Mehr als 6000 Menschen haben am Mittwoch in der Schleyerhalle die „Night of the Proms“ verfolgt. Zu Gast gewesen sind Katie Melua, Zucchero und Marlon Roudette.

Stuttgart - Muss das Orchester wie eine Popband angestrahlt werden? Bringt es einen Zusatznutzen, wenn sich mal die Streicher erheben und gleich wieder setzen, mal die Bläser? Und: sind drei Hits ein angemessener Ersatz für ein ganzes Konzert? Solche Fragen ließen sich stellen. Aber ein Blick über das weiß-blaue Lichtermeer am Mittwochabend in der Schleyerhalle ließ erahnen: Die 6500 Menschen, überwiegend im gesetzten Alter, erwarten genau dieses. Das Musikspektakel Night of the Proms lebt von seinem unverkrampften Verhältnis zur Klassik. Das gilt für Tschaikowsky wie für die Pop-Perle im sinfonischen Gewand.

 

Die Klassik besorgt seit Jahren das international besetzte, routiniert spielende Orchester Il Novecento. Für den Pop sind, neben der Electric Band von „Mr Proms“ John Miles, mehr oder minder prominente Gäste zuständig. Dieses Jahr mit dabei: die Newcomerin Madeline Juno aus Offenbach („Error“), der Londoner Künstler Marlon Roudette („When the Beat Drops out“), die britische Sängerin Katie Melua („Nine Million Bicycles“) und der italienische Superstar Zucchero („Senza una donna“).

Wohlige Atmosphäre im Saal

Somit spannte sich der musikalische Bogen des Abends, von den klassischen Stücken abgesehen, von den frühen Neunzigern bis in die Charts des Jahres 2014. „Es ist unfassbar. Hier geschehen jeden Abend so schöne Sachen“, beschrieb Madeline Juno die Wohlfühlatmosphäre im Saal. Die 19-Jährige ist quasi selbst eine Premiere: Erstmals ist eine Künstlerin jünger als die Show. Die Night of the Proms, eine belgische Erfindung, hatten ihren ersten Deutschlandauftritt 1994. Seitdem darf das Publikum immer in der Vorweihnachtszeit mitklatschen, Walzer zwischen den Stuhlreihen tanzen, die Radio-Hits live hören.

Besonders überzeugt hat an diesem Abend Marlon Roudette, der aus einem Preludium von Johann Sebastian Bach sein Solo auf der Steel Drum entwickelte. Katie Melua – im Sixties-Spitzenkleid mit Pferdeschwanz und Ponyfransen – lobte das „unglaubliche Orchester“ und freute sich wieder in Stuttgart zu sein – die Sängerin mit der glockenhellen Stimme war ja Stargast der Jazzopen 2012. Dauergast John Miles zog mit dem Queen-Hit „Bohemian Rhapsody“ in ganz großer Besetzung alle Register des Bombastpops, bevor er die Hymne der Proms , Music“, anstimmte.

Pavarotti singt posthum per Videoprojektion mit

In solchen Momenten wird klar: Hier geht es um die ganz große Show. Zwischentöne sucht man vergebens, auch beim Klassik-Part muss es schon Carl Orffs tönende „Carmina Burana“ sein. Insofern passte Italo-Altstar Zucchero bestens zum Konzept. Als letzter Act saß er zunächst auf einem rotsamtenen Thron. Er trug einen Hut wie Indiana Jones und dazu ein besticktes Samtjackett. Und bevor er „Miserere“ anstimmte, erinnerte er an seinen alten Freund, den verstorbenen Tenor Luciano Pavarotti. Der sang das berühmte Duett von 1992 quasi posthum in schwarz-weißer Überlebensgröße von der Leinwand aus mit. Die einen mögen das als Kitsch abtun, die anderen haben Gänsehaut.