Auf die Organisatoren der Vesperkirchen kommt, ebenso wie auf Tafelläden und Kleiderkammern, nicht nur in Göppingen mehr bürokratischer und finanzieller Aufwand zu, da sich das Umsatzsteuergesetz zum 1. Januar geändert hat.

Region: Andreas Pflüger (eas)

Göppingen - Mehr als ein halbes Dutzend Vesperkirchen gibt es Jahr für Jahr in der Region Stuttgart. Für die Macher, meist aus kirchlichen oder kirchennahen Institutionen, könnte sich der Aufwand künftig deutlich erhöhen. Zum 1. Januar wurde das Umsatzsteuergesetz geändert, sodass ein zusätzlicher bürokratischer und finanzieller Aufwand droht.

 

Was Mitte der 1990er-Jahre als sogenannte Armenspeisung begann, hat sich vom Konzept her inzwischen gewandelt. Die Organisatoren sprechen von „Gemeinden auf Zeit“, was bedeutet, dass die Bedürftigen nicht für sich alleine bleiben sollen. Vielmehr sind sozial besser gestellte Menschen in den Vesperkirchen gerne gesehen. Sie sollen gemeinsam mit den Betroffenen speisen, mit ihnen ins Gespräch kommen – und für ihr Essen möglichst etwas mehr bezahlen, um anderen ebenfalls eine Mahlzeit zu ermöglichen. Genau das könnte aber künftig schwierig werden.

Baumung: Wir übernehmen eine Aufgabe der staatlichen Fürsorge

Den Vesperkirchen droht Ungemach – ebenso wie der noch weitaus größeren Zahl an den ebenfalls gemeinnützigen Tafelläden und Kleiderkammern. Sofern derartige Einrichtungen mehr als 35 000 Euro per anno umsetzen, müssen sie für alles, was sie an „Nicht-Begünstigte“ verkaufen, sieben Prozent Mehrwertsteuer abführen. Auch auf die Göppinger Vesperkirche würde sich die Gesetzesänderung auswirken, wenngleich, wie es in einer Klausel heißt, „nach einem entsprechenden Antrag auf Umsätze bis Ende 2020 die alte Gesetzeslage angewendet werden kann“.

Wolfgang Baumung, der Leiter der Wohnungslosenhilfe Haus Linde in Göppingen und zugleich Hauptorganisator der Vesperkirche in der Hohenstaufenstadt, kann angesichts der neuen Gesetzeslage nur mit dem Kopf schütteln. „Wir übernehmen eine Aufgabe der Fürsorge, für die eigentlich der Staat zuständig ist. Wenn da der Fiskus jetzt noch mitverdienen möchte, ist das doch ein Unding“, schimpft er. Baumung fragt sich, wie er das seiner 60-köpfigen ehrenamtlichen Helferschar, die für eine angenehme Atmosphäre in dem meist vollen Gotteshaus sorgt, erklären soll und was wohl die finanziellen Gönner und Unterstützer der Vesperkirche dazu sagen. „Ich bin um jede noch so kleine Spende froh, weil die zwei Euro Mindestbeitrag, die wir verlangen, die Kosten für ein Essen nicht decken“, ergänzt er.

Stürmer: Steuerrecht darf ehrenamtliches Engagement nicht erschweren

Heuer wurden in der Göppinger Vesperkirche, die am vergangenen Sonntag nach sechs Wochen in der Stadtkirche zu Ende gegangen ist, einmal mehr gut 8000 Mahlzeiten ausgegeben, die durch die Einnahmen nur knapp zur Hälfte refinanziert werden konnten. „Da wir verlässliche Förderer haben und eine tolle Unterstützung aus der Bevölkerung erfahren, etwa durch Kaffee- und Kuchenspenden, bin ich zuversichtlich, dass wir am Ende wieder rauskommen“, betont Baumung. „Dieses Mal noch“, fügt er hinzu. Für ihn selbst ist deshalb schon jetzt klar: „Wenn dieses Gesetz wirklich angewendet wird, höre ich auf.“

Thomas Stürmer, der beim Diakonischen Werk Württemberg die Abteilung Landkreis- und Kirchbezirksarbeit leitet, hofft natürlich, dass es nicht zu solch drastischen Schritten kommt: „Natürlich halten wir uns an Recht und Gesetz. Aber wir werden natürlich auch aktiv, wenn das Steuerrecht ein solches hauptsächlich ehrenamtliches Engagement erschwert oder unmöglich macht“, stellt er klar. Denn werde gemeinnützige Arbeit nicht unterstützt, gebe es in der Tat irgendwann keine gemeinnützige Arbeit mehr, sagt Stürmer.