Muna will mitbekommen haben, wie Mädchen auf Selbstmordanschläge vorbereitet wurden. Dafür seien allerdings nur Verschleppte infrage gekommen, die bereits längere Zeit unter den Milizionären lebten. Ihnen sei die sofortige Aufnahme ins Paradies, bleibender Ruhm als Märtyrer sowie materieller Segen für ihre irdische Familie versprochen worden. Anderen Berichten zufolge werden die Selbstmordkandidatinnen auch mit Drogen gefügig gemacht. Eines der wenigen Mädchen, das sich vor der Zündung ihres Sprengsatzes noch eines Besseren besann, habe sich kaum auf den Beinen halten können, berichtet ein Offizier. Manche der sogenannten Selbstmordattentäterinnen wüssten vermutlich nicht einmal, dass sie in die Luft gesprengt würden, fügt der Mann hinzu. Die Extremisten ließen sie im Glauben, dass sie lediglich Sprengstoff von einem Ort zum anderen bringen müssten, der dann aus der Ferne gezündet werde.

 

Muna, Mohamed und Fatima gelang schließlich, was nur wenige schafften – die Flucht. Dieses Mal konnten sie ungehindert die Grenze in den Tschad überqueren: Dort harrten sie mehr als ein Jahr lang in einem Flüchtlingslager aus. Dem Umstand ist zu verdanken, dass die Geschwister heute in relativer Freiheit in einem Lager für Vertriebene in Maiduguri leben können: Für weniger Glückliche hört die Tortur selbst nach der Befreiung aus der Hand der Extremisten nicht auf. Nigerias Militär meint sich nicht sicher sein zu können, ob die befreiten Geiseln nicht zuvor erfolgreich in Killermaschinen verwandelt wurden: Allein in Maiduguris Giwa-Kaserne werden derzeit bis zu 4000 vermeintliche Boko-Haram-Mitglieder und Ex-Entführte festgehalten, darunter zahllose Frauen und Kinder.

Ihre langen Gewänder eignen sich als Verstecke von Sprengstoff

Die wachsende Zahl der sogenannten Selbstmordattentate scheint den Militärs recht zu geben: In Maiduguri vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo zwei Mädchenkörper in Stücke gerissen werden. Gestern in einem Flüchtlingscamp, heute vor der Moschee nahe des Poloplatzes, am nächsten Tag am Eingang zur Universität. Warum die Heiligen Krieger am liebsten junge Mädchen als lebende Bomben missbrauchen, ist kein Geheimnis: Sie ziehen den geringsten Verdacht auf sich, während sich unter ihren langen Gewändern bestens Sprengstoffladungen verbergen lassen. Junge Frauen mit prüfenden Blicken anzustarren gilt unter Muslimen als anstößig. Bis vor Kurzem wurde es noch vermieden, sie einer Leibesvisitation zu unterziehen.

Über die Identität der eigentlichen Attentäter ist dagegen kaum etwas bekannt: Ob womöglich auch Entführte aus Chibok darunter waren, weiß keiner. Eines der wenigen Mädchen, das sich im letzten Moment doch noch anders entschied, berichtete, von ihrem eigenen Vater zu der mörderischen Tat überredet worden zu sein. „Selbst wenn sie töten, sind sie nicht Täter, sondern Opfer“, sagt Geoffrey Ijumba, der Chef des Unicef-Büros in Maiduguri. „Diese Kinder werden auf die schrecklichste Weise missbraucht.“

Nigerias Sicherheitskräfte werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen

