Stuttgart - Sie ist eine Spezialistin für starke, klare und selbstbewusste Frauen. Mit kräftiger Stimme, der man die 82 Lebensjahre nicht anhört, spricht sie über ihre Film- und Theaterrollen – und sie macht Pausen, denkt nach, korrigiert sich, wenn ihr eine Formulierung zu ungenau erscheint. Mit Nicole Heesters, der Tochter von Johannes Heesters, ist auch im fortgeschrittenen Alter noch zu rechnen. Am Samstag ist sie im Stuttgarter Schauspiel zu sehen, in „Bernarda Albas Haus“, der Tragödie von Federico García Lorca, worin sie die Titelheldin gibt: „Ich verkörpere das absolut Böse“, sagt die Schauspielerin.
Frau Heesters, die Inszenierung von „Bernarda Albas Haus“ ist 2011 in Mannheim herausgekommen. Acht Jahre später, bei der Stuttgarter Wiederaufnahme, sind Sie immer noch mit dabei. Warum?
Weil Lorcas Stück ein eminent politisches Stück ist. Er hat es zwei Monate vor seiner Ermordung durch Franco-Anhänger fertiggestellt. Bernarda Alba verkörpert darin das absolut Böse, also genau das Regime, das den Dramatiker auf dem Gewissen hat. Ich spiele einen machtbesessenen Charakter, eine Mutter, die ihre Töchter unterdrückt, indem sie ihnen nach dem Tod des Vaters eine achtjährige Trauerzeit auferlegt. Die Tragödie spielt in der Familie, spiegelt aber ein System wider, das ich als Schauspielerin auf der Bühne nicht feingliedrig psychologisch erklären will. Das würde mich mit Abscheu erfüllen: die Unmenschlichkeit auch noch zu erklären.
Wie spielen Sie die Rolle dann?
Mit Entschlossenheit, mit Radikalität! Wie ein Bildhauer, der eine Figur aus einem abweisenden Marmorblock herausschlägt, mit Wucht und grobem Werkzeug – anders komme ich dieser Figur, für die der Begriff boshaft viel zu klein ist, nicht bei. Bernarda Alba ist ein Monster. Absolut.
Im Kern handelt die Tragödie von der Unterdrückung weiblicher Sexualität und das Aufbegehren dagegen. Halten Sie diese Themen in unserer aufgeklärt-liberalen Gesellschaft noch für virulent?
Es geht bei Lorca ja nicht allein um Sexualität, es geht – mehr noch – um Sehnsucht und Liebe. Sexualität kann man heute bei uns austoben, sicher. Aber die tieferen Gefühle sind damit noch nicht erledigt. Es gibt im Drama einen Satz, einen einzigen Satz, der mir den Charakter von Bernarda erschließt: „Das Leben fragt nie nach unseren Wünschen.“ Das heißt: sie hatte Wünsche, konnte sie sich aber nicht erfüllen. Und das gönnt sie auch anderen Menschen nicht. Deshalb hat sich etwas in Bernarda verhärtet. Ich bin sicher, dass es diesen aus Missgunst gespeisten Mechanismus der Verhärtung und Verbitterung auch heute noch gibt. Jetzt bin ich doch psychologisch geworden . . .
„Zu erotisch, sagten die Zensoren“
Sie haben die Inszenierung 2014 auch in Teheran beim Fadjr-Festival gezeigt und für Ihre Titelrolle den Darstellerpreis gewonnen. Davon abgesehen: Wie waren dort die Reaktionen auf diese Tragödie des unterdrückten Begehrens, in der nur Frauen spielen?
Ich würde sagen: interessant. Das fing bei den Proben an, bei denen sechs langbärtige Männer als Zensoren anwesend waren. Sie baten uns, alle Körperteile – Fußknöchel, Handknöchel, Hals – vollständig zu bedecken. Und dann untersagten sie uns die Szene, in der Bernarda eine ihrer Töchter schlägt. Zu grausam, dachten wir. Aber das war nicht der Punkt: Zu erotisch, sagten sie.
Erotisch?
Wir haben auch gestaunt. Vermutlich kamen sie mit der Berührung, die mit dem Schlag einhergeht, nicht zurecht. Das ließ tief blicken. Spätestens jetzt wussten wir, dass diese Kultur komplett anders tickt als unsere. Einerseits. Andererseits war es ja sehr mutig, uns als Zeichen der Öffnung gegenüber dem Westen überhaupt nach Teheran einzuladen.
