Nilgänse verbreiten sich in Deutschland stellenweise rasant. Auch in Stuttgart sind sie schon heimisch geworden. Andernorts werden sie gejagt.

Stuttgart - Aus Sorge um die Gesundheit ihrer Bürger macht die Stadt Frankfurt Jagd auf Nilgänse. Die zugewanderte Art hat sich so rasant vermehrt, dass inzwischen große Scharen der Gänse die Rasenflächen am Main, Parks und Freibäder bevölkern – wie auch in anderen deutschen Städten. Seit Jahren schon versucht Frankfurt vergeblich, die Tiere mit vergleichsweise humanen Mitteln zu vergrämen. Akuten Handlungsbedarf sieht der Magistrat, seitdem in Kotproben der Nilgänse Salmonellen-Erreger gefunden wurden. Gerade für Säuglinge und Kleinkinder kann der Kontakt mit den tierischen Hinterlassenschaften lebensgefährlich sein. Daher hat die Stadt eine Ausnahmegenehmigung für den Abschuss von Nilgänsen erteilt – zunächst aber nur in einem Freibad.

 

Im Frankfurter Brentanobad, mit acht Hektar Liegewiese eines der größten Freibäder Europas, hat die Jagd begonnen. Mehrere Tiere hat der Berufsjäger Axel Seidemann dort bisher geschossen. Sein erster Eindruck ist, dass die Vergrämung funktioniert: „Nach dem ersten Schuss haben die Tiere noch etwas ungläubig geschaut, nach dem zweiten Schuss waren dann 60 Tiere in der Luft, um Reißaus zu nehmen“, berichtet Seidemann.

Zur Jagd legt er ein hellblaues T-Shirt an, wie es während der Saison die Bademeister tragen. Dadurch sollen die Nilgänse das Personal zukünftig als Bedrohung wahrnehmen. Seidemann sagt, er schieße nur auf Jungtiere, so verlange es das Jagdrecht. Geht der Plan des Jägers auf, werden die führenden Alttiere, an denen sich der Nachwuchs orientiert, das Freibad in Zukunft meiden. Schon jetzt sind es nicht mehr wie zuvor bis zu 100 Nilgänse, die an manchen Abenden im Brentanobad grasen und baden. „Während der Freibadsaison waren fünf Mitarbeiter damit beschäftigt, morgens möglichst jeden einzelnen Kothaufen einzusammeln, was unmöglich ist“, sagt Seidemann. Jetzt flüchteten die Nilgänse schon, wenn sie ihn und seinen Hund aus weiter Entfernung sähen.

„Das Problem haben wir uns selbst eingebrockt“

Drei Jahre lange habe er im Auftrag der Stadt Frankfurt viele Dinge ausprobiert, um die Nilgänse zu verjagen. Doch vom regelmäßigen Besuch mit seinem Jagdhund, der Beschallung mit Greifvogelstimmen und dem Einsatz von Drohnen hätten sich nur die einheimischen Graugänse nachhaltig vertreiben lassen – nicht die Nilgänse.

„Die Tiere haben keine große Scheu und fühlen sich in unseren Parks und Freibädern wohl, weil sie dort von Menschen gefüttert werden“, sagt Volker Bannert, Vorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu) in Frankfurt. „Das Problem haben wir Menschen uns selbst eingebrockt.“ Die Jagd auf Nilgänse gefalle ihm überhaupt nicht. Statt Nilgänse abzuschießen, plädiert der Ornithologe dafür, das Fütterungsverbot konsequent durchzusetzen und zur Not Ordnungsstrafen gegen renitente Bürger zu verhängen.

In Stuttgart breiten sich die Nilgänse in beachtlichem Tempo aus

Im Stuttgarter Naturkundemuseum ist die Ornithologin Friederike Woog nicht nur für die dortige Vogelsammlung verantwortlich. Vielmehr beschäftigt sie sich auch intensiv mit frei lebenden Vögeln, insbesondere mit den in Stuttgart heimisch gewordenen Graugänsen, aber auch mit Nilgänsen. Die Jagd auf diese Art, die sich derzeit bundesweit schnell ausbreitet, hält auch sie für problematisch – vor allem während der Brutzeit: „Dabei werden auch viele andere Vögel gestört“, gibt sie zu bedenken und ergänzt: „Wenn die Nilgans bejagt werden muss, dann während der regulären Jagdzeit, also zwischen dem 1. September und dem 15. Januar.“