Um Missbrauch handele es sich allerdings auch, wenn die Minderjährigen selbst nach ihrer Befreiung aus der Hand der Extremisten noch festgehalten werden, meint die nigerianische Human-Rights-Watch-Direktorin Mausi Segun: Für ihre Internierung gebe es „keinerlei rechtliche Grundlage“. Nigerias Sicherheitskräfte, die sich ohnehin zahllosen Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sehen, leisteten damit einer wachsenden Paranoia Vorschub, die die Rehabilitation befreiter Entführter und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft fast unmöglich mache. Muna weiß aus eigener Erfahrung, wie schmerzlich es ist, wenn man als „Terroristenbraut“ denunziert wird, und die aus den Zwangsehen mit Boko-Haram-Kämpfern hervorgegangenen Kinder werden mit noch größerer Ablehnung konfrontiert. Der Unicef-Mitarbeiter Ijumba weiß von Jugendlichen, die lieber hinter Gitter zurückkehren wollten, als sich dem Hass ihrer einstigen Nachbarn auszusetzen. Nicht auszuschließen sei, dass dermaßen Gebrandmarkte den Extremisten in die Hände getrieben würden.

Die Extremisten brachten ihre Beute zu einem Camp, das eher einem totalitären Umerziehungslager als der Basis einer Kampftruppe glich. Die drei Geschwister wurden getrennt: Fatima musste Wasser oder Holz holen, während Muna einem der Kämpfer als „Ehefrau“ zugeführt wurde. Suchte das Mädchen dessen Begehrlichkeiten auszuweichen, sei sie verprügelt worden, erzählt die damals 16-Jährige leise. „Das einzig Gute an ihm war, dass er mir immer mal wieder etwas zu Essen abgab.“ Unterdessen musste Mohamed das Camp bewachen und zunächst mit einem Holzgewehr, später mit einer echten Kalaschnikow exerzieren.

Als Fatima eines Tages den Koran-Unterricht verpasste, wurde sie vor versammelter Mannschaft ausgepeitscht. Allein die Erinnerung schmerzt sie so sehr, dass sie gekrümmt fast von der Bank neben dem Schlangengehege rutscht. Ihr Bruder erzählt schließlich, wie sie alle den Tod eines gefangenen Soldaten mit ansehen mussten. Er wurde gefragt, ob er sich der Sekte anschließen oder lieber sterben wolle. Lieber sterben, sagte dieser. Ihm wurde daraufhin die Kehle durchschnitten.

Befreite Mädchen werden weiterhin interniert

Muna will mitbekommen haben, wie Mädchen auf Selbstmordanschläge vorbereitet wurden. Dafür seien allerdings nur Verschleppte infrage gekommen, die bereits längere Zeit unter den Milizionären lebten. Ihnen sei die sofortige Aufnahme ins Paradies, bleibender Ruhm als Märtyrer sowie materieller Segen für ihre irdische Familie versprochen worden. Anderen Berichten zufolge werden die Selbstmordkandidatinnen auch mit Drogen gefügig gemacht. Eines der wenigen Mädchen, das sich vor der Zündung ihres Sprengsatzes noch eines Besseren besann, habe sich kaum auf den Beinen halten können, berichtet ein Offizier. Manche der sogenannten Selbstmordattentäterinnen wüssten vermutlich nicht einmal, dass sie in die Luft gesprengt würden, fügt der Mann hinzu. Die Extremisten ließen sie im Glauben, dass sie lediglich Sprengstoff von einem Ort zum anderen bringen müssten, der dann aus der Ferne gezündet werde.

Muna, Mohamed und Fatima gelang schließlich, was nur wenige schafften – die Flucht. Dieses Mal konnten sie ungehindert die Grenze in den Tschad überqueren: Dort harrten sie mehr als ein Jahr lang in einem Flüchtlingslager aus. Dem Umstand ist zu verdanken, dass die Geschwister heute in relativer Freiheit in einem Lager für Vertriebene in Maiduguri leben können: Für weniger Glückliche hört die Tortur selbst nach der Befreiung aus der Hand der Extremisten nicht auf. Nigerias Militär meint sich nicht sicher sein zu können, ob die befreiten Geiseln nicht zuvor erfolgreich in Killermaschinen verwandelt wurden: Allein in Maiduguris Giwa-Kaserne werden derzeit bis zu 4000 vermeintliche Boko-Haram-Mitglieder und Ex-Entführte festgehalten, darunter zahllose Frauen und Kinder.

