Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil will, dass in der SPD jetzt endlich Entscheidungen fallen. In Sachen Spitzenkandidatur, vor allem aber bei der Frage, mit welchem inhaltlichen Angebot man in den Wahlkampf zieht. Die Suche nach Schwerpunkten, so Weil, dauere schon viel zu lange.

Berlin - Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil will, dass die SPD jetzt endlich Klarheit schafft. In Sachen Spitzenkandidatur, vor allem aber bei der Frage, mit welchem inhaltlichen Angebot man in den Wahlkampf zieht. Das Ganze, so Weil dauere ihm viel zu lange.

 
Herr Weil, immer weniger Menschen glauben den so genannten etablierten Parteien. Auch die SPD leidet darunter. Was lief da schief?
Das ist ein vielschichtiges Problem. Zum einen meinen offenbar mittlerweile viele, es sei eine Selbstverständlichkeit, dass Deutschland so erfolgreich ist. Dass es sich bei uns so gut leben lässt, wird jedenfalls nicht mehr der Politik und unserer Demokratie zugeschrieben. Unser politisches System mit seinem zugegeben komplizierten, anstrengenden und mitunter langwierigen Ausgleich unterschiedlicher Interessen aber macht diesen Erfolg und diese gesellschaftliche Stabilität überhaupt erst möglich.
Und warum wird das immer weniger honoriert?
Dankbarkeit ist in der Politik keine Währung. Aber die Menschen sollten erkennen, dass vernünftige Lösungen in der Demokratie hart erarbeitet werden müssen. Deshalb kann ich auch zu Parteien keine Alternative erkennen. Politische Parteien bieten Raum für konstruktive, demokratische Debatten und Entscheidungen über existenzielle Fragen unseres Zusammenlebens. Ich wüsste nicht, wie sich ein Gemeinwesen besser steuern ließe. Aber die Parteien machen natürlich auch Fehler Und wir Politiker reden manchmal über die Köpfe der Menschen hinweg. Das kreidet man uns zu Recht an. Ein Problem ist auch, dass der Handlungsspielraum nationaler Politik in der Globalisierung kleiner geworden ist. Nicht alles haben wir selbst in der Hand und vieles ist nur international zu regeln. Das macht die Sache noch komplizierter, als es ohnehin schon ist. Und je komplexer die Welt wird, desto mehr haben viele Menschen das Bedürfnis nach einfachen Antworten und Klarheit.
Hat die AfD diese Marktlücke erkannt?
Wenn man so will: Ja. Sie bedient diese Sehnsucht nach schlichten Antworten, es sind halt nur die falschen. Mir macht aber Hoffnung, dass laut Umfragen die meisten AfD-Wähler von ihrer Partei gar keine Lösungen erwarten. Sie betrachten ihre Stimmabgabe als Tritt in das Hinterteil etablierter Parteien. Wir müssen deshalb als Demokraten glaubhaft vermitteln: dieses Trittes bedarf es nicht.
Kanzlerin Merkel schwächelt, aber die SPD kann davon nicht profitieren. Warum ist das so?
Um das zu ändern, brauchen wir vor allem Klarheit, auch an der Spitze. Die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten steht ja nun am 29. Januar an. Das ist spät, aber nicht zu spät. Was aber noch viel wichtiger ist: Die SPD muss schleunigst das eigene politische Profil sehr viel deutlicher herausarbeiten. Die Wähler müssen wissen, wofür wir stehen, und wir müssen wissen, was uns im Wahlkampf besonders wichtig ist. Deshalb darf sich diese Schwerpunktbildung auch nicht mehr ewig hinziehen. Die Aufgabe ist zu dringlich, als dass wir uns jetzt noch ein langes Verfahren erlauben können. Mir dauert das Ganze eigentlich schon jetzt zu lange.
Was muss denn so dringend geklärt werden?
Unser Markenkern ist und bleibt die soziale Gerechtigkeit. Aber was bedeutet das konkret? Was wollen wir anstellen mit den Stimmen, um die wir die Wähler bitten? 2013 waren das der Mindestlohn und die Rente nach 45 Versicherungsjahren. Wir brauchen auch für 2017, wie wir hier in Norddeutschland sagen, sehr bald „Butter bei die Fische““. Das ist für mich jetzt die dringlichste Führungsaufgabe.
2013 hatten sie aber auch nur knapp 26 Prozent …
Das wäre aus heutiger Sicht ja schon ein deutlicher Fortschritt. Übrigens: Ich halte auch 30 Prozent für möglich, wenn wir alles richtig machen. Aber das ist leichter gesagt als getan.
Wo müssen die Schwerpunkte liegen?