Generell, so berichtet Friederike Woog, breiten sich die Nilgänse auch in Stuttgart in den letzten Jahren in beachtlichem Tempo aus. Ihrer Meinung nach liegt dies vor allem an den vielen Brutmöglichkeiten dieser Vogelart: „Während Graugänse mit Vorliebe auf Inseln brüten, um sich so vor Füchsen und anderen Räubern zu schützen, haben Nilgänse ein viel breiteres Spektrum für ihre Nester, etwa auf hohen Bäumen in den Nestern anderer Vogelarten oder auch an Gebäuden.“

Da die besten Brutplätze für Graugänse rund um Stuttgart bereits belegt sind, wächst deren Population inzwischen nur noch langsam – ganz im Gegensatz zu den Nilgänsen: „Die hatten in diesem Jahr mehr Junge als die Graugänse“, berichtet Friederike Woog und nennt die Ergebnisse ihrer diesjährigen Zählaktionen: mindestens 52 Küken bei den Nilgänsen und nur 33 flügge Jungtiere bei den Graugänsen. Nilgänse sind offenbar auch viel produktiver als Graugänse: „So hatte eine Nilgans in Stuttgart im April 17 Junge – und sie hat 16 davon durchgebracht!“ Bei Graugänsen seien die Verluste demgegenüber viel höher.

Die EU führt die Nilgans seit kurzer Zeit als invasive Art

Nilgänse gelten als besonders aggressiv – vor allem, wenn es um die Verteidigung ihrer Jungtiere geht. Die Stuttgarter Vogelexpertin Friederike Woog teilt diese Meinung allerdings nur begrenzt: „Am Max-Eyth-See vertreiben die dort ansässigen Graugänse die Nilgänse von ihren Brutplätzen“, berichtet sie. Und fügt an, dass es bei den Nilgänsen große individuelle Unterschiede gebe – wie bei anderen Vögeln auch: „Manche Nilgänse sind eben aggressiver als andere, außerdem stehen dem andere Vogelarten wie beispielsweise Höckerschwäne in nichts nach.“

Auch darüber, ob die Nilgans als invasive Art gelten muss, die für die heimische Vogelwelt zur Bedrohung wird, herrscht in der Fachwelt keine Einigkeit. Die für neu eingewanderte Tierarten – sogenannte Neozoen – zuständige Expertengruppe in der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft habe die Nilgans bisher nicht als invasiv gekennzeichnet, berichtet Friederike Woog. Dies sei auch in der „naturschutzfachlichen Invasivitätsbewertung“ der Nilgans vom Bundesamt für Naturschutz berücksichtigt worden. Die EU dagegen führe die Nilgans seit kurzer Zeit als invasive Art – was zur Folge habe, dass die EU-Mitgliedstaaten und damit auch Deutschland sie eigentlich bekämpfen müsse. „Darüber ist schon viel diskutiert worden – und es wird weiter heftig diskutiert“, sagt Woog.

Einig sind sich die Vogelkundler, dass die Nilgans inzwischen in Deutschland heimisch geworden ist und man sie nicht mehr loswerden wird. „Das ist selbst per Jagd nicht mehr möglich“, sagt Stefan Bosch, Vogel-Fachbeauftragter des baden-württembergischen Nabu-Landesverbands. Der Nilgans machen Störungen durch andere Tiere und den Menschen nun einmal nicht allzu viel aus, zudem stellt sie keine großen Ansprüche an ihren Lebensraum – gute Voraussetzungen dafür, dass sie sich hierzulande auch künftig erfolgreich vermehrt.

Wie die Nilgans nach Deutschland kam

Ursprung:
Wie der Name besagt, stammt die Nilgans ursprünglich aus Afrika, wo sie überwiegend in Savannensümpfen und an den Flussläufen Ostafrikas lebt.

Verbreitung:
In Europa wurden die Tiere wegen ihres hübschen Gefieders seit dem 18. Jahrhundert als Ziergeflügel gehalten – doch in überschaubarer Zahl. Dass die Nilgans frei lebend nach Deutschland gelangen konnte, soll auf Exemplare zurückgehen, die in den siebziger Jahren in den Niederlanden ausgesetzt wurden oder entflogen sind.

Vermehrung:
Seither wächst ihre Population entlang des Rheins und seiner Zuflüsse rasant. Allein in Hessen wird ihre Zahl auf mehr als 10 000 Vögel geschätzt – Tendenz stark steigend. In Baden-Württemberg ist sie an Neckar und Donau sowie in den Parkanlagen des Stuttgarter Stadtgebiets heimisch. Neben den großen Baggerseen bei Freiburg sind in Baden auch das Kinzigtal und das Schuttertal schon zur Heimat der Tiere geworden.