Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Für Rainer Bürkle bedeutet Dialysetag, dass um 20.45 Uhr das Taxi vorfährt, es bringt ihn von Echterdingen in eine Praxis nach Filderstadt. Zuerst geht er dort seinen Pyjama anziehen. Er kommt zurück mit einer Dose Erdnüssen und einer kalten Sprudelflasche. „Die gönne ich mir heute“, sagt er und lächelt wie einer, der sich gleich einen besonderen Wein aufmacht. Dann schlappt er in Hausschuhen zu seinem Bett.

 

Alle zwei Tage muss Rainer Bürkle nach Filderstadt. Er bleibt die ganze Nacht, verbringt sie mit anderen Dialysepatienten in einem Raum voller Krankenbetten. In diesen acht Stunden hat Rainer Bürkle eine künstliche Niere. Das Dialysegerät filtert giftige Stoffe aus seinem Körper, wäscht das Blut und hilft ihm, Flüssigkeit loszuwerden. Denn seit er nieren-los ist, verspürt er keinen Harndrang. Er pinkelt nicht mehr und darf nur wenig trinken.

220 Milliliter Blut zirkulieren in der Stunde durch die Maschine. „Bei mehr krieg ich Kopfweh“, sagt Rainer Bürkle. Während sich mancher Bettnachbar die Kanüle selbst in die Blutbahn sticht, übernimmt das bei Rainer Bürkle eine Krankenschwester. Er schaut lieber weg. An der Stelle, an der sich die Nadeln in den Unterarm bohren, hat er einen großen Hubbel.

Hoffen und warten

Während der vergangenen Jahre ist die Dialyse Rainer Bürkles Lebensversicherung gewesen. In Deutschland müssen etwa 60 000 Menschen dauerhaft zur Dialyse. 8000 von ihnen stehen auf der Warteliste für eine Transplantation, 2000 kommen jährlich zum Zug. Es mangelt an Organen. Rainer Bürkle wurden acht Jahre des Ausharrens prophezeit. Gut, wenn man da einen Spender in der Familie findet.

Seltene Stoffwechselkrankheit

Rainer Bürkle hat Morbus Fabry, eine seltene Stoffwechselkrankheit. Das wissen sie seit 2003 und haben es zunächst einfach zur Kenntnis genommen. „Wir haben die Krankheit total unterschätzt“ , sagt Simone Bürkle. Doch ihrem Mann geht sie an die Nieren. Morbus Fabry ist eine Erbkrankheit, das Krebsrisiko und die Wahrscheinlichkeit für Schrumpfnieren steigen. Rainer Bürkle hat außerdem einen Herzschrittmacher. Seit Februar 2011 ist der Installateur erwerbsunfähig.

In der Familie von Rainer Bürkle hat es mehrere erwischt. Seine Mutter ist an den Folgen von Morbus Fabry gestorben. Seine fünfjährige Tochter Carolina hat es auch, doch dank der frühen Diagnose können Medikamente verhindern, dass die Krankheit Probleme macht. Simone Bürkle hatte auch ihre Tochter im Kopf, als sie über die Organspende nachdachte. Sollte sie die Niere nicht lieber für sie aufbewahren? „Das sind Fragen, da zieht’s dir echt die Schuhe aus“, sagt sie.

Die Eltern gehen offen mit dem Problem um. Die Kinder wissen, dass ihr Vater krank ist. Sein Nierenschaden und die Transplantation sind überall im Hause Bürkle. Beim Abendbrot stehen die Tabletten neben dem Babybel-Käse. Auf dem Telefonschränkchen liegt der neueste Transplantationsreport der Uniklinik Tübingen. Als Simone Bürkle die Kinder ins Bett bringt, sagt sie: „Heute ist Dialysetag.“ Für den sechsjährigen David bedeutet das, dass er die Gute-Nacht-Geschichte aussuchen darf.

Er pinkelt nicht mehr

Für Rainer Bürkle bedeutet Dialysetag, dass um 20.45 Uhr das Taxi vorfährt, es bringt ihn von Echterdingen in eine Praxis nach Filderstadt. Zuerst geht er dort seinen Pyjama anziehen. Er kommt zurück mit einer Dose Erdnüssen und einer kalten Sprudelflasche. „Die gönne ich mir heute“, sagt er und lächelt wie einer, der sich gleich einen besonderen Wein aufmacht. Dann schlappt er in Hausschuhen zu seinem Bett.

Alle zwei Tage muss Rainer Bürkle nach Filderstadt. Er bleibt die ganze Nacht, verbringt sie mit anderen Dialysepatienten in einem Raum voller Krankenbetten. In diesen acht Stunden hat Rainer Bürkle eine künstliche Niere. Das Dialysegerät filtert giftige Stoffe aus seinem Körper, wäscht das Blut und hilft ihm, Flüssigkeit loszuwerden. Denn seit er nieren-los ist, verspürt er keinen Harndrang. Er pinkelt nicht mehr und darf nur wenig trinken.

220 Milliliter Blut zirkulieren in der Stunde durch die Maschine. „Bei mehr krieg ich Kopfweh“, sagt Rainer Bürkle. Während sich mancher Bettnachbar die Kanüle selbst in die Blutbahn sticht, übernimmt das bei Rainer Bürkle eine Krankenschwester. Er schaut lieber weg. An der Stelle, an der sich die Nadeln in den Unterarm bohren, hat er einen großen Hubbel.

