Der Europäische Gerichtshof hat erneut die Justizreformen in Polen kritisiert. Die Luxemburger Richter sehen die Unabhängigkeit der Gerichte in Gefahr.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Brüssel - Polen muss vor dem Europäische Gerichtshof (EuGH) erneut eine Niederlage einstecken. Die Richter haben in ihrem Urteil am Mittwoch deutliche Zweifel an der Unabhängigkeit der polnischen Justiz geäußert. Die Umstände der Ernennung des Richters einer Kammer am Obersten Gericht ließen den Schluss zu, dass Grundregeln für die Ernennung von Richtern offensichtlich missachtet worden seien, teilte der Gerichtshof in Luxemburg mit. Formal muss darüber aber abschließend das Oberste Gericht in Warschau entscheiden. (Rechtssache C-487/19).

 

Unvereinbar mit dem Recht der EU

„Das heutige EuGH-Urteil attestiert erneut eine besorgniserregende Entwicklung in Polen“, kommentiert der deutsche CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary das Urteil. „Die polnische Justizreform ist unvereinbar mit EU-Recht.“ Er sieht durch das Vorgehen Polens eine Belastung der gesamten Union. „Wenn rechtsstaatliche Grundsätze in der EU von einzelnen Regierungen derart auf die Probe gestellt werden, stellt dies für Europa insgesamt eine Belastung dar“, erklärt Caspary. Polens Vize-Justizminister Sebastian Kaleta kritisierte per Twitter, der EuGH wolle das Verfassungsgericht des Landes ersetzen und selbst das Justizwesen Polens kontrollieren.

Es ist nicht das erste Mal, dass Polen mit den europäischen Institutionen in Konflikt kommt. Die EU-Kommission hat bereits mehrfach gegen die Reformen der PiS-Regierung geklagt. Trotz aller internationaler Kritik baut die nationalkonservative Mehrheit seit Jahren das gesamte Land nach ihrem Gutdünken um und versucht viele Bereiche des Lebens unter ihre Kontrolle zu bekommen. Da betrifft nicht nur das Justizwesen, sondern etwa auch die Medien.

Mangelnde Unabhängigkeit der Gerichte

Sorgen bereitet Brüssel vor allem die zunehmende Unabhängigkeit der Gerichte. Zuletzt hatte Polen sich über eine EuGH-Anordnung hinweggesetzt, wonach eine neu geschaffene Disziplinarkammer zur Bestrafung von Richtern ihre Arbeit zunächst aussetzen musste, weil ihre Unabhängigkeit nicht gesichert sei. Die EU-Kommission beantragte deshalb Anfang September finanzielle Sanktionen beim EuGH gegen Warschau - eine Entscheidung darüber steht noch aus. Ebenso steht ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts aus, das klären soll, ob EU-Recht über polnischem Verfassungsrecht steht. Das Verfahren soll in diesen Tagen fortgesetzt werden. Eine Entscheidung, die den Vorrang des europäischen Rechts grundsätzlich in Frage stellen würde, dürfte den Konflikt zwischen der EU-Kommission und der Regierung in Warschau weiter eskalieren.

Der Fall des Richters Waldemar Zurek

Hintergrund des aktuellen Luxemburger Urteils ist unter anderem der Fall des regierungskritischen Krakauer Bezirksrichters Waldemar Zurek, der vor dem Obersten Gericht seine Versetzung innerhalb des Bezirksgerichts beanstandet. Die EuGH-Richter stellten nun zunächst fest, dass eine nicht einvernehmliche Versetzung von Richtern die Grundsätze der Unabsetzbarkeit von Richtern und die richterliche Unabhängigkeit verletzen könne. Durch derlei Versetzungen könnte demnach der Inhalt gerichtlicher Entscheidungen kontrolliert werden.

Der EU-Parlamentarier Daniel Caspary fordert, dass sich nun alle EU-Mitgliedstaaten hinter die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes stellen. Ausdrücklich unterstützt wird von ihm, dass im Fall von Polen die Milliardenhilfen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zurückgehalten werden. Die EU hat die Auszahlung an die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze gebunden. Die Luxemburger Richter haben mit ihrem Urteil nun faktisch festgestellt, dass diese in Polen nicht der Fall ist.