Die AfD ist zum ersten Mal seit ihrer Gründung aus einem Landtag geflogen. Nicht erst seit Sonntag steckt die Partei in der Identitätskrise. Im Juni könnten sich die nationalsozialen Kräfte durchsetzen.

Wann immer die AfD Probleme hat, findet sich jemand, der die Frage stellt: Ist das der Anfang vom Ende für die Rechtsaußenpartei? Am Montag nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein mag offenkundig niemand aus der Parteispitze persönlich eine Antwort darauf geben. Dabei gäbe es einigen Redebedarf. Erstmals seit ihrer Gründung ist die AfD aus einem Landtag geflogen.

 

Sehr kurzfristig wird am Vormittag der übliche Termin zur Wahlnachlese in der Bundespressekonferenz abgesagt. Die Art der Absage erzählt einiges über die Nervosität in der Partei. AfD-Chef Tino Chrupalla lässt erst eine, dann noch eine zweite Mitteilung dazu verschicken, dass nicht er, sondern die Bundespressekonferenz abgesagt habe. Das ist korrekt. Allerdings gab es dazu einen Vorlauf: Der Kieler Jörg Nobis sagte ab, Chrupalla selbst wollte nur digital dabei sein, weil er sich gegen die 2G-Regel sträubt und kein Parteivize wollte einspringen. Eine Runde ohne Gäste wollte die Bundespressekonferenz nicht.

So überlässt der Parteichef es anderen, Fragen zur Landtagswahl zu beantworten, was viele tun – wenn auch am liebsten verdeckt. Kein Wunder, die AfD steckt in der Klemme, und die Niederlage von Kiel wird nun zum Beweis dafür. Zwar ist Kiel ein Spezialfall - der Landesverband ist zerstritten, die Fraktion zerbrochen. Aber schon seit längerem gelingt es der AfD nicht mehr, an die Ergebnisse der Vergangenheit anzuschließen.

Nach dem Austritt des Parteichefs Jörg Meuthen führt der Sachse Tino Chrupalla die Partei alleine und wird von vielen für sein wenig konziliantes Auftreten kritisiert. Er habe vor allem die Interessen der Ostverbände im Blick. Der Fraktionsvize Norbert Kleinwächter nimmt kein Blatt vor den Mund: Die Bundesspitze brauche „neue Köpfe mit sicherem Auftreten und neuen Ideen.“

Scharfe Kritik an Chrupalla

Die Partei ist schon immer zwei Parteien in einer, die sich vor allem regional aufteilen. Mit dem radikal nationalsozialen Kurs in Ostdeutschland, der dort gute Ergebnisse sichert, lässt sich im Westen kein Erfolg erzielen. Und jetzt scheint dies auch die Partei zunehmend zu spalten. „Es gelingt nicht mehr, ein zündendes Thema zu finden“, sagt ein Berater der Parteispitze. „Nicht nur für die Wähler, sondern auch, um die Partei zusammenzuhalten.“ Zwar habe die AfD immer unterschiedliche Strömungen gehabt. „Aber der Euro, die Migration waren Themen, hinter denen sich alle versammeln konnten.“ Noch sei die Partei nicht zerrissen, aber die Gefahr real.

Aktuell ist es vor allem der russlandfreundliche Kurs Chrupallas, dem im Westen die Basis nicht folgen kann. „Die AfD hat mit ihrem Ukraine-Kurs einen Teil ihrer konservativen Anhänger verloren“, sagt Vorstandsmitglied Joana Cotar. In Kiel seien die Wähler scharenweise zu CDU, FDP und sogar zu den Grünen übergelaufen. Joana Cotar fordert eine „Offensive West“.

Auf Dauer Regionalpartei?

Mit Blick auf die Gesamtpartei hat sie ein gewichtiges Argument dafür, im Westen gangbare Positionen zu stärken: Hier hat die AfD mitgliederstarke Verbände. Der radikalere Ostkurs könnte die AfD auf Dauer zur Regionalpartei schrumpfen lassen. Chrupalla aber folgt der Linie, wonach die Partei nicht zu etabliert erscheinen darf. In Kiel habe die Unterscheidbarkeit zu CDU und FDP gefehlt, sagt er am Wahlabend. In Ostverbänden gibt es indes einige, die die Idee einer Regionalpartei gar nicht so schlecht finden. Das, so glauben sie, könnte ihnen die nötige Beinfreiheit für einen Kurs verschaffen, der die Partei sogar zur stärksten Kraft machen könnte.

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Die Zukunft der AfD wird stark von den Entscheidungen des Bundesparteitags Mitte Juni in Riesa abhängen, der den Vorstand neu wählt. Chrupalla will die Partei weiterführen, Kandidaten für den Co-Vorsitz bleiben in Deckung. Die Mehrheitsverhältnisse sind unklar. Die radikal rechte Führungsfigur Björn Höcke, liebäugelt mal wieder laut mit einer Kandidatur. Das muss nichts heißen. Aber das Terrain wird sondiert.