Ihre langen Gewänder eignen sich als Verstecke von Sprengstoff

Die wachsende Zahl der sogenannten Selbstmordattentate scheint den Militärs recht zu geben: In Maiduguri vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo zwei Mädchenkörper in Stücke gerissen werden. Gestern in einem Flüchtlingscamp, heute vor der Moschee nahe des Poloplatzes, am nächsten Tag am Eingang zur Universität. Warum die Heiligen Krieger am liebsten junge Mädchen als lebende Bomben missbrauchen, ist kein Geheimnis: Sie ziehen den geringsten Verdacht auf sich, während sich unter ihren langen Gewändern bestens Sprengstoffladungen verbergen lassen. Junge Frauen mit prüfenden Blicken anzustarren gilt unter Muslimen als anstößig. Bis vor Kurzem wurde es noch vermieden, sie einer Leibesvisitation zu unterziehen.

Über die Identität der eigentlichen Attentäter ist dagegen kaum etwas bekannt: Ob womöglich auch Entführte aus Chibok darunter waren, weiß keiner. Eines der wenigen Mädchen, das sich im letzten Moment doch noch anders entschied, berichtete, von ihrem eigenen Vater zu der mörderischen Tat überredet worden zu sein. „Selbst wenn sie töten, sind sie nicht Täter, sondern Opfer“, sagt Geoffrey Ijumba, der Chef des Unicef-Büros in Maiduguri. „Diese Kinder werden auf die schrecklichste Weise missbraucht.“

Nigerias Sicherheitskräfte werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen

Um Missbrauch handele es sich allerdings auch, wenn die Minderjährigen selbst nach ihrer Befreiung aus der Hand der Extremisten noch festgehalten werden, meint die nigerianische Human-Rights-Watch-Direktorin Mausi Segun: Für ihre Internierung gebe es „keinerlei rechtliche Grundlage“. Nigerias Sicherheitskräfte, die sich ohnehin zahllosen Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sehen, leisteten damit einer wachsenden Paranoia Vorschub, die die Rehabilitation befreiter Entführter und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft fast unmöglich mache. Muna weiß aus eigener Erfahrung, wie schmerzlich es ist, wenn man als „Terroristenbraut“ denunziert wird, und die aus den Zwangsehen mit Boko-Haram-Kämpfern hervorgegangenen Kinder werden mit noch größerer Ablehnung konfrontiert. Der Unicef-Mitarbeiter Ijumba weiß von Jugendlichen, die lieber hinter Gitter zurückkehren wollten, als sich dem Hass ihrer einstigen Nachbarn auszusetzen. Nicht auszuschließen sei, dass dermaßen Gebrandmarkte den Extremisten in die Hände getrieben würden.

Fatima Akilu, die Gründerin der nigerianischen Neem-Stiftung, sieht ihre Heimat noch lange nicht zur Ruhe kommen, selbst wenn der Kampf der Militärs gegen die Milizionäre schließlich doch erfolgreich sein sollte. Für die Psychologin ist der Extremismus im nigerianischen Nordosten dessen seit Jahrzehnten anhaltender Marginalisierung und einer Spirale der Gewalt zwischen der Staatsmacht und den radikalisierten Mitgliedern der Boko-Haram-Sekte zuzuschreiben. Die Religion sei lediglich ein „Gefäß für deren Wut“. Die wachsenden Grausamkeiten der vergangenen Jahre habe die Bevölkerung auf eine kaum vorstellbare Weise traumatisiert, sagt Akilu. Kinder brachten ihre Eltern um, unzählige Familien zerbrachen, die Rate von Selbstmorden, auch ohne Sprengstoffgürtel, nimmt dramatische Ausmaße an.

Akilus Neem-Stiftung bietet ehemaligen Opfern Trauma-Beratung und ehemaligen Tätern Kurse zur Deradikalisierung an. „Wenn wir jetzt nichts tun“, sagt die Psychologin, „wird der Irrsinn siegen.“