Hoffen und warten

Während der vergangenen Jahre ist die Dialyse Rainer Bürkles Lebensversicherung gewesen. In Deutschland müssen etwa 60 000 Menschen dauerhaft zur Dialyse. 8000 von ihnen stehen auf der Warteliste für eine Transplantation, 2000 kommen jährlich zum Zug. Es mangelt an Organen. Rainer Bürkle wurden acht Jahre des Ausharrens prophezeit. Gut, wenn man da einen Spender in der Familie findet.

Zunächst hatte sich Simone Bürkles Mutter angeboten. Doch nach den ärztlichen Untersuchungen schied sie aus als Spenderin. Dann ließ sich ihr Vater testen. Auch er kam nicht infrage. Für Rainer und Simone Bürkle hieß es immer wieder: hoffen und warten. Selbst, als bereits klar war, dass Simone Bürkle ihr Organ spenden kann, wurden sie weiter auf die Folter gespannt, immer wieder passten Werte nicht. Einmal waren die beiden sogar schon fertig für die Operation – und mussten doch wieder heim. Das geht an die Substanz.

Mitte Juli ist es so weit. Simone Bürkles Niere soll im Transplantationszentrum Tübingen den Körper wechseln. Beim Einchecken im Krankenhaus am 17. Juli ist Rainer Bürkle nervös. Seine Frau erlebt diese Stunden eher unbeteiligt, fühlt sich wie hinter einer Wand. Sie zweifelt, dass es wirklich klappt. Das Zimmer ist schön, der Blick reicht bis zur Alb. Sie sind froh, dass sie sich ein Zimmer teilen dürfen. Der Abend verläuft schweigsam, alles ist gesagt.

Frühmorgens ist Simone Bürkle an der Reihe. Sie zieht ihr Flügelhemd für die Operation an und fragt sich dabei ein letztes Mal, ob sie das wirklich will. Sie will. Kurz bevor sie abgeholt wird, sitzt sie mit ihrem Mann auf dem Bett. Sie schießen ein Foto von sich. Simone Bürkle schluckt eine Entspannungstablette und schläft ein.

Nach der Operation kommen neue Ängste

Als Nächstes spürt sie reißende Schmerzen. Es ist, als würde jemand in ihrem Bauch herumfuhrwerken. Sie deutet das als Zeichen, dass es geschehen ist und dämmert wieder weg. Die Schmerzen sind auch nach dem zweiten Aufwachen kaum zu ertragen. In den nächsten Tagen wird die Schmerzpumpe Simone Bürkles treue Begleiterin sein. Linderung auf Knopfdruck.

Später erwacht Simone Bürkle im Zimmer. Ihr Mann ist weg. Als er in den OP-Saal geschoben worden ist, hat er seine Frau noch auf dem Tisch liegen sehen. Die Ärzte haben sie gerade genäht. Während er eine neue Niere bekommt, angelt sich Simone Bürkle ihr Handy. Es zeigt 14.10 Uhr. Anderthalb Stunden später berichtet ihr eine Schwester, dass alles gutgegangen ist. Um 17 Uhr sind die Bürkles wieder Bettnachbarn. Er schläft, sie ist beruhigt.

Am ersten Tag danach sieht Simone Bürkle ihre Niere wieder, drüben bei ihrem Mann. Ein Assistenzarzt ist mit einem Ultraschallgerät gekommen. Für die Spenderin fühlt sich das Wiedersehen seltsam an, ja wehmütig. Bei ihr zeigt das Gerät nur gähnende Leere auf dem Monitor. Sie verabschiedet sich endgültig von dem Organ, das ihr 37 Jahre lang treu zu Diensten war. Simone Bürkle wird nach einer Woche entlassen, ihr Mann nach 16 Tagen.

Rainer Bürkle weiß nicht, wie lange ihm die Niere seiner Frau erhalten bleibt. Die ersten drei Tage sind kritisch, die nächste Hürde liegt bei drei Wochen, die dritte bei drei Monaten. Zehn Wochen hat er die Niere nun schon, und sie scheint sich gut einzugewöhnen. Damit sie nicht abgestoßen wird, schluckt er Medikamente. Anders als seine Frau hatte er kaum Schmerzen nach der OP. Er war euphorisch und dankbar. Immer wieder hat sich aber auch eine Angst eingeschlichen. Angst davor, dass es doch noch einen Haken gibt: „Da ist eine Ungewissheit, weil einen der Körper so lange im Stich gelassen hat.“ Er fühlt sich in besonderem Maße verantwortlich für seine neue Niere. „Ich muss sie ja verwalten.“ Er betont das Ich.

Eine kleine Wölbung neben dem Bauchnabel

Die Uhr an der Wohnzimmerwand in Echterdingen schlägt sieben. Im früheren Leben hätte in knapp zwei Stunden das Taxi vor der Tür gestanden. Wenn die Bürkles daran denken, sehen ihre Gesichter aus, als hätten sie gerade einen Gutschein für ein Candle-Light-Dinner geschenkt bekommen. Seltsam ist es trotzdem, die Dialyse hat dem Leben der Familie Halt gegeben. „Sie war wie eine Schutzglocke“, sagt Rainer Bürkle. Sie müssen sich erst an die neue Freiheit gewöhnen.

Die gespendete Niere sitzt bei Rainer Bürkle rechts neben dem Bauchnabel. Dort ist eine kleine Wölbung. Simone Bürkle berührt sie manchmal. Dann weiß sie, dass ihre Niere nicht ganz weg ist.