Ich will da meiner Parteiführung und dem künftigen Kanzlerkandidaten nicht vorgreifen, aber es gibt einige Themen, die auf der Hand liegen. Erstens: Die SPD ist die Partei der Bildung, das müssen wir unterstreichen. Kostenfreie Bildung von der Kita bis zum Master sollte deshalb für ein zentraler Pfeiler unserer Kampagne sein. Zweitens: Wir können nicht zufrieden sein mit der Situation älterer Menschen in unserem Land. Das gilt für die Rente, wo Sozialministerin Nahles ein hervorragendes Konzept vorgelegt hat, mit dem man gut arbeiten kann. Das gilt aber erst recht für das Thema Pflege. Das betrifft nicht nur diejenigen, die der Pflege bedürfen und jene, die – oft unter schwierigen Bedingungen - in der Pflege arbeiten. Es betrifft insbesondere auch viele Millionen Angehörige, die entweder überlastet sind oder einen Riesenrucksack voll schlechtem Gewissen mit sich herumschleppen. Eine SPD, die sich diesem Thema mit Verve widmet, macht schon einmal viel richtig.
Wenn Sie den Job des Kanzlerkandidaten ausschreiben würden, wie würden Sie die Anforderungen an potenzielle Bewerber formulieren?
Wollen Sie sich bewerben? Also: Gesucht wird: eine Persönlichkeit mit umfassendem Überblick und vertieften politischen Erfahrungen in Deutschland und in internationalen Fragen. Sie muss in der Lage sein, die tatsächlichen Bedürfnisse und die Stimmung in der Bevölkerung sehr aufmerksam wahrzunehmen, und auf die Fragen und Bedürfnisse der Wählerinnen und Wähler kluge und angemessene Antworten zu geben. Geboten wird ein intensives Wahlkampfjahr mit der Chance auf eine anschließende, allerdings befristete, höchst interessante Verwendung an der Spitze unseres Gemeinwesens.
Nehmen wir mal an, Sigmar Gabriel würde, wovon wir alle ausgehen, tatsächlich antreten. Wären Ihnen dann nicht andere Bewerber eigentlich lieber?
Sigmar Gabriel würde alle von mir genannten Voraussetzungen auf das allerbeste erfüllen.
Beide sind herausragende deutsche Politiker und die SPD kann sehr froh sein, solche Leistungsträger zu haben.
Gabriel hat den Programmprozess und das Willy-Brandt-Haus auf sich zugeschnitten. Wäre die Partei auf einen anderen Kandidaten überhaupt vorbereitet?
Die Frage ist so spekulativ, dass mir darauf keine Antwort einfällt.
Der Parteichef hat sich erst bei einem rot-rot-grünen Vorbereitungstreffen blicken lassen, dann Sympathien für Ampel bekundet. Wie passt das zusammen und was ist Ihre Präferenz?
Meine Präferenz ist: 100 Prozent SPD. Mal im Ernst: Wir sind in keiner komfortablen Situation, da muss man nicht drum rumreden. Deshalb muss sich die SPD voll und ganz darauf konzentrieren, wieder Wind unter die Flügel zu bekommen. Das geschieht nicht, wenn man sich zuvörderst der Frage widmet, was einen mit dem einen oder anderen verbindet. Wir müssen aus uns selbst heraus wieder stärker werden, dann steigt auch unsere Attraktivität als Bündnispartner.
Wie kann man Angela Merkel, die im Lager der SPD ebenso beliebt zu sein scheint, wie bei der Union, bezwingen?
Bei allem Respekt vor der Bundeskanzlerin: Sie hat große Fehler gemacht. Ich habe schon wenige Tage nach der Grenzöffnung für die Flüchtlinge in Österreich und Ungarn im Herbst 2015 gefragt, wie es denn nun weiter gehen soll und wo der Plan B ist? Es gab aber keinen Plan B und das war ein fundamentaler Fehler. Deutschland hat sich dadurch in Europa isoliert. Und in unserer Gesellschaft wurden Ängste ausgelöst, die uns jetzt, wie einige Landtagswahlen gezeigt haben, politisch schwer zu schaffen machen. Außerdem können die Menschen nicht Frau Merkel wählen, sondern nur CDU oder CSU. Und diese Parteien sind mit Angela Merkel kaum mehr in Deckung zu bringen. Dort klafft ein Riss und darüber wird zu reden sein. Ich halte Frau Merkel deshalb nicht für unschlagbar.
Aber die Wahrheit ist doch, dass die SPD auch keinen Plan B hatte?
Ein Bundeskanzler Schröder beispielsweise hätte sich anders verhalten. Ich habe es immer für richtig gehalten, dass die syrischen Flüchtlinge auf den ungarischen Autobahnen vor Gewalt bewahrt worden sind. Der Fehler war, dass die Politik der offenen Grenzen unbefristet schien und zunächst kein Ende nehmen wollte. Das führte dazu, dass fast alle anderen europäischen Partner in der Flüchtlingsfrage nur noch ein deutsches Problem erkannten und sich bei der Bewältigung der Aufgabe einen schlanken Fuß machten. Deutschland kam dadurch schnell an die Grenzen seiner ganz sicher großen Möglichkeiten. Das war ein schwerer Fehler, den Frau Merkel zu verantworten hat.