Erst waren Quarterbacks afroamerikanischer Abstammung undenkbar, später eine Seltenheit – heute sind sie trotz aller anhaltender Rassismus-Diskussionen aus der NFL nicht mehr wegzudenken. Weder sportlich, noch finanziell – das belegen auch Zahlen.

Stuttgart - Die nordamerikanische Football-Profiliga NFL feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag. Fahnen, Jubiläumslogo, Kampfjets – das Pathos kennt in den USA zu solchen Anlässen keine Grenzen. „The land of the free“ – das Land der freien Menschen, es feiert sich selbst und seinen Nationalsport. Die Differenzen über den immer noch arbeitslosen Colin Kaepernick, der mit seinem Hymnenprotest die NFL in eine ihrer größten Krise stürzte, rückt da in den Hintergrund. Nichts soll die Liga in ihrer Selbstbeweihräucherung stören.

 

Aber, trotz aller offenkundigen Probleme beim Thema Rassismus und Diskriminierung – die Liga hat einen weiten Weg hinter sich. 1920, als erstmals ein nordamerikanischer Football-Meister gekürt wurde, spielte kein Afroamerikaner mit. 100 Jahre später sind über 70 Prozent der NFL-Profis afroamerikanischer Herkunft. Fritz Pollard war 1923 der erste afroamerikanische Spielmacher der Liga – angefeindet von Fans, Mit- und Gegenspielern, musste er teilweise andere Stadioneingänge benutzen, gemeinsames Duschen war ein No-Go und Sprechchöre wie „Hau ab Nigger“ waren an der Tagesordnung.

Farbige Quarterbacks waren lange eine Ausnahme

Bis um die Jahrtausendwende blieben afroamerikanische Quarterbacks die Ausnahme. Und wenn ihnen doch der Sprung in die NFL gelang, dann dank ihrer athletischen Fähigkeiten: Michael Vick, Donovan McNabb und Daunte Culpepper waren Stars – allerdings nur bedingt für ihren Wurf gefürchtet. Heute stehen 17 afroamerikanische Spielmacher in Diensten der 32 NFL-Teams. Neun davon zählten zuletzt zur Startformation – beides NFL-Rekorde. Und die neue Generation an Quarterbacks kann alles: werfen, rennen, führen und gewinnen.

„Nur dank der Jungs, die vor mir kamen, habe ich heute die Möglichkeit, in der NFL zu spielen“, sagt Russell Wilson von den Seattle Seahawks, der 2013 als zweiter afroamerikanischer Stammquarterback den Superbowl gewinnen konnte. „Heute geht es darum, was wir können und ob wir solch ein Business führen können.“ Denn, da sind sich Spieler und Teambesitzer einig: Die NFL ist ein Business. Es geht um’s Geld verdienen.

Russell Wilson ist der Topverdiener in der NFL

140 Millionen US-Dollar verdient Wilson, der erst als fünfter afroamerikanischer Spielmacher überhaupt in der Startformation eines Superbowls stand, in den kommenden vier Jahren. Damit ist er – nach dem Jahresgehalt gemessen – der bestbezahlte Profi der NFL-Geschichte. Der 30-jährige ist ein weltweit gefeierter Star, das Gesicht des Clubs und der Stolz einer ganzen Stadt, millionenfach verkaufen die Seahawks seine Trikots.

Cam Newton (Carolina Panthers), der sein Team 2016 bis in den Superbowl führte, ist momentan verletzt. Das tut dem Aufschwung afroamerikanischer Quarterbacks aber keinen Abbruch. In Kansas City beispielsweise schickt sich Patrick Mahomes an, Wilson als Champion nachzufolgen. Der 23-jährige Spielmacher der Chiefs ist amtierender MVP (wertvollster Spieler der Saison) und hatte den späteren Meister New England Patriots um Superstar Tom Brady in den Play-offs am Rande der Niederlage. Die NFL-Expertenschar hat keinen Zweifel: Bleibt Mahomes gesund, ist sein erster Superbowl-Ring nur eine Frage der Zeit.

„Dir gibt jemand eine Chance, wenn er sich einen Vorteil verspricht“

Es gibt nur eine Sache, die für die Teambesitzer ähnlich wichtig ist wie Geld verdienen: gewinnen. „Wenn du Football spielst, gut bist und gewinnst, gibt dir jemand eine Chance, wenn er sich selbst einen Vorteil davon verspricht“, sagt Todd Boyd, einer der bekanntesten Universitätsprofessoren für Rassenfragen in den USA. So sagt auch Kyler Murray, neu in der NFL bei den Arizona Cardinals und eines der größten afroamerikanischen Spielmachertalente: „Es geht nicht darum, wie du aussiehst oder einem Stereotypen zu entsprechen. Es geht darum, ob du dem Team hilfst zu gewinnen.“ Daher ist es mittlerweile auch normal, dass an Highschools und Colleges afroamerikanische Kids und Teenager die Quarterback-Position innehaben. Der beste soll spielen.

Der 22-jährige Murray, immerhin der vierte afroamerikanische Quarterback, der als Erster im Draft (Nachwuchsspielerbörse) ausgewählt wurde, ist neben Mahomes, MVP-Kandidat Deshaun Watson (23/Houston Texans) oder Lamar Jackson (22/Baltimore Ravens) das Versprechen auf eine große Quarterback-Generation, wenn Legenden wie Tom Brady (42), Drew Brees (40) und Aaron Rodgers (35) im Ruhestand angekommen sind.

Wenig öffentliche Kritik seitens der Youngster

Noch halten sich die afroamerikanischen Spielmacher mit Kritik an sozialen Missständen oder der Ausbootung Kaepernicks zurück. Allerdings war auch in der Basketball-Profiliga NBA an eine offene Rassismus-Debatte in den 90er-Jahren nicht zu denken. Heute streitet sich Superstar LeBron James offen mit dem US-Präsidenten auf Twitter.

Wer weiß, vielleicht machen das Mahomes und Co. eines Tages auch – die NFL hat schließlich einen weiten Weg hinter sich. Aber, solange für Colin Kaepernick kein Platz in der NFL ist, scheint sie auch noch einen langen Weg vor sich zu haben.

In unserer Bildergalerie finden Sie die wichtigsten afro-amerikanischen Spielmacher der aktuellen Saison.