damit auf die Schließung des 168 Jahre alten britischen Boulevardblatts "News of the World" und die Entlassung seiner rund 200 Mitarbeiter, die James Murdoch am Donnerstagabend angeordnet hat.

Plante Murdoch die Einstellung seit Längerem?

Die Zeitung ließ zwischen 2000 und 2007 über Privatdetektive Tausende von Telefonen anzapfen. Für einen Teil dieser Zeit leitete das Blatt Rebekah Brooks, die heutige Generaldirektorin des Murdoch-Konzerns in Großbritannien. Viel Spekulationen löste am Freitag die Frage aus, warum Rupert Murdoch lieber einem Blatt von 2,6 Millionen Auflage den Garaus bereitete, als Brooks zu feuern.

Möglicherweise, meint Cathcart, sei sie zu einer Art Brandmauer für die Murdoch-Familie geworden: "Wenn sie verschwindet, ist der nächste Dominostein James. Und das ist ein Preis, den Rupert nicht zu zahlen bereit ist." Etliche Wirtschaftsexperten gehen allerdings auch davon aus, dass die Murdochs die Einstellung des Blattes schon seit Längerem planten. Eine Viertelmillion an Auflage, rund zehn Prozent, hatte die News of the World allein im letzten Jahr verloren. Wiewohl noch immer profitabel, drohte sie ihren Eignern mittelfristig zur Last zu werden. Billiger, kalkulierten die Murdochs, wäre es, die Werktagszeitung "The Sun" mit bestehender Belegschaft künftig auch den Sonntag abdecken zu lassen: Weshalb schon vor Wochen entsprechende Webnamen reserviert und ein Manager für beide Titel zusammen bestellt wurden.

Rivalenblätter hoffen, in die Lücke vorzustoßen

Der Abhörskandal und die Notwendigkeit, einen plötzlich negativ besetzten Markennamen loszuwerden, beschleunigte in dieser Lesart nur das traurige Ende der "News of the World". Ein Risiko gingen die Murdochs damit natürlich ein. Rivalenblätter wie "Sunday Mirror" oder "Sunday Mail" hoffen, schon nächste Woche in die Lücke vorzustoßen. In Sachen Auflagensteigerung wie bei der Anzeigenaufnahme habe sich diesen Blättern "eine günstige Gelegenheit" ergeben, meint der City-Analyst Alex DeGroote. Je länger die "Sun" am siebten Tag ruhe, desto mehr könne Murdoch seinen Schritt bereuen.

Am Ende, glauben die meisten Beobachter, liege dem Hause Murdoch aber immer weniger an Druckerzeugnissen. In der Tat sucht James Murdoch seinen Vater schon lange von dessen wehmütigem Festhalten am alten Printjournalismus abzubringen, und für den bedingungslosen Vormarsch im Bereich Telefon, Internet und Rundfunk zu gewinnen. Ginge es nach James, meint Chris Goodall von der Firma Enders Analysis, "würden morgen auch alle übrigen Zeitungen eingestellt". Was seien schon ein paar Millionen Gewinne im Jahr, wenn der Satellitensender BSkyB Milliarden abwerfe? "Pennies in einer Blechdose, nicht mehr." Schon um sich den anstehenden, den zentralen BSkyB-Deal zu sichern, meint Goodall, hätten die Murdochs das skandalumsponnene Massenblatt fallen lassen.

150.000 Protesten gegen Murdochs Übernahme von BSkyB

Indes hat der Skandal den Deal selbst binnen weniger Tage in Schwierigkeiten gebracht. Den Aktieneinbruch am Freitag erlitten News International und BSkyB, nachdem die Londoner Medienaufsichtsbehörde Ofcom erklärte, es sei ihre Pflicht, jederzeit zu überprüfen, ob ein Verleger "geeignet" sei für die Führung eines bestimmten Unternehmens.

Kulturminister Jeremy Hunt verkündete am Freitag nach Eingang von 150.000 Protesten gegen Murdochs Übernahme von BSkyB, so schnell lasse sich die Genehmigung nun nicht mehr erteilen. Auch Ofcom habe da ein Wörtchen mitzureden. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Deal demnächst noch zustande komme, meint Alex DeGroote, betrage "jetzt wohl kaum mehr als 50 Prozent". Der Rummel um "News of the World", und hartnäckige Fragen zu James Murdochs Zeit in London, werfen an diesem Wochenende ihre Schatten übers ganze Murdoch-Empire - ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da der Vater offenbar dem Rat des Sohnes gefolgt ist, und sich von einer seiner erfolgreichsten Zeitungen verabschiedet hat.

Die Affäre trifft das politische System

Festnahme: Der Skandal um "News of the World" bringt Premierminister David Cameron unter Druck. Sein früherer Kommunikationschef Andy Coulson wurde gestern festgenommen. Er war von 2003 bis 2007 Chefredakteur des Blatts. Gegen ihn wird wegen Abhörens von Kommunikation und wegen Korruption ermittelt.

Regulierung: Cameron gestand Fehler ein und will mit einem grundlegenden Umbau der Presseaufsicht die engen Bande von Politik und Medien aufbrechen. Er kündigte mehrere Untersuchungsausschüsse an. Eine unabhängige Kommission solle Vorschläge machen, die britische Presselandschaft zu regulieren.

Kritik: Oppositionsführer Ed Miliband von der Labour-Partei nutzte die Affäre bereits für einen Angriff auf den Regierungschef. Cameron müsse sich für seinen "erschreckenden Einschätzungsfehler" bei der Anstellung Coulsons entschuldigen. Er habe persönliche Beziehungen zu Schlüsselfiguren des Skandals.