Wie war die Aufführung?
Wir haben in einem brechend vollen Haus gespielt, rechts und links schauten in riesigen Emblemen die Ayatollahs auf uns herab, und das Publikum hörte dank Simultanübersetzung atemlos zu. Die Lorca-Sätze hatten da nochmals eine ganz andere Wucht. Ein Beispiel: „Schweigen! Keiner sagt ein Wort. Mir hat niemand etwas zu sagen. Dein einziges Recht ist, mir zu gehorchen“, werfe ich als Bernarda einer meiner Töchter entgegen. Bei solchen Sätzen ging eine spürbare Unruhe durchs Publikum, das wohl aus eigener Erfahrung wusste, was hier verhandelt wurde. Die Freiheiten, die wir im Westen genießen, nehmen wir oft als selbstverständlich hin. Das sind sie aber keineswegs. Sie sind ein kostbares Geschenk – auch das wurde mir im Iran klar.
Wenn ich auf Ihre Rollen schaue, fällt mir auf, dass Sie meistens starke, klare, direkte Frauen spielen. Bernarda Alba erfüllt dieses Profil im Negativ, im Positiv erfüllte es Marianne Buchmüller.
Oh Gott, das ist Jahrhunderte her . . .
. . . aber unvergessen: Ihre Marianne Buchmüller, die für den Südwestfunk in Mainz ermittelte, war die erste weibliche Kommissarin in der Geschichte des „Tatorts“.
Eine Pionierleistung, ja. Deshalb habe ich die Rolle übernommen, das fand ich lustig. Wir wurden von der Kritik aber total verrissen. Mut zugesprochen hat mir Rainer Werner Fassbinder. In einem Brief schrieb er mir, es sei toll, dass wir mit einer Frau als Kommissarin alte Strukturen aufgebrochen hätten und damit unbedingt weitermachen sollten. Nach drei Folgen bin ich trotzdem ausgestiegen. Die Frage „Wo waren Sie gestern Abend?“ wollte ich nicht mehr stellen müssen, ebenso wenig wollte ich beim Einkaufen mit Frau Buchmüller angesprochen werden. Ich musste meinen Namen schützen. Aber natürlich freue ich mich über die vielen Töchter, die ich als Kommissarin im „Tatort“ bekommen habe.
„Ich bin mir selbst ein guter Partner geworden“
Was würden Sie diesen Töchtern – Ulrike Folkerts, Maria Furtwängler, Sabine Postel, Meret Becker – mit auf den Weg geben?
Einen Wunsch. Dass sie gute Drehbücher bekommen.
Apropos Wunsch: Hat das Leben, um nochmals Lorca zu zitieren, wenigstens Sie nach Ihren Wünschen gefragt?
Nun, so viel kann ich sagen: Ich hatte Glück im Leben. Ich wurde wunderbar an der Hand genommen und begleitet, dafür bedanke ich mich täglich: dass ich in meinem Alter noch arbeiten darf, dass ich gesund bin und dass es immer noch weitergeht. Natürlich habe auch ich schreckliche Dinge erlebt. Dass mein Mann von mir gegangen ist . . .
Sie waren mehr als vierzig Jahre verheiratet . . .
. . . wir standen vor dem fünfzigsten, als die böse Krankheit ihn mir vor fast neun Jahren genommen hat. Das macht mich traurig, das tut weh, das wird immer weh tun. Ich frage mich oft, ob ihm gefallen würde, was ich gerade mache. Er ist präsent. Absolut.
Ist auch Ihr Vater noch präsent, Johannes Heesters?
Ja, sehr. Er starb nach meinem Mann, mit 108 Jahren, er hat mir eine wunderbare Kindheit ermöglicht und überhaupt zum Glück in meinem Leben beigetragen.
Haben Sie die Gene Ihres Vaters?
Das wäre sehr schön. Aber mein Vater war, anders als ich, nie allein. Trotzdem genieße ich das Altwerden und die damit verbundene Alterssouveränität. Auf vieles verzichten zu können, nicht überall dabei sein zu müssen, stattdessen Stille und Einsamkeit – das nehme ich als Luxus wahr. Ich bin mir selbst ein guter Partner geworden.